WEBCAM-COMMUNITYS: Chatten mit der optischen Dimension ist der neue Trend. Da werden aus nichtigen schnell wichtige Themen. Aber Vorsicht ist geboten

Fluffy, brünett, Alter unbekannt, 10 205 Profile Views, betritt den Chat-Raum. "Was mögt Ihr lieber: Kaffee oder Kaba?", tippt sie in den Kommunikations-Thread, eine bunte Textwurst, in die die Chat-Gemeinde in schnellen Abständen allerlei Belangloses postet. So auch Toxicathy (16), Slayer-T-Shirt, 5895 Profile Views, ebenfalls brünett. "Kaba", antwortet sie. "Schokojunkie ;-)", schallt es zurück. Fluffy streckt die Zunge raus in Richtung Webcam.

Videochat in Communitys wie Stickam, Ustream oder ISPQ ist die konsequente Weiterentwicklung von MySpace und YouTube. Den obligatorischen 2.0-Account mit persönlichen Daten, Bildern, Videos, RSS-FlickR-Feeds komplettiert hier die Webcam. Vor ihr sitzen meist junge Menschen, tippen, winken, kratzen sich an der Nase. Wer einen Chatraum betritt, sieht am rechten Rand mehrere solcher Live-Streams vor sich hinruckeln. Vielmehr passiert nicht. Trotzdem ist das irgendwie toll, irgendwie beklemmend, einfach so durch die Jugendzimmer der Google-Generation zu zappen.

"Express yourself - live", lautet das Credo. Direktchat statt statische Gästebücher. Sehen und gesehen werden statt Videos auf Abruf. In den User-Kosmen finden sich viele Gelegenheits-Chatter und einige Hardcore-Aufmerksamkeitsjunkies, die ihr Leben per Helmetcam und Clipmikrofon zu einer Art Privat-Big-Brother machen. Wer ein Mikrofon angeschlossen hat, kann zusätzlich Sound senden. Mit der Software Camtasia Studio, einem Programm, mit dem ursprünglich Schulungsvideos und Screencasts erstellt wurden, lässt sich das bunte Treiben im Webcam-Chat als Video mitschneiden, in der Testversion 30 Tage lang kostenlos.

Doch wer will schon ein ruckelndes Video von sich selbst, auf dem man aussieht wie eine Karikatur des Incredible Hulk? Denn im eigenen Profil, dort, wo MySpace-User sich oft und gerne zum Model photoshoppen, regiert ja die Webcam. Wo MySpacer und YouTuber mit ihren virtuellen Identitäten hausieren gehen, ist die Welt von Stickam und Ustream gnadenlos authentisch.

Authentisch ist auch die sexuelle Belästigung in solchen Communitys. Denn natürlich hängen im Videochat auch die harten, meist männlichen Kaliber ab. Aus Fluffys Profil spricht die frustrierte Erfahrung: Unter der Auflistung ihrer Interessen - "Feng Shui, amerikanische Ureinwohner, Schwerter, Menschen, Religion, in dieser Reihenfolge" - steht: "Wenn Du einer von diesen Perversen bist, verp\ \ \* Dich. I DON'T CYBER!!!" Ähnliches haben die meisten weiblichen User in ihrem Profil stehen. Weiter unten auf der Seite entschuldigt sich Fluffy für die derbe Wortwahl. "Sorry", schreibt sie, "ich habe es früher höflicher probiert. Aber diese widerlichen Typen lassen einfach nicht locker."

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