Comeback: Die Abandonware-Szene stellt Tausende Game-Klassiker als kostenlose Downloads ins Netz. Damit bewahrt sie “Pacman“, “Lemmings“ & Co. vor dem Tod - und macht sie zusehends salonfähig

Bis vor Kurzem starb Pacman einen schleichenden Tod: Sein Kosmos aus blinkenden Pillen, blauen Geistern und dem sich ewig wiederholenden 8-Bit-Labyrinth löste sich langsam auf. Seine Spiel-Module entmagnetisierten sich, auf den Speicherchips verflüchtigten sich die Daten. Irgendwann stellte Hersteller Midway die Produktion von Pacman-Spielen ganz ein, und der gelbe Pixel-Puck wurde immer seltener gesehen.

Etwa 1997 dann begannen so zusagen die Klon-Kriege - und Pacman wurde gerettet. Bezeichnenderweise von sogenannten Software-Piraten: Die nämlich schafften es, den Quellcode des Spiels auf einen herkömmlichen PC zu kopieren - und stellten das Pacman-Rip-off zum kostenlosen Download ins Netz. Mit der Entdeckung dieser Kopiertechnik begann eine wahre Völkerwanderung der Avatare: Lemminge, Donkey Kong, Space Invaders - die Veteranen der Game-Gründerzeit siedelten massenweise in den Cyberspace um.

Die Internetgemeinde hatte eine neue, ehrenvolle Aufgabe für sich entdeckt: Unter dem Label "Abandonware" (aus dem Englischen: to abandon = vernachlässigen) kümmerte sie sich um die Erhaltung der vom Hersteller vernachlässigten Bildschirmspiele. Tausende Games trugen sie auf Seiten wie "Abandonia", "Home of the Underdogs", "Abandongames" oder "Game Archives" zum kostenlosen Download zusammen - und bewegten sich dabei stets in einer rechtlichen Grauzone. Denn nach geltendem Urheberrecht ist ein einmal programmierter Computercode 75 Jahre lang das geistige Eigentum seines Herstellers.

Die meisten Rechteinhaber haben das finanzielle Interesse an ihren Uralt-Spielen inzwischen jedoch ohnehin verloren und dulden deren Gratis-Verbreitung. Die Webmaster größerer Abandonware-Seiten lassen sich die Verbreitung der Retrospiele zudem oft ausdrücklich vom Rechteinhaber erlauben.

Zurzeit dreht sich der Wind allerdings ein wenig: Immer mehr Spielehersteller entdecken das Internet als zusätzlichen Vertriebskanal, so manches Game, das schon Abandonware war, wird rekommerzialisiert: Hersteller wie Lucas Arts legen ihre alten Kult-Spiele als "Classic-Editions" neu auf; Microsoft und Nintendo bieten Retrospiele als kostenpflichtigen Download für ihre internetfähigen Next-Generation-Konsolen feil.

In der Abandonware-Szene sieht man diesem Trend mit gemischten Gefühlen entgegen: Einerseits schrumpft das Kontingent an kostenlosen Downloads; andererseits wird das Hauptziel der Bewegung - die Erhaltung wertvoller Spiele - nun auch von den Herstellern selbst realisiert. Spieleentwickler, Journalisten und Wissenschaftler fordern unterdessen schon den nächsten Schritt zur Erhaltung von Abandonware: die Archivierung wichtiger Spiele in Museen und die Erarbeitung eines umfassenden Game-Kanons für die Nachwelt.

Medienkulturell wären solche Maßnahmen ein Schritt nach vorne. Bildschirmspiele bekämen dadurch offiziell einen Status, der ihnen inoffiziell schon lange zusteht: den eines - durchaus ernst zu nehmenden - Phänomens der Popkultur. Neben der Beckstein'schen Diffamation würden die Games ein Stück weit salonfähig. Pacman dürfte endlich erwachsen werden.