MP3: Virtuelle Plattenlabels vertreiben kostenlose Qualitätsmusik en masse - exklusiv und nach Genres und Stil geordnet

Wer sich einmal durch einen Netlabel-Katalog geklickt hat, weiß, wie es auf der Berwick Street im Londoner Stadtteil Soho zugeht, in deren Epizentrum Musik aus zahlreichen Plattenläden, WGs und Modelabels aufeinanderprallt und einen ganz eigenen, kakophonischen Sog entwickelt:

Auf Knobtweavers.net wummern Drum-'n'-Base-Beats, auf Labil Recordings luftige Ambient-Sounds; auf der Plattform MyOwnMusic.de klickt und pufft der Minimal-TechHouse illustrer Künstler wie Brett Knacksen; und nur einen Mausklick weiter, auf dem Label Nexialist, hört man ein "Doomdrone"-Projekt wüten, dessen Sound irgendwo zwischen - öh - Gabba und Black-Metal pendelt.

Auf den Seiten virtueller Plattenlabels - auch Netlabels oder Netaudios genannt - liegt massenweise Qualitätsmusik, die den Releases klassischer Musiklabels in nichts nachsteht. Während aber die traditionellen Labels vor allem CDs oder Schallplatten vertreiben, stellen Netlabels ihre Releases ausschließlich in Form von MP3- oder Ogg-Dateien ins Netz. User können sich die Netlabel-Musik rund um die Uhr auf die Festplatte ziehen - legal, frei von DRM-Beschränkungen und oftmals kostenlos. Musikalisch decken die virtuellen Musikvertriebe die gesamte Bandbreite musikalischer Genres und Stilrichtungen ab: Punk, Jazz, karibischer Calypso-Blues - fast jede denkbare Musikrichtung hat inzwischen ihr eigenes Netlabel.

Wie bei den klassischen Label-Pendants Stonesthrow oder Blue Note steht der Label-Name dabei oft programmatisch für einen speziellen Sound oder eine bestimmte Genre-Orientierung: Wer durch Online-Kataloge wie netlabels.org oder rowolo.de browst und dabei auf ein Label stößt, das den eigenen Soundvorstellungen entspricht, entdeckt oft auf einen Schlag eine ganze Reihe neuer Bands, die ihm zusagen.

Für die Musiker sind die Netlabels die digitalen Nachfolger der Demo-Tape-Kultur: Wer seine Tracks via virtuellen Musikvertrieb veröffentlicht, will vor allem den eigenen Bekanntheitsgrad steigern. Besonders für die Produzenten elektronischer Musik sind Netlabels aber auch ökonomisch attraktiv: Denn im mit Releases überschwemmten Elektro-Genre sind die Auflagen für Vinylpressungen traditionell niedrig - kleinere Labels bringen meistens zwischen 750 und 1000 Tonträger eines Songs in den Umlauf. DJs, die auf einem Netlabel veröffentlichen, erreichen indes schnell ein viel größeres Publikum, dem sie dann bei Bedarf auch selbst gebrannte CDs feilbieten können. Und wer in Eigenregie 100 CDs absetzt, verdient bezeichnenderweise oft mehr daran, als wenn er 1000 Vinyl-Schallplatten verkauft.