Komisch. Auf die Frage „Gehen Sie eigentlich oft ins Kino?“ hatte Ex-Außenminister Joschka Fischer noch vor wenigen Tagen dem Abendblatt geantwortet: „Nicht so oft“. Jetzt sieht man ihn aber andauernd auf den Berlinale-Teppichen.
Komisch. Auf die Frage "Gehen Sie eigentlich oft ins Kino?" hatte Ex-Außenminister Joschka Fischer noch vor wenigen Tagen dem Abendblatt geantwortet: "Nicht so oft". Jetzt sieht man ihn aber andauernd auf den Berlinale-Teppichen. Sowohl bei der Eröffnung mit Tom Tykwers Thriller "The International" als auch bei Paul Schraders "Adam Resurrected" mit Jeff Goldblum. Hat Fischer etwa eine späte Liebe für das Kino entdeckt, nachdem ihm das Politdrama "Frost/Nixon" nach eigenem Bekunden vor einigen Tagen so gut gefallen hatte?
Eindeutiger äußert sich da schon Ulrich Tukur. Obwohl er so viel für das Kino und das Fernsehen arbeitet, bleibt er diesen Medien gegenüber kritisch. "Ich finde nicht, dass Filmschauspieler das Zentrum der Welt sind. Bilder lügen doch, dass sich die Balken biegen. Das Theater ist gefährlicher. Da kann viel schiefgehen, und man ist ungeschützt." Heißt das, er geht in seiner Freizeit eher ins Theater als ins Kino? Der 51-Jährige wehrt ab. Wenn er in Deutschland sei, dann meistens um zu arbeiten. "Dann habe ich abends zu gar nichts mehr Lust. Ehrlich gesagt, ich bin ein bisschen vertrottelt durch meine Arbeit." Hört sich aber gar nicht so an.
Wir treffen uns in einem feinen chinesischen Club. Der Schauplatz macht Sinn, denn der Film "John Rabe" von Florian Gallenberger mit Tukur in der Hauptrolle spielt in dem fernöstlichen Land. Rabe war ein Siemens-Manager aus Hamburg, der in Nanking die Niederlassung leitete und 1937 nach Deutschland zurück beordert wurde. Aber er weigerte sich und blieb. Die Japaner griffen China an und gingen grausam gegen die Zivilbevölkerung vor. Rabe organisierte mit Ärzten, Missionaren und Geschäftsleuten in der Stadt eine entmilitarisierte Zone und rettete so rund 250 000 Menschen das Leben. Danach ging er nach Deutschland zurück und starb völlig verarmt 1950 in Berlin.
Eigentlich sollte Ulrich Mühe die Rolle spielen, aber er war schon zu krank. Erst nach einem Gespräch mit seinem Kollegen habe er die Rolle übernommen. "Er sagte: ' Mach du es, dann bleibt wenigstens der Vorname gleich.'" Viel Applaus gab es nach der Vorführung im Friedrichstadtpalast.
Neben diesem Film ist Tukur auch noch mit Costra-Gavras' "Eden à l'ouest" und dem Rückblick auf "Nordwand" vertreten. Damit ist er einer der präsentesten Schauspieler der Berlinale. Er hat gerade sehr viel gearbeitet und macht damit erst einmal auch noch weiter. Ein Film von Michael Haneke ist in der Warteschleife, mit Dieter Wedel dreht er gerade "Mit Glanz und Gloria", die Geschichte des Hochstaplers Harksen. Warum so viel, ist er ein Workaholic? Tukur schenkt sich grünen Tee nach. "Das hat auch ökonomische Gründe", sagt er. Seine beiden Töchter gehen in den USA auf's College. Das sei sehr teuer. Aber nach dem Wedel-Film macht er erst einmal drei Monate Pause. Er will dann in Venedig ein neues Buch schreiben. China sei ihm als Thema zu ausufernd. "Vielleicht schreibe ich über Filme, die ich erlebt habe, die aber nie herausgekommen sind. Ein Romancier bin ich jedenfalls nicht. Ich kann eher die kleine Form." Ausufernde Pläne seien nichts für ihn. "Ich gehe eher Schritt für Schritt, habe überhaupt keine Lebensplanung." Das ist vielleicht doch ein wenig übertrieben, denn ziellos treiben lässt er sich natürlich auch nicht. Seine Methode klingt vielmehr melancholisch, aber plausibel: "Man muss ein bisschen krank sein an der wirklichen Welt und einen Gegenentwurf im Herzen tragen."