Wenn schon Punk und Provinz, schießt es einem beim Aufwachen durch den Kopf, wenn schon, dann ist vielleicht heute der richtige Tag dafür. Ein Tag, an dem die erste Festivalhälfte herum ist und sich ein leichter, von Nieselregen begleiteter Berlinale-Koller bemerkbar macht.

Berlin. Dann fallen die Augen wieder zu und wollen sich in den nächsten Stunden auch nicht mehr richtig öffnen - bis der Vorhang sich hebt und "Dorfpunks" beginnt, der neue Film von Lars Jessen nach dem gleichnamigen autobiografischen Roman von Rocko Schamoni, der gestern in der Reihe "Perspektive Deutsches Kino" Premiere hatte. Um Punk in der norddeutschen Provinz geht es, im 5000- Seelen-Kaff Lütjenburg (Romandeckname: Schmalenberg), aber auch um die Freundschaft einer Jungs-Clique.

Zwei Jahre ist es her, dass Schamoni die Filmrechte an seinen Freund Lars Jessen ("Am Tag, als Bobby Ewing starb") abtrat. Gegenwert: zwei Augustiner Halbe; besiegelt wurde der "Vertrag" im Restaurant Marinehof auf einer Papierserviette. Im April kommt das Ergebnis in die Kinos. So "unstarmäßig wie möglich" wünschte sich Schamoni die Besetzung der Hauptdarsteller - und so geschah es. Aus dem wunderbaren Cast ragt vor allem Schamonis Alter Ego Roddy Dangerblood, verkörpert von Debütant Cecil von Renner, heraus. Mit seinen Kumpels hängt Roddy in den Sommerferien 1984 meistens im Waldversteck ab. Hier kippen sie "ein paar Dosen guter Laune", also Bier, und philosophieren über Freiheit. Wenn das zu langweilig wird, sprengen sie Partys, prügeln sich und pinkeln fremde Schlafzimmer voll. Und weil auch das nicht wirklich spannend ist, kommt Roddys Idee umso besser an: Wir gründen eine Punk-Band. Dabei lassen sie sich von Nebensächlichkeiten wie völliger Talentfreiheit nicht im Geringsten beeindrucken.

Die Filmmusik hat Schamoni selbst zusammengestellt; anders als bei der Bühnenadaption am Schauspielhaus (wieder zu sehen ab Ende Februar) hat er sich bei Drehbuch und Regie jedoch herausgehalten. Vielleicht auch deshalb emanzipiert sich Jessen ein ganzes Stück weit von Schamonis Buch und konzentriert sich auf die Beziehungen zwischen den Freunden. Die vielen Landschaftsszenen, gedreht an Originalschauplätzen, verankern den Film in Norddeutschland; die eigentlichen Themen jedoch - Auflehnung gegen die Spießigkeit der Eltern, Freundschaft als Familienersatz - sind für Schamoni "allgegenwärtig". Ihm gefällt, dass der Film "kein philosophisches Filmwerk darüber ist, was Punkrock 1984 bedeutet hat", sondern im Kern eine Hommage an den Aufbruch. Eine sehr lustige noch dazu. So verpackt lassen sich selbst Punk und Provinz gut ertragen.


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