Hamburg. Neuerscheinungen 2024: Saša Stanišić hat den besten Buchtitel. Unangefochten. Neues gibt es auch von Allende, Murakami, Wahl.

Der Hamburger Filmemacher Hark Bohm ist ein Inselmensch. Nämlich auf Amrum aufgewachsen. Fatih Akins Film über diese Kindheit ist schon länger annonciert. Den Roman dazu wird es auch geben: „Amrum“ erscheint Ende April. Er stammt nicht allein aus Hark Bohms Feder, der bekanntlich ein Team-Arbeiter ist (fragt bei Fatih Akin nach). Philipp Winkler („Hooligan“) ist Co-Autor dieser Geschichte um den jungen Nanning, der in der kargen unmittelbaren Nachkriegszeit findig sein muss, um seine Familie zu ernähren. Nanning ist Bohms Alter Ego, das inflationär gebrauchte Wort „Autofiktion“ muss man aber nicht zwangsläufig verwenden.

Das Literaturjahr 2024, der Ausblick: Wir machen mit der TV-Branche weiter. Inflationär geht es bekanntlich auch dort zu, weil: Schauspieler schreiben irgendwann gerne Romane, manchmal sogar recht gute, aber längst nicht immer. Nach Milberg, Brandt, Preuss,Tukur natürlich und Nemec ist nun Jörg Hartmann dran, also wieder einmal ein TV-Kommissar. „Der Lärm des Lebens“ heißt sein Buch, das Mitte März erscheint und von ihm selbst, seinen Eltern und Großeltern handelt. Die Großeltern waren gehörlos, die Mutter betrieb eine Pommesbude, und alles spielte sich im Westen ab. Tragik und Komik, verspricht der Verlag, und eine Liebeserklärung an den Ruhrpott. Klingt nicht unsympathisch.

Neue Bücher 2024: „Tatort“-Darsteller Jörg Hartmann mit erstem Buch

Das gilt auch für das Programm des Literaturhauses: Programmmacher Rainer Moritz hat mit Iris Wolff („Lichtungen“ erscheint Mitte Januar, Lesung am 6.2.), Deniz Ohde („Ich stelle mich schlafend“, März, Lesung am 10.4.), Ronya Othmann („Vierundsiebzig“, März, Lesung am 16.4.) und Caroline Wahl („Windstärke 17“, Mitte Mai) unter anderem vier Schriftstellerinnen eingeladen, deren Werk – im Falle Wolffs – schon lange einhellig gelobt wird oder im Fall der jüngeren Kolleginnen noch relativ frisch im Rampenlicht steht.

Othmann (Cassens-Preis-Trägerin 2020), Ohde und Wahl haben bislang jeweils einen Roman vorgelegt, ein jeweils glänzendes Debüt. Das jüngste von ihnen ist ein Überraschungshit des Jahres 2023: Caroline Wahls „22 Bahnen“ steht seit vielen Monaten auf der Bestsellerliste. „Windstärke 17“ ist der nächste Inselroman, diesmal ist es nicht Amrum, sondern Rügen, das geografisch in den Mittelpunkt gerückt wird. Wir sind gespannt und zuversichtlich, dass uns Wahl mit ihren Geschichten und Figuren wieder berühren wird.

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Des Weiteren im Literaturhaus zu Gast ist im ersten Halbjahr der Kölner Musiker Markus Berges (Erdmöbel), der seinen Roman „Irre Wolken“ interdisziplinär im Literaturhaus vorstellen wird (4. April). Als Teaser zum Roman, der Ende Januar herauskommt, sei der allerbeste Erdmöbel-Song „Busfahrt“ empfohlen. Er ist eine Art Urversion des Romans, der unter anderem in der Psychiatrie spielt. Merken sollte man sich auch den 26. März: Dann ist die großartige belgische Autorin Lize Spit mit ihrem neuen Buch „Der ehrliche Finder“ zu Gast, es erscheint Mitte März.

Der Autor Saša Stanišić bringt im Mai einen neuen Erzählband heraus.
Der Autor Saša Stanišić bringt im Mai einen neuen Erzählband heraus. © Roland Magunia/Funke Foto Services | Roland Magunia

Um weiterzumachen mit internationalen Autorinnen und Autoren: Angekündigt sind für die nächsten Monate neue Romane von Isabel Allende („Der Wind kennt meinen Namen“, Mitte April), Miranda July („Auf allen vieren“, Mai), Benjamin Myers („Cuddy – Echo der Zeit“, Mitte April), Teju Cole („Tremor“, Ende Februar), Karl Ove Knausgård („Das dritte Königreich“, dritter Teil der „Morgenstern“-Saga, Mitte Mai) und Haruki Murakami. Der japanische Literaturweltstar wird am 12. Januar 75 Jahre alt. Am selben Tag erscheint seine mehr als 600 Seiten dicke Liebesgeschichte „Die Stadt und ihre ungewisse Mauer“. Vorfreude!

Salman Rushdie und „Knife“: ein Buch über das Attentat

Salman Rushdie ist die derzeit überhaupt wichtigste Figur in der Literatur. Einst mit der Fatwa belegt, 2022 dann tatsächlich von einem Wahnsinnigen niedergestochen (es kostete ihn ein Auge); aber der Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels schreibt unbeirrbar weiter. „Knife“ (Mitte April) handelt vom Attentat und verspricht, eine intensive Lektüre zu werden.

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Gegen die Wucht eines solchen Titels setzt die Literaturmanufaktur 2024 Leichteres wie Constantin Schreibers ersten Krimi „Kleopatras Grab“ (Mai), Lars Haiders zweiten Krimi „Ich lieb‘ dich überhaupt nicht mehr“ (April) und Moritz Rinkes Fußballbuch „Ich könnte hier stundenlang sitzen und auf den Rasen schauen“ (April). Wobei Fußball ja durchaus Tiefgang hat. Anders als Rinke (Worpsweder und Werderaner!) ist der Hamburger Superautor Saša Stanišić HSV-Fan. Auf ein Fußballbuch von ihm müssen wir weiterhin warten, ist wahrscheinlich kein Schaden.

Stanišićs neues Buch, ein Erzählband, trägt den unübertrefflichen, den glorreichen Titel „Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne“. Man muss ein echtes Kaliber sein, um so was beim Verlag durchzusetzen. Wir behaupten so oder so jetzt schon, dass dieses Buch – es erscheint Ende Mai – ein Highlight der Saison sein wird. Es wird in den Geschichten um Wegscheiden und Zufälle im Leben gehen. Könnte sein, dass es niemanden gibt, der über dieses Thema besser schreibt als Stanišić.

Neue Bücher 2024: Andrea Petković legt literarisches Werk über das Karriereende vor

Andrea Petković teilt mit Stanišić die Herkunft aus Bosnien. Die ehemalige Tennisspielerin hat sich längst als Erzählerin von Rang etabliert. „Zeit, sich aus dem Staub zu machen“ (März) ist die literarische Aufarbeitung ihres Karriereendes. Dana von Suffrin,unlängst Stipendiatin im Heine-Haus an der Elbe, legt ebenfalls im März „Nochmal von vorne“ vor, einen Roman „über jüdisches Leben zwischen München und Tel Aviv“. So wird das Buch vom Verlag angekündigt. Wir wissen: Vom Leben kann man ganz fast eh nur in der Form des Familienromans erzählen. Dieser Roman ist einer. André Kubiczeks „Nostalgia“ (erscheint im Mai) berichtet vom Leben einer aus Laos stammenden DDR-Bürgerin und von ihrem Sohn André. Es ist das vermutlich persönlichste Buch des Berliner Autors Kubiczek.

Andrea Petković hat ihre Sportkarriere beendet. Anzunehmen ist, dass sie nun mehr Zeit zum Schreiben hat.
Andrea Petković hat ihre Sportkarriere beendet. Anzunehmen ist, dass sie nun mehr Zeit zum Schreiben hat. © imago images/Future Image | imago stock

Stefanie de Velasco sei stellvertretend für die vielen Autorinnen genannt, die sich aktuell mit weiblicher Identität beschäftigen. „Das Gras auf unserer Seite“ (März) handelt von drei nicht mehr jungen Frauen ohne Kinderwunsch. Der Rowohlt-Autor und gebürtige Bonner Andreas Stichmann, der zuletzt den großartigen Roman „Eine Liebe in Pjöngjang“ veröffentlichte, sorgt erfreulicherweise für Nachschub: „Loreley“, Erzählungen auf 130 Seiten. Knappheit ist ein kostbares Gut. Wobei Verlage Romane wegen besserer Verkäuflichkeit mehr lieben als Story-Sammlungen. Bei einem Bestsellerautor wie T.C. Boyle ist die Erzählgattung vermutlich egaler. Im Mai kommt sein Erzählungsband „I Walk Between the Raindrops“ in die Läden. Interessant: Auch auf Deutsch erscheint die Sammlung mit dem englischen Titel.

Neue Bücher 2024: Robert Saviano setzt einem Mafiajäger ein Denkmal

Von der Mafia ist oft erzählt worden, von ihren Gegnern nur en passant. Das ändert sich im Februar, wenn Roberto Savianos „Falcone“ erscheint, ein Roman, in dem der seit seinem Buch „Gomorrha“ im Untergrund lebende Autor Saviano die Geschichte des ermordeten Mafiajägers Giovanni Falcone erzählt.

Was ist mit Sachbüchern? Erscheinen 2024 natürlich in Hülle und Fülle. An dieser Stelle sei eines genannt. Der bekannte Soziologe Heinz Bude, einst Erforscher der 68er, hat sich nun an die eigene Generation gewagt. „Abschied von den Boomern“ heißt sein Band, der Ende Januar erscheint und sich den Zeitgenossen widmet, die den sogenannten geburtenstarken Jahrgängen angehören und die Schalthebel der Macht noch längst nicht verlassen haben. Manche von ihnen sind ja erst Ende der 60er-Jahre geboren. Bude stellt seine neue Studie am 21. Februar im Literaturhaus vor.

Isabel Allendes „Der Wind kennt meinen Namen“ ist einer der internationalen Toptitel 2024.
Isabel Allendes „Der Wind kennt meinen Namen“ ist einer der internationalen Toptitel 2024. © picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Eric Risberg

Okay, auch noch der Hinweis auf ein weiteres Sachbuch: Der Popkultur-Erforscher Diedrich Diedrichsen legt das den großsprecherischen Titel sicher nie Lügen strafenden Mammut-Konvolut „Das 21. Jahrhundert“ (März) vor. Mit Essays über die Trends in Fernsehen, Kino, Kunst, Musik und überhaupt – mit vielen Fremdwörtern und Expertise, nehmen wir an.