Wo kommen die denn jetzt her, lauter Romane, die im Freibad spielen? Klarer Fall: Es geht um einen Sehnsuchtsort. Unsere Buchtipps.

  • Literatursaison spült „Pool Fiction“ auf den Markt
  • Wir stellen die besten drei neuen Freibad-Romane vor
  • Im Freibad geht es auch in diesen Sommer viel um Liebe

Hamburg. Alle mal die Hand heben: Wer hat nie im Sommer, nach ein paar Schwimmzügen hin zum Boden des Beckens, auf jenem armrudernd gesessen, den Blick nach oben gerichtet, ins ganz Helle? Und dabei, mit dem Soundtrack wassergedämpfter Fröhlichkeit im Ohr, dem Schauspiel der schwimmenden, planschenden, tauchenden Körper von unten zugesehen?

Kennt doch jeder, stimmt’s? Das Freibad ist ein ewiger Sehnsuchtsort, vielleicht sogar noch, wenn man längst erwachsen ist. Das Freibad ist wie sein peripherer Bruder, der Baggersee, aber vor allem eine köstliche Jugenderinnerung. Ein magischer Hotspot, für immer unvergessen – die Summe dessen, was Glück bedeutet (nicht immer für den Kassenwart von Bäderland, kommt ganz darauf an, ob es ein stabiles Sommer-Hoch gibt).

Buchcover Stephan Lohse, „Das Summen unter der Haut“
Buchcover Stephan Lohse, „Das Summen unter der Haut“ © insel verlag

Freibad-Roman: Der Hamburger Stephan Lohse hat einen der besten geschrieben

Die Literatur hat diesen Ort zuletzt auf entschiedene Weise für sich entdeckt. Annika Büsing legte 2022 mit „Nordstadt“ einen ersten Freibad-Roman vor. Der war so gut, dass die Bochumerin den Mara-Cassens-Preis bekam.

In dieser Literatursaison gibt es noch mehr Pool Fiction, wir stellen die besten drei neuen Freibad-Romane hier jetzt mal ganz nassforsch vor – als hinreißendste und extrem zeitgemäße Lektüre für demnächst mögliche Ferien-Lesestunden. Der Hamburger Stephan Lohse hat einen wundervollen Coming-of-age-Roman geschrieben, sein reifstes Buch bislang und beinah makellos.

Es heißt „Das Summen unter der Haut“. Was ja vom Titel her fast, aber nur fast so schön klingt wie der amouröse Evergreen „Salz auf unserer Haut“. Caroline Wahls Liebesroman „22 Bahnen“ hat in den vergangenen Wochen, schon bevor der Sommer in Deutschland einfiel, viele Fans gefunden und steht auf der Bestsellerliste. Und Arno Franks Heimkehr-Roman „Seemann vom Siebener“ komplettiert diese Trias tropfender Plot-Zurichtung. Nässe ist in diesen Erzählungen die Grundlage vieler Szenen, sprich: Sie spielen oft direkt im Freibad.

Arno Frank: Sein „Seemann vom Siebener“ spielt in der Pfalz

Aber natürlich verwässern andere Themen die Schwimm-Engführung. Zum Beispiel bei Arno Frank. Seinem Roman ist die Verbindung von Sommer und Erwachsenwerden eingeschrieben, sie darf in der Pool Fiction nie fehlen. In diesem Falle ist es eine namenlose, junge Ich-Erzählerin, die nach einer persönlichen Krise wieder ins Leben zurückfindet und dafür allen Mut mobilisiert – für jenen titelgebenden „Seemann vom Siebener“.

Buchcover Arno Frank, „Seemann vom Siebener“
Buchcover Arno Frank, „Seemann vom Siebener“ © Klett-Cotta | klett-cotta

Arno Frank ist ein Erzähler reinsten Wassers, der in seinem Roman einen Tag im Freibad schildert. Und von dort aus dramaturgisch geschickt und von der Konstruktion her elegant in die Lebensgeschichten seiner Heldinnen und Helden aus greift.

Ein preisgekrönter Fotograf, der anlässlich der Beerdigung eines früheren Freundes zurück in diese pfälzische Provinz (eher zurückhaltend: der Einbau des südwestdeutschen Idioms) reist und einen Zwischenstopp am Beckenrand einlegt. Dazu die Frau, die er mal liebte; sie ist auch im Freibad. Sodann der langgediente Bademeister, die Kassenfrau, die alte Studienrätin und Witwe des Freibad-Architekten – Arno Frank unternimmt erfolgreich den Versuch der Soziologie eines Ortes, der für alle da ist.

Wie alle Pool Fictions handelt auch „Seemann vom Siebener“ von den kleinen Leuten und prekären Haushalten. Für sie bedeutet das Freibad mehr als nur ein kleines Glück. Seinen weit gereisten Heimkehrer lässt Arno Frank angemessen hochtrabend („Solche Orte gibt es nirgendwo sonst auf der Welt“) über die besondere regionale Lokalität räsonieren. „Ein Bezirk fürs Nichtstun, aber auf rührend deutsche Weise, also verkleidet als Sportplatz zur aquatischen Leibesertüchtigung. Überall liegen sie herum, diese Bäder, wie umgekehrte Inseln, sporadisch hineingestreut in die Fläche, und zusammen bilden sie einen geheimen Archipel der Glückseligkeit“ – alles klar?

Caroline Wahl: „22 Bahnen“ ist eine rührende Geschichte über Fürsorge

Buchcover  Caroline Wahl, „22 BAHNEN“
Buchcover  Caroline Wahl, „22 BAHNEN“ © Dumont | Dumont

Bleibt die Frage, ob die Hinwendung zum Schwimmbecken ein Trend ist, der übrigens insbesondere von den Verlagsstrategen im Hinblick auf die Covergestaltung bereitwillig ausgeschlachtet wird. Auch bei Caroline Wahls „22 Bahnen“ dominieren auf dem Umschlag helle Töne, im Buch drin aber vor allem dunkle. Die Wahlrostockerin erzählt von Tilda und Ida, einer Mathematik-Studentin und ihrer kleinen Schwester.

Ihre Mutter ist schwere Alkoholikerin und der Grund, warum Tilda anders als ihre Freunde nach dem Abi nicht das Weite suchte und immer noch in der Provinz lebt. Sie kümmert sich um ihre Schwester, die ausschließlich bei Regen ins Freibad geht und auch sonst Angst vor Menschen hat. „22 Bahnen“ ist die berührende Geschichte über Fürsorge, Verluste und das Überwinden von Hindernissen. Außerdem eine Lovestory, denn Tilda krault im selben Becken wie Viktor, der eine traumatische Vergangenheit hat. Das Freischwimmen ist aber die Metapher, die nicht unbedingt die Liebe meint – sondern das Aufschlagen eines neuen Lebenskapitels im Leben beider Schwestern.

Die erste Liebe ist immer für immer, nicht nur im Freibad

Stephan Lohses dritter Roman ist sein bislang bester. Angesiedelt im Jahr 1977 in einem unspezifisch bleibenden Hamburg, schildert diese Erzählung das Geschehen von knapp einem Monat nur. Von den Tagen, in denen der 14-jährige Julle mit seinem neuen Klassenkameraden Axel (schön, Hochhausbewohner, tote Mutter) durch die Gegend streunt. Ins Freibad geht, ein abgebranntes Häuschen findet. Die Schule besucht. Julle fragt sich, ob Hunde sein Schwulsein wittern können und solche Dinge. Vor allem, ob Axel seine Gefühle erwidert. Man ahnt, wie das ausgehen wird, und man staunt über Lohses Vermögen, das Zwischenmenschliche völlig unkitschig zu beschreiben. Die Szene, in der Julle seinem Vater sagt, was Sache ist – meisterhaft.

Die erste Liebe ist immer für immer, nicht nur im Freibad.