Hamburg. Saša Stanišić veröffentlicht Jugendroman „Wolf“. In Ottensen hat er jetzt viel mit Kindern zu tun – und wird fast dem HSV untreu.
Saša Stanišić hat dann einfach ein Buch dazwischengeschoben. Vorher hing er fest, kam nicht weiter. Beim eigentlichen Projekt, dem Nachfolgeroman seines Bestsellers „Herkunft“. Ein Versprechen für Hamburgerinnen und Hamburger: Es soll um ihre Stadt gehen. Um das Quartier zwischen Elbe und Barnerstraße, Ottensen also. Ein auch historischer Roman. „Ich habe viel mit meiner Nachbarschaft gesprochen, wahnsinnig viel gelesen“, sagt Stanišić, der Buchpreisgewinner.
Und dann die Frage: Wie kriege ich die Vergangenheit in die Gegenwart dieses Romans, der, folgt man seinen Ausführungen, ziemlich lebensprall sein dürfte? Er hat’s noch nicht raus, sagt Stanišić, der an diesem kühlen Frühlingstag bemerkenswert offenherzig von den Schreibhemmnissen spricht. Es kann sehr gut sein, dass das daran liegt, dass dieser Tage halt doch ein neues Buch von ihm erscheint. Es heißt „Wolf“. Ein Kinder- und Jugendroman. Da habe er genau gewusst, was und wie er es schreiben wolle, sagt der Schriftsteller, „ich wollte mich erst einmal nicht weiter quälen“.
Saša Stanišić: Los geht es mit einem Sperrmüllstuhl in Ottensen
Coole Sache. Schriftsteller, die nicht in ihren Projekten versumpfen, sondern sich aus dem Stocken herausschreiben. Weil man sehr neugierig ist, erzählt Saša Stanišić in dem Ottenser Café seiner Wahl (total klar, dass ihn eine ältere Dame auf seine Romane anspricht – er habe sie dafür bezahlt, sagt Stanišić und grinst) von beiden Büchern: dem noch nicht fertig geschriebenen und dem gerade gedruckten. Er erzählt auch vom Fußball, von der Wahl des Bundespräsidenten, vom Computerspiele-Zocken. Aber erst später.
Zunächst berichtet er vom alten Sperrmüllstuhl, der der Ausgangspunkt seines neuen, „richtigen“ Romans sein soll. Er ist der Ausgangspunkt einer Reise ins Früher. Ein Früher, in dem noch Straßenbahnen in Hamburg fuhren. In der Erzählgegenwart tritt ein deutschtürkischer Junge aus Ottensen auf. Und das ist dann der Konnex zu „Wolf“. Denn das, erklärt Stanišić, ist die Geschichte, die er schon immer erzählen wollte.
Neuer Jugendroman „Wolf“: Eine Erzählung über Mobbing unter Schülern
Eine Geschichte über Mobbing unter Schülern. „Wolf“ handelt also von jungen Leuten und ist für junge Leute, einerseits. Von Kemi, dem Teenager, der von seiner Mutter ins Ferienlager organisiert wird und dort mitbekommt, dass es die andern vor allem auf den Außenseiter Jörg abgesehen haben. Warum ist es so schwierig, Courage zu zeigen, sich auf Jörgs Seite zu schlagen? Und was hat das alles mit dem Wolf zu tun, der nachts in Kemis Träumen auftaucht?
Andererseits ist „Wolf“ ein Buch auch für Erwachsene. Saša Stanišićs Lieblingsvorstellung ist die: 45-jähriger Vater liest das Buch parallel mit seiner Tochter (14). Es könnte genau darauf hinauslaufen, das weiß er von den ersten Leserinnen und Lesern – beide Altersgruppen können mit der Story etwas anfangen. Warum dann nicht, „Tschick“ lässt grüßen, ein Titel, der nicht als „Kinder- und Jugendbuch“ vom Carlsen-Verlag ins Rennen geschickt wird?
„Wolf“: Man erkennt den unverwechselbaren Stanišić-Ton
Nun, sagt Stanišić, es ist halt eine in erster Linie an Jugendliche gerichtete Erzählung, erwachsene Leser sind also nur ein Bonus. Er will eine Botschaft senden, es geht um das Erreichen der Jugendlichen, das Sensibilisieren. Wer gemobbt wurde, ist fürs Leben geprägt, das kann man schon so sagen. Deshalb ist der Roman, der von Regina Kehn toll bebildert wurde, ein wichtiges Buch. Und eines, in dem man die Erzählerstimme Stanišićs unweigerlich erkennen kann, seinen typischen Ton, den Humor. „Wolf“ ist fraglos gut geschrieben, ein Knaller im Jugendbuchbereich. Und nicht Stanišićs erstes Buch für junge Menschen.
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Werte vermitteln: Wahrscheinlich und nicht zu aufdringlich und auch nicht in allererster Linie geht es darum in sämtlichen Stanišić-Texten. Im echten Leben als Familienvater natürlich auch. Sein Sohn Nikolai ist jetzt acht. Klappt es mit der bilingualen Erziehung? Im Fußball schon, erzählt Saša Stanišić.
HSV-Fan Stanišić: Angespannt bei jedem Spiel
Wenn es um Fußball geht, reden sie oft serbokroatisch miteinander. Zwar schaut sein Sohn nicht mehr die HSV-Spiele mit ihm („Ich bin da zu angespannt“), aber sie sind zusammen oft beim Kicken. Stanišić senior ist tatsächlich der Trainer des Juniors – in der F-Jugend von Teutonia Ottensen.
Einer musste den Job halt machen, sonst gäbe es die Mannschaft nicht. Also erklärte sich Stanišić mit zwei anderen bereit. Zuerst war es eher Pflichtgefühl, nun freut er sich aufs Training, sagt der 45-Jährige.
Er sieht, wie die Jungs besser werden. Und er weiß, dass er ihnen etwas mitgibt, das nicht direkt mit Sport zu tun hat, „man schimpft nicht mit dem anderen, nur weil er ein Eigentor geschossen hat, man fragt nach, ob alles okay ist, wenn einer liegen bleibt, das lernen die hier“. Fußball als Schule des Lebens, ja klar. Und auch: Was ein Ding, dass einer der prominentesten Autoren des Landes nun Jugend-Fußballtrainer ist.
Mit Bundesligatrainer Christian Streich bei der Steinmeier-Wahl
Es kommt dann Christian Streich ins Spiel. Christian Streich, Supertrainer, Supertyp, eh klar. Man wird ihn nachdem, was Stanišić erzählt, noch mehr mögen. Baden-Württemberg hatte beide, Stanišić und Streich, 2021 in die Bundesversammlung entsandt, zur Wahl des Bundespräsidenten. „Streich ist Leser“, sagt Stanišić. Die Aussage ist gewaltiger, als man denkt, wer liest denn schon im Profifußball?
Aber, ist unbedingt so: Wenn einer liest, dann Streich. Der Trainer des SC Freiburg hat, so berichtet es Stanišić, ihn, Stanišić, eher erkannt als er Streich. Würde man wirklich nicht denken.
Man sprach, über Literatur, über Fußball. Streich kam zu einer Lesung Stanišićs in Freiburg, danach ging man essen. Mit den famosen Freiburgern fiebert der notgedrungen Zweitliga-Erprobte mit. Nach dem Pokalcoup in München gratulierte Stanišić per WhatsApp; er zeigt einem kurz die Antwort Streichs. Und was denkt man da? Erstens: die sichtbare Freude an der Bekanntschaft mit dem bekannten Trainer, unbezahlbar. Zweitens: Streich schreibt „Saša“, nicht „Sasa“. Wie gesagt, ein Supertyp.
Saša Stanišić: Zu Hause wird auch mal „Minecraft“ gespielt
Das Thema Kindererziehung liegt nahe, wenn einer gerade ein Kinderbuch veröffentlicht. Im Hause Stanišić ist, wer könnte es den Eltern verdenken, die Bildschirmzeit reglementiert. Stanišić ist selbst Zocker. Er weiß, etwa um das Thema „Minecraft“ (Stanišić: „Ohne Monster und das ständige Vermöbeln von denen ein tolles Spiel“) kommt er nicht drum herum. Was Spaß macht, ist das gemeinsame Spielen, da ist der Vater dann auch großzügig.
Gemeinsame Welten zu bauen, das ist nicht nur im Hinblick auf Vater und Sohn eine schöne Metapher für deren Beziehung in ihren besten Momenten. Nein, Saša Stanišić hat auch seine Eltern mit dazugeholt. Die wohnen in Sarajevo, sind aber oft in Hamburg zu Besuch. Dann spielen sie mit ihrem Enkel „Minecraft“.
Aber gelesen wird auch immer, kann gar nicht anders sein.