Hamburg. Andrea Petković galt immer als etwas andere Tennisspielerin. Jetzt hat sie ein Buch geschrieben. Es ist eine Wucht.
Irgendein Flug mal wieder, diesmal zufällig aus Peking. Sie ist jobbedingt eine Meilensammlerin. Sie kommt also am hessischen Drehkreuz an, Push-Nachricht auf dem Handy: Jonathan Franzen liest am Abend im Schauspiel Frankfurt. Franzen! Ist aber ausverkauft. Und die alte Freundin, die sie sofort kontaktiert, hat erst mal überhaupt keinen Bock auf euphorisierte Ansprachen. Es ist acht Uhr morgens, als Andrea Petković sie anruft.
Ja, Andrea Petković, um die geht es hier. Andrea Petković, die Tennisspielerin. War in der Top Ten, WTA-Turniergewinne: sechs. Andrea Petković, die seit fast anderthalb Jahrzehnten auf der Tour ist und ihre Karriere derzeit so langsam ausklingen lässt. Sie hat einen Wohnsitz in Brooklyn. Sie moderiert die ZDF-„Sportreportage“. Sie war Kolumnistin bei der „Süddeutschen“ und schrieb auch für den „Spiegel“. Und bei Wikipedia steht jetzt auch, dass sie Schriftstellerin ist. Ihr erstes, gerade veröffentlichtes Buch trägt den extra-poetischen Titel „Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht“. Und es ist eine Wucht.
Literatur ist bei Petkovićein Retter in der Not
Zum Beispiel weil es, zurück zu Franzen, der Lektürebericht einer Literaturverrückten ist. Würde sie sich selbst so bezeichnen? Bestimmt. Im Frühjahr zum Beispiel hat Petković den Onlinebuchclub „Racquet Book Club“ gegründet. Das machen nur Leserinnen, die nicht genug bekommen können. So wie vor ein paar Jahren, als sie unbedingt zur Franzen-Lesung wollte. Die Freundin kommt schließlich mit, Karten gibt es dank Petkovićs Hartnäckigkeit doch noch – für die besten Plätze. Franzen spricht, wie immer, wenn er in Deutschland ist, deutsch. Er hat nicht so schlechte Laune wie sonst öfter, aber wahrscheinlich hätte sich Petković sowieso angestellt, um sich nach der Veranstaltung ein Buch signieren zu lassen. Sie labert ihn voll („I’ve read all your books and they are: FAN-TAS-TIC“), als sie dran ist. Und ihre Freundin sagt anschließend: „Wow, das war echt peinlich.“
So erzählt es Petković mit Witz und Selbstironie in ihrem Buch, der als Erzählungsband angelegt ist. Die Freundin ist übrigens amüsiert gewesen, nicht verärgert wegen Petkovićs Schriftstellergroupie-Aktion: „Du sahst so glücklich aus.“ Wie kann man da als Leserin oder Leser den Literaturenthusiasmus dieser Frau nicht toll finden? Vielleicht auch beinah anrührend?
Literatur als Lebensretter
Vor allem, wenn man sich an den Titel des Kapitels erinnert – „Best Day Ever“ – und seinen Anfang. An diesem Anfang ist Andrea Petković, die im Verlaufe ihrer Karriere von vielen, vielen Verletzungen Gebeutelte, überhaupt nicht glücklich. Ein Hotelzimmer in Melbourne, morgen steht eine Erstrundenpartie an. Sie hat eine Panikattacke: „Mein Herzschlag glich einem elektronischen Untergrundhit – dumpf, leblos, von Stroboskoplicht zerschnitten“. Aber dann kommt Dostojewski ins Spiel, „Schuld und Sühne“. „Als ich den ersten Satz las, legte sich eine allumfassende Ruhe über mein Gemüt“, schreibt Andrea Petković.
Wow.
Literatur als Lebensretter, denn ums nackte Überleben geht es ja oft während einer Panikattacke. Und ehe jetzt jemand spottet, die Autorin wolle sich wohl für die Stelle des Maskottchens des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels ins Spiel bringen, sei gesagt: Man glaubt ihr jedes Wort. Weil man schon vor diesem Kapitel, es ist eines der letzten dieses bemerkenswerten Buchs, schon so viele Kostproben von Petkovićs Literaturbiografie bekommen hat. „Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht“ ist eine Liebeserklärung an das Lesen, und es ist das fulminante Debüt einer begabten Autorin. Allein, wie dieses Kapitel arrangiert ist, verrät einiges über das dramaturgische Geschick der Schriftstellerin Andrea Petković.
Dieses Buch ist vieles. Vor allem eines, das die Kunst schafft, ein Sportbuch zu sein und doch auch wieder nicht. „Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht“ ist Memoire und Motivationsstoff für die, die es nach oben schaffen wollen. Es ist gleichzeitig eine Geschichte über Bi-Kulturalität und eine über den globalisierten Sport-Jetset. Es ist ein Buch über Selbstbehauptung und über das Finden einer Rolle abseits des Mainstreams. Es ist natürlich ein Buch über Tennis.
Sie lebt und schreibt gegen das Stereotyp vom antiintellektuellen Sportler
Wenn Petković, die 1987 in Tuzla, damals Jugoslawien, heute Bosnien und Herzegowina, geboren wurde und als Tochter bosnisch-serbischer Eltern in Darmstadt aufwuchs, von ihren beiden Heimaten berichtet, der deutschen und der ehemals jugoslawischen, denkt man natürlich an Saša Stanišić und seine „Herkunft“. Aber insgesamt ist „Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht“ ein anderes Buch. Wahrscheinlich auch, weil Petković nicht als Teenagerin, sondern bereits als Kleinkind nach Deutschland kam – vor dem Krieg auf dem Balkan.
Wo der Wahlhamburger Stanišić von Verlust und den Härten des deutschen Einwandererrechts schreibt, hat Petković ein anderes Thema. Sie lebt und schreibt gegen das Stereotyp vom antiintellektuellen Sportler. Und deswegen ist in ihrer Erzählung vom Aufstieg und den Niederlagen einer Starsportlerin, vom harten Brot der frühen Jahre, von den Verletzungen, Selbstzweifeln und der Einsamkeit die kulturelle Erweckung durch Literatur und Popmusik großflächig miteingewoben.
Petković offenbart ihre literarischen Vorlieben – Philip Roth und, er vor allen anderen: David Foster Wallace – und was sie dabei an textexegetischen Fähigkeiten zu Papier bringt, ist aller Ehren wert. Wenig überraschend hat sie das Tennis-Motiv im Werk der beiden genannten amerikanischen Giganten genau untersucht. Ihre erste Leidenschaft, der Sport, ist der Impulsgeber für die Durchdringung anderer Lebenswelten, die bei Petković in der Kunst zu finden sind. Und so heißt die Band, die sie als Reporterin auf einer Nordamerika-Konzertreise begleitete, es ist alles ganz herrlich: Tennis. Die Band heißt tatsächlich Tennis.
„Als Sportler ist man nicht per se dümmer als der Rest der Gesellschaft“
In einem Interview hat Petković (Abiturnote: 1,2) zuletzt gesagt: „Als Sportler ist man nicht per se dümmer als der Rest der Gesellschaft“. Das will sie erkennbar mit diesem Buch, das kurzweilig ist, zeigen.
Petković schreibt eine durchweg flüssige Prosa, in der das Romanhafte in der literarischen Re-Imaginierung längst vergangener Episoden liegt. Ihre frühen Europareisen als Jugendspielerin, die seltenen Ausbrüche aus der Mühle Leistungssport. Und: Die Etablierung und das Verwackeln von sozialen Beziehungen im Immer-Unterwegssein. Die Erzählerin blättert Szenen plausibel auf und ist dabei immer persönlich. Es sind Einblicke in ein Berufs- und Privatleben, das über Durchschnittsbiografien hinausgeht, wobei dies sicher noch weitaus mehr das Berufliche anbelangt.
Sätze wie „Tennis ist ein Abbild des Lebens“ mögen im Übrigen zunächst schal klingen. Petković schafft es aber, jeden Klischeeverdacht gar nicht erst aufkommen zu lassen, weil an derlei Vergleichen etwas dran sein muss, folgt man ihren Schilderungen. „Ich mochte es, mit dem großen Netz über die Spuren meiner Beinarbeit zu fahren, Glätte zu hinterlassen, wo Unruhe geherrscht hatte“, schreibt sie einmal. Den „Platz abziehen“ nennt man das in jedem Tennisverein. Hier kann es auch mehr bedeuten.
Mit ihrem Debüt rekapituliert Andrea Petković ihr Sportlerleben. Was ihre zweite Karriere angeht, wird es spannend sein zu verfolgen, ob sie der Welt über das Biografische hinaus etwas zu sagen hat, ob sie neue Themen findet.