Hamburg. Die Autorin Stefanie de Velasco über ihre Absage an die männliche „Good Job“-Attitüde und das Problem deutscher Romane.

„Glückwunsch, Sie sind nicht mehr schwanger“, sagt die strahlende Anästhesistin nach dem Eingriff zu Charlie. Charlie ist die Hauptfigur der Erzählung „Szechuan Tofu“, und die ist im gerade erschienenen Band „Glückwunsch: 15 Erzählungen über Abtreibung“ abgedruckt. Die Verfasserin Stefanie de Velasco, 1978 in Oberhausen geboren und in Berlin lebend, hat also mit ihrem einfühlsamen Text dem Buch seinen Titel gegeben.

Hamburger Abendblatt: Warum haben Sie bei „Glückwunsch“ mitgewirkt und eine Geschichte beigesteuert?

Stefanie de Velasco: Als die Anfrage kam, habe ich sofort zugesagt. So sehr Abtreibung in unserer Gesellschaft stigmatisiert und kriminalisiert wird – es ist doch ein recht alltägliches Thema. Jeden Tag werden Frauen ungewollt schwanger. Wie damit umgegangen wird, welche Entscheidungen Frauen treffen, was die ungewollte Schwangerschaft mit ihnen macht und warum sie sich gegen Mutterschaft entscheiden, darüber sollte geschrieben werden, weil es Gegenwart und Wirklichkeit ist.

Warum hat die Literatur sich bislang beim Thema Abtreibung Ihrer Meinung nach zurückgehalten?

Stefanie de Velasco: Ich weiß gar nicht, ob das tatsächlich der Fall ist – Tatsache ist, dass Schreiben über Schwangerschaftsabbrüche genauso stigmatisiert wird wie die Entscheidung selber. Es geschieht ganz schnell, dass das Erzählen über weibliche Lebenswelten abgewertet wird als sogenannte Frauenliteratur, im Englischen als „Confessional Literature“. Ich habe keine Lust, mich daran abzuarbeiten, ich schreibe dann doch am Ende, worauf ich Lust habe. Kritik bekomme ich eh.

Ihr Debüt „Tigermilch“ ist ein Mädchen-Coming-of-age-Roman. Das gab es vorher nicht so oft und war höchste Zeit. Auch, weil Frauen mehr lesen als Männer. Mangelt es insgesamt an weiblichen Stoffen?

Stefanie de Velasco: Die Stoffe waren schon immer da und werden ja zurzeit auch neu- und wieder entdeckt. Ich denke da an Autorinnen wie Octavia E. Butler oder Emine Evgin Özdamar. Problematisch ist, dass ein Haufen meist männlicher Kulturkaiser lange Zeit meinte, er könnte darüber entscheiden, was Weltliteratur ist und was nicht. Aber auch hier sehe ich mich nicht in einer kämpferischen Rolle. Ich schreibe das, was ich für wichtig halte. Wenn es gut landet so wie „Tigermilch“, dann freut mich das, aber ich warte nicht auf die Absolution, auf ein Schulterklopfen irgendwelcher Herren – so „Good Job“-mäßig. Am Ende zählt für mich nur, ob ich eine Wahrheit finde, für mich und für die Lesenden.

Mein Eindruck ist: es gibt ziemlich viele interessante weibliche Perspektiven, einfach viele Autorinnen, die in den vergangenen Jahren auf die Bildfläche getreten sind. Übrigens insbesondere in der deutschsprachigen migrantischen Literatur. Trotzdem sind Befunde wie die der Literaturwissenschaftlerin Nicole Seifert, dass das Werk von Autorinnen über lange Zeit als „banal, kitschig und trivial“ abgewertet wurde, nicht von der Hand zu weisen. Wie sehen Sie das?

Stefanie de Velasco: Da stimme ich absolut zu. Ich habe den Eindruck, dass die vielen migrantischen Stimmen die deutsche Literatur nicht nur aufwerten, sondern sie überhaupt erst wieder zu der Literatur von Weltrang machen, die sie einmal gewesen ist. Vielfältige Stimmen, vielfältige Identitäten und Herkünfte – politisch, witzig, emotional – das erinnert mich alles an meine vielgeliebten Autorinnen und Autoren aus den Jahren zwischen den Weltkriegen: Joseph Roth, Mascha Kaleko, Vicky Baum, Stefan Zweig.

Gibt es ein weibliches Schreiben? Wie unterscheidet es sich vom männlichen?

Stefanie de Velasco: Ich glaube nicht an ein weibliches Schreiben. Das empfinde ich als Einschränkung. Aber natürlich sind Autorinnen immer noch unterrepräsentiert. Es geht nicht um Geschlecht, sondern um Perspektive. Es gibt einen fantastischen Podcast, den ich zu dem Thema empfehlen kann, von der Hamburger Schriftstellerin Rasha Khayat. In „Fempire“ spricht Rasha Khayat in jeder Folge mit einer Schriftstellerin über ihre Lieblingsschriftstellerinnen, und da geht es dann auch immer um schreiben und lesen gleichermaßen. Sowas würde ich gern mal beim Deutschlandfunk hören.

Carlsen Verlag setzt auf Vielfalt und Diversität


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  • Gibt es eine Generation von Autorinnen, die sich noch freischreiben muss, weil sie mit dem Männer-dominierten Kanon groß geworden ist?

    Stefanie de Velasco: Ich denke, dazu gehören wir alle. Ich erinnere mich gut an ein Interview, das Daniel Kehlmann mal dem Spiegel gegeben hat. Wie selbstverständlich er sich in einer literarischen Tradition bewegte, an die er anknüpfen konnte – als männlicher Autor. Ich war damals erschüttert. Weil mir klar war, dass ich nicht auf so etwas zurückgreifen kann, weil alles systematisch vernichtet und verschüttet wurde. Es gibt dazu ein Buch von Joanna Russ, „How to Suppress Womens Writing“ – das ist so deprimierend, weil es nur Quellen enthält, wie Künstler systematisch das Werk ihrer Freundinnen, Ehefrauen, Schwestern unterdrückt haben. Inzwischen habe ich viele Autorinnen entdeckt, mit denen ich mich identifizieren kann, die mir als Vorbild dienen und wo ich zumindest versuche, anzuknüpfen, den Faden weiter spinne. Dazu gehört zum Beispiel Irmgard Keun. Als ich noch am Anfang meines dritten Romans stand – der ist inzwischen fertig –, dachte ich zwischendurch, was ist das bloß für eine alberne Sprache, so flapsig und die ganzen Bindestriche. Aber dann sah ich, dass Irmgard Keun das genau so macht, in „Gilgi“ und dem „Kunstseidenen Mädchen“ – und alles war wieder gut!

    Als wie patriarchalisch nehmen Sie den Literaturbetrieb wahr?

    Stefanie de Velasco: Ich nehme ihn vor allem als sehr deutsch wahr. Ich war gerade ein Barcelona, und immer wenn ich dort mit jemandem aus der Branche sprach, bestätigten die mir alle Vorurteile, die ich hege: Dass der deutsche Literaturbetrieb sehr versnobt und bildungsbürgerlich ist. Es geht so selten darum, gute Bücher zu schreiben, Wahrhaftiges zu schaffen, sondern viel um Anerkennung durch Preise und irgendwelche Long- und Shortlists. Hauptsache alle finden einen geschmackvoll, dann kann der Roman ruhig langweilig sein. Vielleicht werden deswegen so wenig deutsche Titel übersetzt ins Spanische oder Englische, und vielleicht hat es mir deswegen Spaß gemacht, einen Beitrag zur Anthologie beizusteuern, weil Abtreibung eben nicht geschmackvoll ist.