Hamburg. Ein Gespräch mit dem Soziologen Heinz Bude, der auch bei „Sorge – Angst – Hoffnung“ vom Literaturhaus Hamburg teilnimmt.

„Sorge – Angst – Hoffnung“ heißt eine dreiteilige Reihe, die vom 16. bis zum 18. Februar im Literaturhaus läuft. Beziehungsweise im Stream des Literaturhauses. Womit das Thema benannt ist: der Status der Welt im Angesicht von Bedrohungen wie der Klimakatastrophe und Corona. Hochrangige Wissenschaftler und Schriftstellerinnen haben sich angesagt oder sind zugeschaltet. Der Soziologe Heinz Bude, dessen bislang letztes Buch „Solidarität“ heißt, hat sich für den Abschlussabend angesagt, der dem Großthema Hoffnung vorbehalten ist.

Waren Sie erstaunt über die anfängliche Welle der Hilfsbereitschaft, als Pandemie und Lockdown für ungeahnte Härten sorgten?

Heinz Bude: Das hätte ich damals so nicht erwartet. Die meisten waren über sich selbst erstaunt. Wir sind gar nicht so kaltherzig und der Einzelnen nicht nur auf sich selbst bedacht. Solidarität war das Wort der Stunde. Eine große Rolle haben natürlich die Bilder aus Bergamo gespielt und der Gedanke: Es kann meine eigenen Großeltern treffen.

Und wie sehr sahen Sie das Abebben jener Hilfsbereitschaft voraus?

Bude: Mir war klar, dass sich bald eine Isolationsmüdigkeit einstellen würde, auch dass es Überforderungspanik in den
Familien geben würde. Und zudem ein Empfinden von Leistungsfrustration gerade unter den Leistungsindividualisten im Eigenbetrieb, die sich die Schullaufbahn ihrer Kinder und die Rückzahlung des Immobilienkredits genau zurechtgelegt hatten und sich jetzt durch Maßnahmen, auf die sie keinen Einfluss hatten, Schachmatt gesetzt sahen. Was ich allerdings nicht vorhergesehen habe, ist die jetzige Atmosphäre von Indolenz und Abgebrühtheit.

Was lernen wir aus Ihrer Sicht im aktuellen Disput um das angebliche „Impfdesaster“ über Solidarität als internationale Angelegenheit?

Bude: Wir kommen mit der Vorstellung eingeforderter Solidarität im Blick auf einen „europäischen Impfweg“ nicht mehr weiter. Stellen Sie sich mal vor: Viele Kommunen haben es noch im Dezember mit viel Engagement geschafft, ein Impfzentrum aufzubauen. Mit der stolzen Ansage an die Politik: Seht her, wir bekommen durch Zusammenarbeit mit den Krankenkassen sogar den Adresszugang zu allen Impfwilligen hin. Es ist alles vorbereitet, und dann heißt es: Es gibt aber leider nicht genug Impfstoff für Deutschland. Das muss eine riesige Enttäuschung nach sich ziehen. Da denkt im ersten Moment keiner mehr an europä­ische oder globale Solidarität bei der Vergabe der Impfdosen.

Was überwiegt in Ihrem Zwischenfazit über die Zukunft des Konzepts Solidarität – der Hoffnung machende Anfang oder die Rückkehr zu alten gesellschaftlichen Mustern?

Bude: Es gibt Hoffnung, um auch auf den Kernbegriff und das Thema des Abends im Literaturhaus zu kommen, weil wir mit den 30- bis 35-Jährigen eine Generation ausmachen können, die nach wie vor Solidarität übt. Homeschooling mit den Kindern auf der einen, die Sorge für pflegebedürftige Familienmitglieder auf der anderen Seite. Ich habe den Eindruck, dass die Sandwich-Generation von heute diese Situation trotz der enormen Belastungen als ihre generationsspezifische Bewährungsprobe hinnimmt und annimmt. Das ist ein Ausdruck lebenspraktischer Hoffnung, die man nicht mit einem blöden Optimismus verwechseln darf.

Was meinen Sie damit?

Bude: Optimismus ist nicht ehrlich und Optimismus hilft uns nicht. Die Optimistin und der Optimist sind im Grunde nervige Zeitgenossen. Sie blicken zum Fenster hinaus und erklären, dass besonders im Dauerregen ein schönes Grau am Himmel zu bewundern sei. Hoffnung dagegen heißt, dass der Einzelne an die Möglichkeit eines Gelingens glaubt. Durch eine Lücke im System können sich die Dinge mit einem Mal so wenden, dass wieder Licht am Ende des Tunnels zu erkennen ist. Auf einmal gab es einen Impfstoff, ausgerechnet aus Deutschland, dazu noch aus Mainz, nicht aus Berlin! Entwickelt von Wissenschaft­lerinnen mit Zuwanderungsgeschichte. Unternehmer, für die ihre Forschung im Mittelpunkt steht, die nicht mit ihrer Villa prahlen. Aber dieser Hoffnungsschimmer ist anscheinend verglüht.

Was wäre das Äußerste – oder Mindeste – an Solidarität, das eine Gesellschaft anzubieten imstande sein muss in der Corona-Krise? Reicht das Befolgen von Hygienekonzepten, um auch andere zu schützen – oder wäre ganz anders sogar an eine Corona-Abgabe zu denken, um den Staat weiter zu munitionieren, damit er gefährdete wirtschaftliche Existenzen retten kann?

Bude: Es ist, das ist ganz wichtig, eben keine Geldfrage. Geld hat mit Hoffnung nichts zu tun, wird aber im Hinblick auf Lösungsansätze immer schnell als die entscheidende Frage aufgerufen. Wer muss und wer soll bezahlen? Dabei appelliert der Gedanke an das Geld vor allem an die Angst: Komme ich am Ende zu kurz? Muss ich etwas geben und der andere nicht? Wer dankt mir das Opfer, das ich bringe? Wir müssen die Frage von Geld und Kredit anders denken: Dass wir uns wegen der Pandemie in so gewaltigem Maße verschulden können, das wäre noch vor zwei Jahren undenkbar gewesen. Dass wir dazu in der Lage sind, ist mehr als alles andere ein Zeichen der Hoffnung. Wir geben uns das gemeinsame Rückzahlungsversprechen für einen Kredit, den wir uns selber gewährt
haben.

Ihr Kollege Armin Nassehi sagte zuletzt in einem Interview, die Corona-Krise offen­bare ein großes Problem: Unsere gegenwartsorientierte Kultur richte sich immer nur nach der Situation, die aktuell vorherrsche. So habe im relativ freien Sommer zwischen den beiden Corona-Wellen niemand vorausschauend denken wollen. In einer solchen Gesellschaft sei es schwer, kollektiv zu handeln. Wie sehen Sie das?

Bude: Arnim Nassehi hat recht damit, dass zunächst und zumeist die Gegenwart zählt. Aber jede Gegenwart hat auch ihre Zukunft. Was jetzt der Fall ist, wissen wir erst, wenn wir eine Vorstellung von dem haben, was der Fall sein könnte. Eine Gesellschaft gewinnt in dem Maße ihre kollektive Handlungsfähigkeit, wie sie an ihre Zukunft glaubt.

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Was gibt Ihnen außerdem Hoffnung in diesen Tagen?

Bude: Zum Beispiel, dass bei Joe Bidens Amtseinführung der den Republikanern nahestehende Countrysänger Garth Brooks das Gospel „Amazing Grace“ singt, das Barack Obama bei der Trauerfeier für die Opfer des Attentats von Charleston gesungen hat. Und dass Lady Gaga die amerikanische Hymne singt und damit zum Ausdruck bringt, dass eine Hoffnung besteht, wenn alle ein Gefühl dafür haben, was auf dem Spiel steht.

„Sorge – Angst – Hoffnung“ im Literaturhaus-Stream, 16.2. mit Natalie Knapp, Jonas Lüscher und Klaus Lieb, 17.2. mit Roman Ehrlich und Annette Pehnt, 18.2. mit Petra Bahr, Heinz Bude und Philipp Hübl. Beginn jeweils 19.30 Uhr, Streaming-Tickets zu jeweils 5,- und Kombi-Ticket zu 12,- sowie alle Informationen unter www.literaturhaus-hamburg.de