Hamburg. Andreas Stichmanns Roman „Eine Liebe in Pjöngjang“ erzählt großartig von einer Liaison im toten Winkel der Welt.
Mit Russland muss man sich nicht lange aufhalten. Für den Augenblick das böseste Land der Welt, weil: Andere Länder überfallen geht gar nicht. Omnipräsent sind die Bildern, die Schreckliches zeigen; man will es gar nicht mehr mit ansehen. Also, lenken wir uns ab. Tauchen wir ein in die Lektüre von Andreas Stichmanns neuem Roman „Eine Liebe in Pjöngjang“, der von einem Land erzählt, das seinen Status als Schurkenstaat Nummer eins erst einmal los ist.
Von Nordkorea also, dem Flecken im toten Winkel des Erdballs, in dem die Raketen blühen. Was die Hoffnungen angeht, ist nach dem bizarren Trump-Kim-Jong-un-Gebalze erst mal Herbst angesagt. Das karge Pflänzlein ist eingegangen, der „Oberste Führer“ der Demokratischen Volksrepublik Korea trifft keine südkoreanischen oder amerikanischen Politiker mehr.
Was für ein armes, abgewirtschaftetes, gefährliches Land jenes Nordkorea ist. Ein Land ohne Licht, in Brauntönen. Ein Land, in dem die Ideologie den Alltag durchdringt, die Partei alles bestimmt, der Morgen schwefelgelb dämmert. Ein Land, das sich in Klischees erzählen lässt. Wie gut, dass Andreas Stichmann dies nicht tut oder geschickt so, dass man es nicht merkt. Ein Merkmal großer Erzähler. Stichmann, der 1983 in Bonn geboren wurde, einst in Leipzig am Schreibinstitut lernte, ein paar Jahre in Hamburg lebte (inzwischen natürlich: Berlin), ist also ein großer Erzähler. Als solchen muss man ihn spätestens jetzt aufrufen. „Eine Liebe in Pjöngjang“ ist eine beglückende Leseerfahrung, ein Text, der federleicht, melancholisch und smart von der Erfahrung des komplett anderen erzählt.
Claudia Aebischer, 50 Jahre alt, eine privilegiert (nach DDR-Maßstäben) in Jena aufgewachsene Bibliotheksfunktionärin, hat beschlossen, auszusteigen aus der beruflichen Mühle. Ein Buch schreiben will sie nun, endlich Poesie betreiben. Der letzte Trip als Reiseleiterin eines Trupps deutscher Kultur- und Journalismusmenschen führt sie nach Pjöngjang, wo eine deutsche Bibliothek eröffnet werden soll. Dort trifft sie auf die 20 Jahre jüngere Nordkoreanerin Sunmi, die formell als Dolmetscherin fungiert und in der Tourismusbehörde angestellt ist. Gleichzeitig ist Sunmi aber, und das weiß Claudia bestenfalls im alleruntersten Bewusstsein, eine Agentin der Demokratischen Volksrepublik Korea. Als solche soll sie die Deutsche als Werbeträgerin des kommunistischen Staates gewinnen. Claudia soll in einer Rede die Herrlichkeiten des Landes loben.
Zwischen den beiden Frauen beginnt eine zarte Liaison, eine Liebe in Gedanken. Ein Plan wird abgemacht, nicht explizit ausgesprochen und selbst das nur in der Sauna, dem einzigen Ort, an dem die Macht nicht mithört. In Sunmis Heimatregion, wo die Propaganda-Show mit deutscher Unterstützung stattfinden soll, will Sunmi unter Claudias Mithilfe die Flucht antreten. Über einen geheimen Pfad nach China.
Wie sollte man das amouröse Drama, das nur der Platzhalter ist für die Unmöglichkeit einer Verständigung zwischen Diktatur und freiem Westen, als etwas anderes sehen als eine lebensweltliche Unmöglichkeit? Ein Kammerspiel in nur ein paar klaustrophobischen Akten? Nordkorea ist das unzugänglichste Land der Welt, Besucherinnen und Besucher sind handverlesen.
Der begnadete Stilist Stichmann, der die Reduktion der Form den Wortkaskaden vorzieht, entfaltet auf etwa 150 Seiten ein Erzählpanorama, dessen geografischen Gegenstand er aus eigener Anschauung kennt. 2017 bereiste er das Land, und es ist die grandiose Anfangsszenerie von „Eine Liebe in Pjöngjang“, in der mit spöttischem Ton das Unbehagen der aus dem Westen Anreisenden ausgestellt wird. „Mehr! Mehr Beruhigungen! Äugte es zu ihr hoch“ – Claudia Aebischer ist eine kinderlose Frau, die mütterliche Instinkte später, als es um Sunmis Schicksal geht, erst recht nicht unterdrücken kann. Wie sollte man gerade 2017, als sich das nukleare Posieren Kim Jong-uns dem Höhepunkt näherte und das Schicksal des in Nordkorea zu Arbeitslagerhaft verurteilten US-amerikanischen Studenten Otto Warmbier die Schlagzeilen beherrschte, anders als nervös im Land der Kims reisen?
Der Rowohlt-Verlag verkauft Stichmanns dritten Roman offensiv als die andere Möglichkeit, von Nordkorea zu erzählen. Der normale Vorgang wäre das Veröffentlichen eines Reportagetextes. Stichmanns ästhetische Entscheidung, die kleine Geschichte einer kurzen Begegnung unter für beide Seiten gefährlichen Vorzeichen zu erzählen, erweist sich aufgrund seiner kompositorischen Könnerschaft als richtig. Die Lebensumstände, die betonierten Überzeugungen der Unterdrückten und nicht zuletzt die sympathische, bittersüße, aber auch romantisch verblödete Neigung einer Frau, die sich wehrlos in ihr mit einem Mal auftretendes Rettersyndrom ergibt, werden zu einem Plot geschmiedet, der sowohl zur Tragödie als auch zur Komödie taugt.
Der Autor Stichmann hat ein Faible für anti-westliche Staaten. Für sein Rowohlt-Debüt „Das große Leuchten“ (ein Erzählungsband war vorher bei den Talentfindern von Mairisch erschienen) wurde er einst von einer Iran-Reise inspiriert. Indem er in seinem neuen, kühnen Roman, eines der besten Bücher der Saison, auch aus der Perspektive Sunmis erzählt, unterzieht er den Westen einem Selbst-Check.
„Menschen, die kapituliert haben, flüchteten sich in Romanzen“, heißt es am Ende. Was in den meisten Erdteilen keiner Überprüfung standhielte und allemal traurig wäre, wäre es wahr.