Hamburg. Der Schriftsteller Mirko Bonné spricht über seinen neuen Roman, unschöne Eingriffe ins Stadtbild und den ultimativen Hamburg-Text.

Mirko Bonné veröffentlichte vor einigen Monaten einen neuen Roman, der von der unwahrscheinlichen Freundschaft eines alten, sterbenden Mannes und einer jungen linken Aktivistin erzählt. Am 5. Oktober stellt Bonné „Alle ungezählten Sterne“ im Literaturhaus vor.

Ihr Roman ist, unter anderem, eines der schönsten Hamburg-Bücher des Jahres. Ihr Romanheld entdeckt auf seine letzten Tage die Liebe zu seiner Vaterstadt. War Ihnen die Hamburg-Hommage ein dringendes literarisches Anliegen, Herr Bonné?

Mirko Bonné: Schon in meinen Romanen „Nie mehr Nacht“ und „Lichter als der Tag“ ist Hamburg Ausgangspunkt und Haupthandlungsort. Ich lebe nun seit fast 50 Jahren in der Hansestadt, aber erst seit zehn, zwölf Jahren fühle ich mich als Hamburger. Das Wesen Hamburgs, sein Pulsen, Sprechen, Schweigen und Grölen, interessiert mich auch als Schriftsteller und Dichter immer mehr.

Ist Hamburg ein dankbarer literarischer Gegenstand?

Mirko Bonné: Auf jeden Fall. Man denke nur an die uralte Hamburger Feuergeschichte, eine Chronik des Verbrennens sozusagen. Seit ich denken kann, faszinieren mich Schiffe und Häfen. Aber am meisten angesprochen auf Lesungen werde ich auf meine Beschreibung des unvergleichlichen Lichtes im Hamburger Hauptbahnhof.

Ihre Figur Benno Romik schaut, Stichwort „Mühlenberger Loch“, auch auf ein Hamburg, das stets im Wandel ist. Wie blicken Sie auf Hamburg? Sehen Sie hinter dem Heute immer auch das Gestern?

Mirko Bonné: Das ist wohl so. Ich würde mich nicht als rückwärtsgewandt bezeichnen, eher als geschichtsbewusst, nicht als konservativ, doch als bewahrend. Überlieferung stellt für mich ein zentrales poetisches Anliegen dar: Geschichte, die aus Geschichten entsteht. Und wer meine Romane kennt, weiß, dass es mir dabei nicht um Beschönigung oder Darstellung von Schönem geht, sondern dass etwa die Verheerung von einem Fünftel des Mühlenberger Lochs vor rund 20 Jahren – damals ein Naturschutzgebiet – einem eiskalt wirtschaftlichen Kalkül Rechnung trug. Das sollte nicht vergessen, sondern hinterfragt werden.

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In „Alle ungezählten Sterne“ steht eine Aktivistengruppe im Mittelpunkt. Die „Zertrümmerfrauen“ gehören zum G20-Umfeld. Was gab den Ausschlag für diese Themenwahl?

Mirko Bonné: An Politik bin ich als Bürger interessiert, als Autor widme ich mich den Menschen, ihrer Geschichte(n), Zusammenhänge und Verwerfungen. Was führt eine Figur wie meine 21-jährige Hollie Magenta dazu, ernst zu machen mit dem Widerstand und abzutauchen? Daran knüpft sich die Frage nach Alternativen zu dem bürgerlichen Konsumdasein als Verbraucherinnen und Verbraucher, das wir fast alle so kritiklos führen.

Mirko Bonné wurde in Tegernsee geboren und kam als Jugendlicher nach Norddeutschland.
Mirko Bonné wurde in Tegernsee geboren und kam als Jugendlicher nach Norddeutschland. © Beowulf Sheehan | Beowulf Sheehan

„Alle ungezählten Sterne“ handelt von der Sprachlosigkeit zwischen den Generationen, von gegenseitigem Unverständnis. Haben Sie Sorge, dass zwischen Alten („Boomern“) und jungen Aktivisten, etwa denen der Letzten Generation, eine Kluft entsteht, die sich nicht mehr schließen lässt?

Mirko Bonné: Kluft, fürchte ich, ist bereits Realität – und schlimmer: Sie wird instrumentalisiert von Leuten, die sich davon etwas versprechen und deshalb an Versöhnung kein Interesse haben. Es läuft ein so tiefer Riss durch unsere Gesellschaft wie zuletzt 1968, wenn nicht sogar wie nie zuvor. Man wirft meinem Roman vor, ich würde die Brückenmetapher überstrapazieren, sie sei klischiert. Da bin ich anderer Ansicht. Gerade in Hamburg gehören Brücken zum Alltagsleben und stehen uns als Verbindungen lebendig vor Augen. Welche Alternative gibt es zum gegenseitigen Aufeinanderzugehen?

Um auf das literarisierte Hamburg zurückzukommen: Fällt Ihnen ein ultimativer Hamburg-Text ein, Prosa oder Gedicht, wenn Sie in die Literaturgeschichte blicken?

Mirko Bonné: Ich liebe unverändert Wolfgang Borcherts „Draußen vor der Tür“. Seine Sprache, seine Bilder sind warm und aus dem Staunen über die Zerbrechlichkeit des Alltäglichen gegriffen.