Siegen. Janina Singh (29) aus Siegen tritt für die Grünen bei der Europawahl am 9. Juni an. Sie bekommt viel positives Feedback, online aber auch Hass.
Ihre Chancen stehen nicht schlecht. Mit Listenplatz 19 könnte Janina Singh nach der Europawahl am 9. Juni ins EU-Parlament einziehen. Damit wäre die 29-Jährige nach eigenen Angaben die erste Person aus Siegen mit einem Sitz in Brüssel. „Europa hat mich schon immer fasziniert“, begründet sie ihre Kandidatur. Ihr Fokus liegt vor allem auf technologischer Entwicklung und Innovation, Digitalisierung, internationalen Beziehungen und dem Kampf gegen Diskriminierung.
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„Die EU wird oft unterschätzt“, sagt Janina Singh, die nach ihrem Bachelor in europäischem Wirtschaftsrecht einen Master in Pluraler Ökonomik anschloss und nun als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bundestag tätig ist. Viele Menschen würden beim Stichwort „EU“ immer noch an den Krümmungswinkel von Gurken und bürokratischen Irrsinn denken, doch tatsächlich würden auf EU-Ebene „große Linien festgelegt“, die für die Politik der Mitgliedsstaaten wesentlich seien. Die Wahlbeteiligung in Deutschland lag bei der jüngsten Europawahl im Jahr 2019 zwar bei 61,4 Prozent, in früheren Durchgängen aber oft deutlich unter der 50-Prozent-Marke. Und gerade im Moment, wo sich überall in Europa rechte Parteien in Stellung bringen, von denen viele die EU schwächen oder gar abschaffen wollen, sei es wichtig, „dass möglichst viele Menschen mitmachen und demokratischen Parteien ihre Stimme geben“, sagt die Siegenerin.
Siegen: Janina Singh (29) will für die Grünen bei der Wahl am 9. Juni ins Europaparlament einziehen
Gemessen daran, wie die politischen Lebensläufe von Kandidatinnen und Kandidaten üblicherweise aussehen, ist die 29-Jährige erst relativ kurz dabei. Das liegt nicht nur an ihrem verhältnismäßig jungen Alter. Erst während des Studiums „habe ich überlegt, mich zu engagieren“, erzählt sie. Den Grünen sei sie vor vier Jahren beigetreten, „dann ging es schnell“. Seit 2021 ist sie Vorsitzende des Kreisverbands Siegen-Wittgenstein, seit 2022 Beisitzerin im Bezirksvorstand Westfalen, außerdem in diversen anderen Funktionen aktiv. Dass sie nun mit Position 19 einen „guten Listenplatz“ bekommen habe, „ist eine Riesenchance. Und es freut mich, dass mir dieses Vertrauen entgegengebracht wird.“
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Dass sie sich für den Weg in die Politik erst vor vergleichsweise kurzer Zeit entschied, macht sich im Gespräch auf durchaus angenehme Art bemerkbar. Janina Singh benutzt nicht den üblichen Politikjargon. Sie verzichtet auf schwammige Formulierungen, sie bläht nichts auf. Sie sagt, was sie zu sagen hat, und lässt das stehen. Die Themen, die ihr besonders wichtig sind, benennt sie konkret. Die Verbindung von ökologischer Nachhaltigkeit und sozialer Gerechtigkeit mit technologischem Fortschritt zum Beispiel. Oder eine Stärkung der Zusammenarbeit mit Indien, mittlerweile das bevölkerungsstärkste Land der Welt. Als Tochter einer polnischen Mutter und eines indischen Vaters, die auch regelmäßig Familie in Indien besucht, „habe ich ein besseres Verständnis für Kultur, Politik und Wirtschaft – und die Bedeutung von Religion“. Wichtig sei es, im Kontakt mit anderen Staaten „auf Augenhöhe zu kommunizieren, nie von oben herab“; was allerdings nicht ausschließe, Missstände anzusprechen. „Aber das ist immer ein Balanceakt.“
Siegener EU-Kandidaten Janina Singh: Digitalisierung und Kampf gegen Diskriminierung stärken
Digitalisierung ist ebenfalls einer ihrer Schwerpunkte, sowohl mit Blick auf leistungsfähige Infrastruktur und Technologien als auch in inhaltlicher Dimension – wenn es beispielsweise um Hatespeech geht. Persönliche Erfahrungen musste sie bereits machen. „Ich bin seit einem halben Jahr auf TikTok. Ich bin noch nie so übel beleidigt worden.“ Vor allem Pöblerinnen und Pöbler aus der erzkonservativen bis rechten Ecke sähen bei ihr „dreifach Angriffsfläche: als Frau, als Grüne und als Mensch mit Migrations-Vordergrund“. Das Problem persönlicher Angriffe und psychischer Gewalt im Internet, das fast alle Leute betrifft, die online in Erscheinung treten, „müssen wir auf EU-Ebene angehen“.
Entscheidung am 9. Juni
Sollten die Grünen in Deutschland bei der Europawahl am 9. Juni mindestens 18,5 Prozent der Stimmen erhalten, könnte Janina Singh mit Listenplatz 19 bereits einen Sitz im EU-Parlament bekommen. 2019 erreichten die Grünen 20,5 Prozent. In aktuellen Umfragen landen sie bei 17 Prozent. Aber Umfragen sind das eine, reale Ergebnisse das andere.
„Ich möchte versuchen, auch Communitys zu erreichen, die sonst nicht zur Wahl gehen“, erklärt die 29-Jährige – vor allem Wahlberechtigte mit Migrationshintergrund. Dies sei nicht nur für ihr eigenes Ergebnis wichtig, sondern auch für Europa: Je mehr Menschen für demokratische Parteien abstimmen, umso geringer der prozentuale Anteil, der auf rechte Parteien entfällt.
Diskriminierung hat sie allerdings auch im analogen Alltag bereits erlebt – und „das nehme ich in den Kampf gegen Ausgrenzung mit“. Sie besuchte mit dem Fürst-Johann-Moritz-Gymnasium zwar eine „Schule ohne Rassismus“, blieb aber von entsprechenden Äußerungen dennoch nicht gänzlich verschont. Außerdem bekam sie es hautnah mit, wenn sie mit ihrer Familie unterwegs war. Ihre polnische Mutter habe blonde Haare und grüne Augen, ihr indischer Vater sei ein dunklerer Typ. „Wenn man beobachtet, wie ungleich die eigenen Eltern deshalb behandelt werden, hinterlässt das schon einen Eindruck.“
Siegen: Grüne EU-Kandidatin Janina Singh – viel Zuspruch von jungen Menschen
Ein weiteres Feld, das Janina Singh intensiver in den Blick nehmen möchte, kristallisierte sich während ihrer bisherigen Wahlkampfarbeit heraus. Seit Anfang April ist sie ständig unterwegs, vornehmlich in Nordrhein-Westfalen und bisher vor allem an Schulen, weil diese Veranstaltungen zur Europawahl organisieren. Die Reaktionen, die sie dabei bekommt, seien „bis jetzt immer sehr positiv“, berichtet sie. Die 15- bis 18-Jährigen, die sie trifft, würden sich oft mit Zukunftsfragen beschäftigen, etwa mit der Klimaproblematik. Mädchen würden sie auch sehr oft auf Gleichberechtigung ansprechen und auf Sorgen, weil da noch einiges im Argen liege. Die Jungwählerinnen und -wähler haben also Themen auf dem Schirm, die klassisch von den Grünen belegt sind.
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Ob es auch beim nun angelaufenen Straßen- und Haustürwahlkampf so harmonisch bleibt, wird sich zeigen. Janina Singh hat jedenfalls bis zum 9. Juni volles Programm. „Ich bin sehr viel unterwegs, bin jeden Tag woanders. Das ist anstrengend, macht mir aber viel Spaß. Ich lerne total viel, lerne viele Menschen kennen, auch viele Unternehmen.“ Auswärts zu übernachten vermeidet sie nach Möglichkeit. Lieber kehrt sie abends nachhause, nach Siegen zurück. Wegen ihrer Arbeit in Berlin hat sie zwar seit zweieinhalb Jahren auch eine Wohnung in Friedrichshain, doch „ich bin kein Großstadtmensch. Ich mag Siegen echt gerne und freue mich immer sehr, wenn ich hier herkomme.“
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