Siegen. Frauen haben es in der Gaming-Szene oft schwer. Die Siegener Medienwissenschaftlerin Finja Walsdorff beobachtet positive Veränderungen.
„Geh lieber in die Küche und mach mir ein Sandwich”, heißt es im von Videospielen öfter zu Frauen. „So schlecht, wie du bist, musst du eine Frau sein.” Viele Gamerinnen leiden in der Videospielszene unter Sexismus und Ausgrenzung. Mit Blick auf die Gamescom spricht Finja Walsdorff, Professorin für Medienwissenschaft, Medienkommunikation und Gender Media Studies an der Uni Siegen, über mögliche Gründe, aber auch über positive Entwicklungen in der Szene.
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Beleidigungen: „Geh in die Küche“
„Durch diese genderspezifischen Formen der Diskriminierung und Belästigung wird es Frauen erschwert, am Hobby Gaming zu partizipieren”, sagt Finja Walsdorff. Besonders im rauen, älteren, immer noch sehr beliebten „Counter Strike: Global Offensive” (CS:GO), das 2012 erschienen ist, sei der Frauenanteil gering. Fünf Mitspieler treten online gegen fünf andere an, mit Verteidigern und Angreifern, bei dem das Schießen mit Waffen die Kernmechanik ist – deswegen heißt dieses Genre „Shooter“.
Um koordiniert spielen zu können, müssen die Teams jeweils miteinander kommunizieren und Informationen über das Spielgeschehen teilen – dies geschieht dann meist über den Sprachchat. „Der Ton bei wettbewerbsbasierten Spielen ist generell oft rau. Sind Frauen im Team, dann haben die Beleidigungen aber eine andere Qualität und zielen auf ihr Geschlecht ab. Sprüche wie ‚Geh in die Küche und mach mir ein Sandwich‘ sind dabei noch ein harmloseres Beispiel für das, was Spielerinnen sich in Multiplayer-Titeln täglich anhören müssen”, berichtet die Expertin, die selbst passionierte Gamerin ist.
Counter Strike wird von Frauen gemieden
Das Shooter-Genre sei aber nicht der Grund für den geringen Frauenanteil bei „Counter Strike”. „Die Forschung zeigt, dass Frauen öfter Spiele spielen, die auch weibliche Charaktere und Skins zur Wahl anbieten“, so die Expertin. Als „Skins“ wird das Aussehen der Figuren bezeichnet. So seien auch mehr Frauen in der Community des „CS:GO”-Konkurrenten „Valorant” vertreten. Valorant hat das gleiche Spielprinzip wie CS:GO, ist aber bunter gestaltet und verfügt über eine Charakterauswahl. Die Spielerinnen entscheiden sich dann oft für weibliche Figuren, berichtet Finja Walsdorff: „Marktdaten der Firma Riot Games zeigen, dass 97 Prozent der Frauen in League of Legends tatsächlich einen weiblichen Avatar wählen.”
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Bei „League of Legends” treten ebenfalls zwei Teams je fünf Spieler gegeneinander an. Hierbei können die Spieler jedoch aus 145 verschiedenen fiktiven Fantasy-Charakteren auswählen, die sie in der Vogelperspektive steuern. Das Ziel ist es, die Basis des Gegners zu zerstören. Bei diesem Multiplayer-Online-Battle-Arena-Computerspiel, kurz MOBA, geschieht die Kommunikation, anders als bei CS:GO und Valorant, über den Chat, nicht über Mikrofone. „Doch auch dort werden Frauen dann beleidigt”, berichtet die Expertin. Zum Teil werden Spielerinnen und Spieler als Frau beleidigt, wenn sie schlecht spielen – unabhängig davon, ob die andere Person überhaupt weiß, welches Geschlecht den Charakter steuert.
Mädchen werden nicht an die Konsole gelassen
Auf den Sexismus sowie auf den Rassismus und die Diskriminierung reagieren die Spielentwickler mit einer Funktion, andere Spieler aufgrund ihres Verhaltens melden zu können. „Leider bleibt oft unklar, welche Folgen es hat, wenn man jemanden im Spiel meldet“, kritisiert Finja Walsdorff. „Die Konsequenzen für grenzüberschreitendes Verhalten sollten transparenter sein.“ Eine weitere Möglichkeit ist die Stummschaltung der anderen Spieler, auch wenn dies das Spielerlebnis, aufgrund der fehlenden Informationen, erschwert. „Zum Teil suchen Frauen über Foren und Apps wie Discord gezielt nach anderen Mitspielerinnen, um so einen persönlichen Safe Space im Gaming zu schaffen und Belästigungen aus dem Weg zu gehen.”
E-Sport ist der sportliche Wettkampf unter den besten Spielerinnen und Spielern der Online-Computerspiele. Dass weniger Frauen im E-Sport vertreten sind, liege daran, dass generell weniger Frauen spielen, was bereits auf ihre Sozialisation zurückzuführen sei: „Wenn man sich anschaut, wer in deutschen Haushalten in der Kindheit und Jugend Zugang zu Konsolen erhält, dann sind das in der Regel die Söhne. Viele Spielerinnen berichten, dass sie ihren Brüdern lange über die Schulter gucken mussten, bevor sie endlich mal selbst spielen durften. In wettbewerbsbasierten Spielen müssen sie dann zum Teil einiges aufholen, um sich an männlichen Spielern messen zu können“, so Finja Walsdorff. „Zum Teil realisieren Eltern erst bei den ersten Turniersiegen und monetären Erfolgen der Tochter, dass E-Sport eine richtige Karriere sein kann.“ Es gebe auch „Female Leagues“, wo nur Frauen gegeneinander antreten, jedoch „wollen die meisten eigentlich in gemischten Ligen spielen.”
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Community rückt zusammen
Neben mehr weiblichen Charakteren in Online-Spielen und eingebauten Funktionen zum Schutz der Spielerinnen und Spieler hat sich auch die Rolle der weiblichen Spielfigur in Einzelspieler-Spielen, wie zum Beispiel bei „Super Mario”, verändert. Im originalen Videospiel muss Mario die Prinzessin retten und darf sie am Ende küssen – dies ist nun anders: „Die klischeehaften Bilder, die wir Jahrzehnte in digitalen Spielen gesehen haben, weichen nach und nach progressiveren Darstellungen. Stark sexualisierte Frauenfiguren oder weibliche Figuren, die ausschließlich in der Opferrolle gezeigt werden, sind heute eher selten.” Auch der neu erschienene Mario-Film zeigt die Prinzessin als starke, eigenständige Frau. Die Entwicklerstudios hören zum Teil dabei auch auf die Rezensionen der Leute: „Fans setzen sich mithilfe von Petitionen durchaus für mehr Gleichberechtigung und diversitätssensiblere Darstellungsformen im Gaming ein. Zum Teil orientieren die Studios sich daran und setzen die Fan-Wünsche auch um.“
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Gaming ist ein beliebter Unterhaltungsinhalt auf Streaming-Plattformen wie Twitch oder Youtube. Die Nutzerinnen und Nutzer können live ihr Videospiel für ihre Zuschauer streamen, die im Chat mit ihnen dabei kommunizieren können. „Doch auch da ist es sehr männerdominiert”, sagt Finja Walsdorff. Die Streamerinnen werden oft auf ihr Aussehen reduziert. „Den Frauen wird dann vorgeworfen, sie könnten durch ihr gutes Aussehen leicht Reichweite generieren. Männer müssten indes hart für ihren Erfolg arbeiten. Tatsächlich ist es aber nicht so, dass Streamerinnen aufgrund ihres Geschlechts automatisch erfolgreicher sind.“ Auf den Streaming-Plattformen sei die Community-Unterstützung aber auch stärker, um die Streamer vor Hassnachrichten zu schützen.
Am Ende kann jeder helfen
Finja Walsdorff sieht trotz der vielen aktuellen Vorfälle eine positive Entwicklung. „Es sind heute viele Frauen im Gaming aktiv, was eine tolle Entwicklung ist. Über die genderbasierte Diskriminierung und Hate Speech im Gaming muss aber auf jeden Fall weiterhin gesprochen werden.“ Gerade Events wie die Gamescom können dafür eine große Bühne bieten. Auch Influencer sollten sich zu Wort melden, doch am Ende kann jeder helfen – Zivilcourage ist das Schlüsselwort: „Oft kann man sich selbst nicht wehren, wenn man belästigt wird. Spielerinnen und Spieler sollten zusammenhalten und sich für andere einsetzen, wenn sie Diskriminierung und Belästigung im Voice Chat mitbekommen. Es ist wichtig, den Betroffenen zu zeigen, dass sie nicht alleine sind“, betont Finja Walsdorff. „Denn eigentlich bringt Gaming mit anderen Leuten viele schöne Momente.“
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