Siegen. Das Siegener Start-up eleQtron arbeitet an Entwicklung von Quantencomputern: „Wie Dr. Snuggles, James Bond und Raumschiff Enterprise auf einmal“.

Wenn seine Firma Erfolg hat, wird die Welt eine andere sein. „Es geht ins Unfassbare“, kündigt Jan Henrik Leisse an, einer der drei Gründer und Geschäftsführer des Siegener Start-ups „eleQtron“. Das Team beschäftigt sich mit der Entwicklung von Quantencomputern, die Dinge können werden, die selbst die aktuellen Supercomputer bei weitem übertreffen. „Stellen Sie sich eine Mischung aus Entdeckung des Feuers, Buchdruck und Nukleartechnik vor – und Sie sind nicht einmal dicht an dem Umbruch dran, den Quantencomputing für die Menschheit bedeuten wird“, fügt er hinzu.

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Solche Perspektiven könnten einem Angst machen. Machen sie dem 45-Jährigen aber nicht. „Es ist auch für mich ehrfurchteinflößend, dass wir hier an so einem Thema arbeiten“, sagt er beim Treffen in den Firmenräumen an der Heeserstraße. „Ich benutze aber nicht die Worte ,Angst‘ oder ‚Furcht‘, sondern ,Respekt‘.“ Die Frage sei schon länger nicht mehr, ob die Quantencomputer kommen werden – es gehe nur noch um das Wann. Anfang-Mitte der 2030er Jahre könnte es so weit sein, schätzt der Betriebswirt. Was dann kommen könnte: Heilmittel für Krankheiten auf Knopfdruck, völlig neue Möglichkeiten in Logistik, Finanzwesen, Mobilität, die das Leben in noch unbekanntem Ausmaß verändern werden.

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Es gibt wenige Themen, die so dicht am Wahnsinn sind wie Quantencomputing.
Jan Henrik Leisse an, einer der drei Gründer und Geschäftsführer des Siegener Start-ups „eleQtron“

Die Universität Siegen hatte Deutschlands ersten Quantencomputer. Darauf baut eleQtron auf

Quantencomputer werden heutigen Rechnern überlegen sein, weil sie in viel kürzerer Zeit viel komplexere Berechnungen vornehmen können. Herkömmliche Computer arbeiten mit Bits, die entweder den Zustand Null oder Eins haben. Quantencomputer hingegen arbeiten mit Quantenbits, kurz Qubits, die auch jeden Zustand zwischen Null und Eins einnehmen können – und das gleichzeitig. Jan Henrik Leisse verdeutlicht das mit einem Vergleich. Angenommen, jemand hätte ein Türschloss und eine Kiste voller Schlüssel: Dann würde er diese Schlüssel nacheinander ausprobieren, bis er den richtigen gefunden hat. Ähnlich würden Computer bisher an Aufgaben herangehen, nämlich eine Möglichkeit nach der anderen durchrechnen. Der Quantencomputer kann aber alles auf einmal, kann quasi alle Schlüssel gleichzeitig in einem einzigen kurzen Moment nutzen und die Tür aufschließen.

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Für Laien sind die Details kaum zu begreifen. „Es ist auch eher ein Hinnehmen als ein tiefes Verstehen“, räumt Jan Henrik Leisse ein. EleQtron entstand 2020 aus dem Siegener Lehrstuhl für Quantenoptik von Professor Christof Wunderlich. Er und Dr. habil. Michael Johanning sind die beiden weiteren Gründer und Geschäftsführer. Christof Wunderlich ist ausgesprochener Crack auf dem Gebiet. 2011, erzählt Jan Henrik Leisse, sei an der Uni Siegen der erste Quantencomputer Deutschlands in Betrieb gegangen. Der konnte zwar noch nichts Spektakuläres für Nutzer aus der Industrie, war jedoch an sich spektakulär: denn er bewies, dass die Technik funktionieren wird.

Natürlich trage ich Verantwortung dafür, dass das hier läuft. Aber das habe ich ja gelernt.
Jan Henrik Leisse, Geschäftsführer von eleQtron, über unternehmerische Risiken

Siegener Start-up eleQtron entwickelt Quantencomputer. Die Konkurrenten: IBM und Google

„Eine außerordentliche Errungenschaft“, ordnet Jan Henrik Leisse diesen Meilenstein ein. Als in den Jahren 2018 und 2019 Fördergelder zur Verfügung standen, habe das Team über die nächsten sinnvollen Schritte beraten und sich für die Gründung von eleQtron entschieden. Die Uni Siegen ist einer der Partner. Kennengelernt hatte Jan Henrik Leisse die beiden anderen Gründer über einen gemeinsamen Bekannten. „Willst Du mal ein total verrücktes Thema und zwei interessante Typen kennenlernen?“, habe der ihn gefragt. „Verrücktes Thema“ war natürlich scherzhaft gemeint. „Es gibt wenige Themen, die so dicht am Wahnsinn sind wie Quantencomputing“, sagt der dreifache Vater und lächelt.

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Nach „Wahnsinn“ klingt allein schon, dass das Siegener Start-up in einem Bereich tätig ist, in dem auch IBM, Google und hochkarätige chinesische Firmen forschen. eleQtron hantiert mit Millionensummen, zusammengekommen über Fördermittel und Investoren. „Natürlich trage ich Verantwortung dafür, dass das hier läuft“, sagt Jan Henrik Leisse. „Aber das habe ich ja gelernt.“ Er stammt aus Siegen-Trupbach, machte einen Abschluss als Bauingenieur und arbeitete als Bauleiter bei einem Spezialtiefbauunternehmen in Netphen, erzählt er. Dann studierte er Betriebswirtschaftslehre, sei als Sanierer und Restrukturierer von Firmen in ganz Europa im Einsatz gewesen. Nach mehr als zehn Jahren kehrte er ins Siegerland zurück, war von 2013 bis 2020 Geschäftsführer des Maschinenbauspezialisten Albrecht Bäumer in Freudenberg – er gehört zur Besitzerfamilie. Doch das Quantencomputing faszinierte ihn, er wollte dabei sein; nicht trotz, sondern eher wegen all der respekteinflößenden Herausforderungen, die damit verbunden sind. „Ich bin schon der Kandidat, der das hier machen kann.“ Er habe beruflich schon viel erlebt, kenne es als Restrukturierer „nah am Exitus zu sein“. Ein gewisses Risiko gehört dazu, doch damit kann er umgehen. „Man muss kritisch auf sich selber schauen und die richtigen Schlüsse ziehen; konstant in Veränderung bleiben und aus Fehlern lernen.“

Die Leute, die bei uns sind, sind hier, weil sie das Thema super finden.
Jan Henrik Leisse von eleQtron

Siegen: Start-up eleQtron sieht Konkurrenz nicht als Bedrohung, sondern als Herausforderung

Er sagt nichts großspurig, er macht nicht auf dicke Hose – er legt einfach sachlich dar, wie er die Herausforderungen einschätzt und sich dazu konstruktiv positioniert. Das Ziel ist gewaltig, die Konkurrenz groß, es geht um viel Geld. „Schlaflose Nächte habe ich nicht. Würde ich in einen Angstzustand geraten, könnte ich nicht arbeiten. Meine Aufgabe ist es eben auch, mit all dem klarzukommen. Wie sollte sonst mein Umgang mit den Mitarbeitern funktionieren?“

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Angefangen hat eleQtron 2020 mit dem Gründertrio. Inzwischen besteht das Team aus etwa 40 Personen, vertreten sind 14 Fachrichtungen und 16 Nationen. Das Profil des Unternehmens zieht Spezialistinnen und Spezialisten aus aller Welt an. „Die Leute, die bei uns sind, sind hier, weil sie das Thema super finden“, sagt der Geschäftsführer. „Das ist wie Dr. Snuggles, James Bond und Raumschiff Enterprise auf einmal.“ Die geballte Expertise mache ihm seinen Job leichter. „Ich brauche viel Vertrauen zu den Leuten, mit denen ich arbeite.“ Bei eleQtron habe er das, könne sich auf die anderen verlassen.

Siegen: Quantencomputer bieten bei allen Chancen auch Risiken

Die Frage, die natürlich über allem schwebt: „Wer macht das Rennen?“. Das gelte auch bezogen auf Gefahren, die mit dem Quantencomputing potenziell verbunden sein könnten. Das Argument, dass eine solche Technologie in den falschen Händen enorme Risiken birgt – die Entwicklung neuer Kampfstoffe, übermächtigser Waffensysteme oder das Brechen aller bisherigen Verschlüsselungen etwa – erkennt Jan Henrik Leisse an. Gerade deshalb sei es für ihn von Bedeutung, mit eleQtron am Ball zu sein, „denn uns sind Werte wichtig, auch das liberale Europa braucht bei diesem Thema Technologie-Souveränität und darf nicht abhängig sein von USA oder China“. Die persönlichen Konsequenzen, falls ein anderes Unternehmen den Durchbruch erzielen und die Konkurrenz abhängen würde, machen ihm dagegen weniger Sorgen. „Unser technologische Ansatz ist so zukunftsträchtig, dass wir in jedem Fall eine Rolle spielen werden.”

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