Siegen. Die Mitglieder des Intellektuellen Fotzen Club Siegen (IFC) wollen einfach nur nicht benachteiligt werden. Was sie machen und warum sie so heißen
Der Name provoziert schon und ein Stück weit soll er das auch. Aber in erster Linie will der Intellektuelle Fotzen Club Siegen (IFC) überzeugen: Dass das Geschlecht, männlich, weiblich und alles auf der Skala dazwischen, völlig egal ist. Sie wollen kein Matriarchat der Rache für Jahrtausende männlicher Dominanz, sondern einfach nur nicht benachteiligt werden. Dafür brauche es alle. „Um etwas für Betroffene zu verbessern, müssen auch nicht Betroffene umdenken“, sagt Mitglied Valerie (31).
Wie und warum wurde der Intellektuelle Fotzen Club Siegen gegründet?
„Eine längere Geschichte“, sagt Eve, die seit sechs Jahren dabei ist. Schon vorher gab es einen Zusammenschluss von Freundinnen, die diskutierten, sich austauschten, ohne öffentlichen Anspruch. Mit der Zeit kamen weitere dazu. „Einmal im Monat ist offenes Plenum, Interessierte können vorbeikommen und gucken, ob sie mitmachen wollen“, sagt Valerie. In Siegen gab es keine feministische Gruppierung, das wollten die Freundinnen ändern. Um die zehn Leute bilden den festen Kern – Studierende, Lohnabhängige, Arbeitslose – „wir nehmen alle Menschen auf – außer Cis-Männer“, sagt Eve und grinst.
Warum heißt der Intellektuelle Fotzen Club Siegen so?
Ein Mitglied des Fotzen Clubs, der damals noch nicht so hieß, sei bei Facebook in eine „lustige“ Diskussion verwickelt worden, erzählt Eve. Was darin gipfelte, dass die Frau irgendwann als „intellektuelle Fotze“ beschimpft wurde. Sie sagten sich: Den Begriff holen wir uns wieder. Der Begriff „Fotze“ ist immer noch negativ konnotiert, viele stutzen, sagt Valerie, scheuen es, das vermeintlich unanständige Wort zu sagen. Was völlig in Ordnung sei, findet Valerie. Aber indem sie sich selbst als Fotzen bezeichnen, nehmen sie denen, die das Wort gegen sie verwenden wollen, die Schärfe, die Kraft der Beleidigung. „Reclaiming“ nennt sich das: „Die Beleidigung funktioniert nicht mehr, wenn der Beleidigte die Beleidigung selbst für sich nutzt“, sagt Valerie. Als ob man Angreifenden die Waffe aus der Hand schlägt. „Es gibt da durchaus einen feministischen Diskurs“, ergänzt Eve: Viele ältere Feministinnen hadern mit dem Begriff, weil sie in den 80ern genau dagegen gekämpft hätten.
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Solche Beschimpfungen und Klischees haben sich mit der Zeit ziemlich festgesetzt. „Hysterie“ zum Beispiel. Wenn Frauen nicht brav und artig seien, würden sie als hysterisch bezeichnet – wenn Männer breitbeinig auftreten, gelte das hingegen als durchsetzungsstark. Frauen, die sich gegen Diskriminierung wehren sind für manche automatisch sexuell frustrierte Frauen, die sonst keine Probleme haben. „Klassiker“, sagt Eve achselzuckend.
Warum nimmt der intellektuelle Fotzen Club Siegen keine Cis-Männer auf?
Weil die nicht diskriminiert werden – zumindest nicht wegen ihres Mann-Seins, sagen Eve und Valerie. Sie haben nichts gegen heterosexuelle Männer, im Gegenteil. Manche von ihnen haben männliche Partner, viele männliche Freunde. „Wir glauben nicht an einen Krieg der Geschlechter oder so“, betont Eve. „Wir wollen doch bloß, dass alle Menschen cool miteinander leben können.“ Natürlich können auch Männer gute Argumente für den Feminismus finden, dürfen darüber forschen und diskutieren, von Diskriminierung betroffen sein und darüber reden. „Das ist essenziell“, sagt Eve. Sie wünschen sich Achtsamkeit; dass Männer Betroffenen zuhören, ihre Freundin fragen, was sie eigentlich so alles erlebt hat – und sich nicht gegenseitig in ihrem Sexismus bestärken, wie es häufig vorkommt. Dass nicht Frauen die Schuld dafür bekommen, Opfer geworden zu sein, weil sie sich vermeintlich „falsch“ gekleidet oder angezogen hätten.
Aber Sexismus fange schon bei ganz alltäglichen, sogenannten „Kleinigkeiten“ an. „Ich werde oft belehrt“, berichtet Eve, 24 Jahre – von Männern. „Mansplaining“ heißt das Phänomen. „Mir wird die Kompetenz für etwas abgesprochen, weil ich eine Frau bin.“ Sie habe strukturell schlechtere Chancen auf einen Job als männliche Kommilitonen. Die Anders-Behandlung von Frauen reiche dann bis zu Gewalterfahrungen auf der Straße. „Ich werde auch oft auf der Straße belästigt“, sagt Eve, sogenannte „Catcalls“ – und das betrifft viele Frauen, sehr viele. „Wenn sich die Hälfte der Bevölkerung auf der Straße nicht einfach nur sorglos und sicher fühlen kann, dann stimmt was nicht“, bekräftigt Valerie.
„Frauen sind doch selber keine reinen, heiligen Wesen“, sagt Eve. „Wir sind alle mit rassistischen Bildern groß geworden“, so wie Jungs mit „toxischen Männlichkeitsbildern“ aufwachsen, sagt sie. „Jungs spielen nicht mit Puppen“, und so. Man solle seine eigenen Reaktionen und Gedanken bedenken und beachten, wenn man Fettleibige oder Menschen mit dunkler Hautfarbe sieht, sagt Valerie: „Das ist oft negativ“. „Reflektier’, was Du denkst – und warum“, empfiehlt Eve. „Nicht immer denken, die anderen sind böse – was mache ich vielleicht falsch?“
Was hat der Intellektuelle Fotzen Club Siegen gegen das Patriarchat?
Die Angst vor Veränderung von Menschen in Machtpositionen; dass sie irgendwie etwas abgeben müssen: „Dieser Widerstand ist auf der ganze Welt immer da. Die Leute haben immer Angst, Privilegien zu verlieren“, sagt Eve. „Aber wäre es nicht schön, wenn es eine Gesellschaft ohne Privilegien gäbe?“ Etwa die Hälfte der Weltbevölkerung – die Frauen – würden von Kindesbeinen an merken, dass sie anders – und meistens schlechter – behandelt werden, dass sich mit dem Erwachsenwerden geschlechtliche Differenzen herausbilden – „ich werde anders behandelt. Nicht immer positiv“, sagt Eve. Natürlich seien die Erfahrungen sehr individuell, aber die strukturelle Benachteiligung von Frauen eben Fakt.
Der IFC will, wie gesagt, niemandem etwas wegnehmen, sondern sie wollen eben nicht mehr benachteiligt werden. Aber allein das macht sie für manche zum Feindbild. „Manche blocken schon, wenn sie nur das Wort ‘Feminismus’ hören“, sagt Valerie. „Es steht mir ja gar nicht zu, anderen Leuten zu sagen: Du bist falsch.“ Wenn sie Gleichberechtigung fordern, sei das nie ein persönlicher Angriff oder direkte Kritik – werde aber so verstanden. Dass von vielen Männern ein Problem ausgehe, heißt nicht, dass von allen Männern ein Problem ausgeht, bekräftigt Eve. „Ja, nicht jeder einzelne. Aber genug. Es geht uns nie darum, einem Individuum vor den Karren zu pissen, sondern dem System.“ Sie müsse ja schließlich auch jeden Tag damit leben, dass sie als Frau gelesen und oft genug herabwürdigend behandelt werde.
Und beim System sind sie nach Sexismus und Patriarchat schnell auch bei Rassismus und Kapitalismus. Ebenfalls Strukturen, die manche bevorzugen und andere benachteiligen, „miteinander verschränkte Formen von Diskriminierung“ erläutert Eve.
Was macht der Intellektuelle Fotzen Club Siegen sonst noch so?
Inzwischen richtet der IFC auch Veranstaltungen aus – wie die Kundgebung beim Feminismus-Kampftag, das Ladyfest (das inzwischen Fotzenfest heißt), Konzerte oder Diskussionsabende. Sie möchten Bildungsarbeit leisten, „viele wissen gar nicht, was Feminismus eigentlich ist“, sagt Eve. Lange war der Begriff negativ besetzt, inzwischen ist er „irgendwie cool“ geworden, aber eher als Aushängeschild, ohne die Bestrebungen dahinter wirklich zu teilen, so die Erfahrung der beiden Frauen. „Viele Männer denken, sie wären für Gleichberechtigung“, sagt Eve. Aber würden es dann nicht zu Ende denken.
Denn Männer gelten zum Beispiel immer noch als Norm, in der Medizin zum Beispiel: Sicherheitssysteme in Autos – Gurte, Airbags – werden für männliche Normkörper ausgelegt. Ebenso die Dosierung vieler Medikamente, die dann für weibliche Körper zu hoch ist, sagt Valerie, gerade wenn sich der Hormonspiegel während des Zyklus verändert: „Aber auch dann nehmen Frauen diese Medikamente.“
Eve und Valerie und die anderen Mitglieder des Intellektuellen Fotzenclubs haben keinen Spaß daran, sich gegen Diskriminierung einzusetzen. „Ich bin nicht geil darauf, mich 24 Stunden, sieben Tage die Woche mit Frauen zu beschäftigen“, sagt Eve. „Was hätte ich viel Zeit, wenn ich nicht auf so vielen Ebenen betroffen wäre.“ Dieser Druck durchziehe ihr ganzes Leben. Also kämpfen sie dafür, dass sich das ändert, „dass wir einfach cool existieren können“, sagt sie. Ohne Anspannung, Druck, Benachteiligung, Ungerechtigkeit. „Feminismus“, sagt Eve, „ist dafür da, dass es irgendwann keine Feministinnen mehr geben muss.“
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Hinweis in eigener Sache: Dieser Text wurde im Bemühen verfasst, möglichst geschlechtsneutrale Formulierungen zu verwenden. Wo das aus welchen Gründen auch immer nicht funktioniert hat, wird um Nachsicht gebeten.
Kurz-Glossar zur Erläuterung:
• Cis-Gender: Bezeichnet Personen, deren Geschlechtsidentität mit ihrem im Geburtenregister eingetragenen Geschlecht übereinstimmt bzw. sich zum Beispiel Cis-Männer mit dem gleichsam zugeschriebenen Geschlecht als männlich identifizieren.
• FINTA*-Personen: Abkürzung für Frauen, Inter-, Nichtbinäre-, Trans- und Agender-Menschen – unter anderem die Mitglieder des IFC bezeichnen sich selbst als FINTA*.
• Patriarchat: Wörtlich „Väterherrschaft“, bezeichnet das System von sozialen Beziehungen, maßgeblichen Werten, Normen und Verhaltensmustern, das von Vätern und Männern geprägt, kontrolliert und repräsentiert wird.
Achtsamkeit für Cis-Männer: Drei Empfehlungen vom Fotzen Club
1. Gerne die Straßenseite wechseln, wenn man nachts FINTA*-Personen begegnet.
2. Ungefragte Komplimente können nach hinten losgehen: Lieber einmal kurz fragen „Darf ich dir ein Kompliment machen?“
3. FINTA*-Personen zuhören, wenn sie von negativen Erfahrungen berichten und sie ernst nehmen