Freudenberg. Vor gut einem Jahr wurde in Freudenberg die zwölfjährige Luise von zwei gleichaltrigen Mädchen ermordet. Wie geht es der Stadt vor dem Jahrestag?

Das Entsetzen werde bleiben, sagt Bürgermeisterin Nicole Reschke. Das Entsetzen, es brach vor einem Jahr über Freudenberg herein, als die 12-jährige Luise erst vermisst und dann tags darauf am 12. März tot in einem Wald bei Hohenhain aufgefunden wurde. Ermordet von zwei Mädchen aus ihrem Bekanntenkreis, damals 12 und 13 Jahre alt. Ganz Deutschland stellte sich die eine Frage: Warum töten Kinder Kinder?

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Eine Antwort, mit der es sich auch nur irgendwie erträglich umgehen lässt, gibt es nicht. Auch deshalb sind an diesem Dienstagvormittag etliche Journalistinnen und Journalisten in den Freudenberger Ratssaal gekommen. Die Anfragen im Vorfeld des Jahrestages der schrecklichen Tat waren so zahlreich, dass die Stadt sich zur Ausrichtung eines Pressegesprächs entschied. Drei Personen sitzen neben Nicole Reschke als Ansprechpartner bereit: Pastor Thomas Ijewski, der Luises Familie seelsorgerisch begleitete und den Trauergottesdienst hielt, Landrat Andreas Müller, qua Amt auch Chef der Kreispolizeibehörde, und Thomas Wüst, Jugend- und Sozialdezernent des Kreises Siegen-Wittgenstein.

Einen Wunsch der Familie von Luise darf ich weitergeben: Das Grab auf dem Friedhof soll bitte als privater Bereich der Trauer respektiert werden.
Pastor Thomas Ijewski bittet Außenstehende darum, von Besuchen am Grab abzusehen.

Freudenberg: Mord an Luise – Familie bittet, das Grab als privaten Trauerort zu respektieren

Die Gefühle, Erinnerungen, Bilder verblassen vielleicht, werden uns aber in irgendeiner Form immer begleiten“, betont Nicole Reschke. Sie sage dies auch und gerade stellvertretend für die vielen Einsatzkräfte, die mit dem Fall zu tun hatten, die bei der Suche halfen, Ermittlungen aufnahmen, die Familien des Opfers und der Täterinnen betreuten. Sie sei viel in der Stadt unterwegs, treffe Gruppen, Vereine, die freiwillige Feuerwehr und werde in letzter Zeit wieder vermehrt angesprochen, berichtet die Bürgermeisterin. Der nahe Jahrestag wecke bei vielen Menschen Erinnerungen und Gesprächsbedarf. Es blieben aber nicht nur die Trauer und die Fassungslosigkeit, sondern „auch die Gewissheit, dass wir in Freudenberg zusammenstehen“.

Kurz vor dem Jahrestag des Mordes an der zwölfjährigen Luise in Freudenberg richtet die Stadt Freudenberg ein Pressegespräch aus. Mit dabei (von links): Pfarrer Thomas Ijewski, Bürgermeisterin Nicole Reschke, Landrat Andreas Müller und Thomas Wüst, Sozialdezernent des Kreises Siegen-Wittgenstein.
Kurz vor dem Jahrestag des Mordes an der zwölfjährigen Luise in Freudenberg richtet die Stadt Freudenberg ein Pressegespräch aus. Mit dabei (von links): Pfarrer Thomas Ijewski, Bürgermeisterin Nicole Reschke, Landrat Andreas Müller und Thomas Wüst, Sozialdezernent des Kreises Siegen-Wittgenstein. © WP | Florian Adam

Sie habe eine wesentliche Aufgabe von Anfang an darin gesehen, die Bedürfnisse von Luises Familie in den Vordergrund zu stellen. Pastor Thomas Ijewski, der Kontakt zu den Hinterbliebenen hat, unterstreicht, wie wichtig dies noch immer sei. „Über das derzeitige Ergehen der Familie von Luise und andere unmittelbar Betroffene werde ich keine Silbe sagen, nur einen Wunsch der Familie von Luise darf ich weitergeben: Das Grab auf dem Friedhof soll bitte als privater Bereich der Trauer respektiert werden“, unterstreicht der Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde Freudenberg. Menschen, viele von außerhalb, würden Blumen, Stofftiere, Karten niederlegen. All das sei „lieb gemeint“, aber für die Betroffenen oft „in der schieren Masse belastend“. Darum appelliert er auch an all diejenigen, die zum Jahrestag vielleicht nach Freudenberg reisen wollen: „Bitte kommen Sie nicht.“ Stattdessen rät er, sich Personen im Umfeld zu suchen, mit denen man offen über Gefühle reden kann – oder sich in der Jugendarbeit des jeweiligen Heimatorts einzubringen.

Wir stehen zueinander und haben die Hetzer nicht die Oberhand gewinnen lassen.
Nicole Reschke, Bürgermeisterin der Stadt Freudenberg, über den Hass, der sich nach dem Mord an Luise vor allem online gegen die Täterinnen und ihre Familien entlud.

Mord an Luise in Freudenberg löste Diskussion über Altersgrenze der Strafmündigkeit aus

Die Freudenbergerinnen und Freudenberger mussten sich nach diesem 12. März 2023 nicht nur mit der fürchterlichen Tat auseinandersetzen, sondern auch mit teils sehr unschönen Begleiterscheinungen. Medienvertreterinnen und -vertreter zogen tagelang durch Freudenberg und sprachen wahllos Leute an, manche sogar Grundschulkinder, wie Nicole Reschke anmerkt. Das kam, vorsichtig formuliert, überhaupt nicht gut an. „Hoffentlich klingelt keiner mehr an unseren Haustüren, um uns auszufragen“: Sätze wie diesen habe sie vor dem Jahrestag mehrfach gehört.

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Ein anderes Problemfeld seien „die sogenannten Sozialen Medien“ gewesen, ergänzt Nicole Reschke. Online ergoss sich eine ungeheure Hasswelle gegen die Täterinnen und ihre Familien, Fake-Profile und Morddrohungen inklusive, gegen die die Polizei mit verstärkten Kräften ankämpfen musste. Auch hier sei sie als Bürgermeisterin besonders gefordert gewesen, habe sich dafür eingesetzt, „den Zusammenhalt in der Stadt zu erhalten“. Es sei gelungen: „Wir haben die Hetzer nicht die Oberhand gewinnen lassen.“

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Was die Sache emotional für viele Menschen so schwierig mache, sei das Alter der Täterinnen. Strafrechtlich belangt werden können die beiden Mädchen nicht, weil sie zum Tatzeitpunkt jünger als 14 und damit nicht strafmündig waren. „Es ist eine große Herausforderung, weil unserem Gerechtigkeitsempfinden nicht Genüge getan wird“, räumt Landrat Andreas Müller ein. Er könne die Gefühle nachvollziehen, doch in der sich an das Verbrechen anschließenden Diskussion über eine Herabsenkung der Strafmündigkeitsschwelle hätten „sich viele Fachleute zu Wort gemeldet“ und 14 Jahre als angemessen bewertet. „Das mag für Viele unbefriedigend sein, aber das sind die Regeln, die wir uns als Gesellschaft gegeben haben.“ Unabhängig von der strafrechtlichen Seite zeichnet sich nun aber eine zivilrechtliche Aufarbeitung ab: Denn Luises Familie hat nach Informationen dieser Zeitung gegen die beiden minderjährigen Täterinnen am Landgericht Koblenz Zivilklage eingereicht.

In der Evangelischen Kirche in Freudenberg lag nach Luises Tod ein Kondolenzbuch aus. Das Gotteshaus diente vielen Menschen als Trauerort. (Archivbild)
In der Evangelischen Kirche in Freudenberg lag nach Luises Tod ein Kondolenzbuch aus. Das Gotteshaus diente vielen Menschen als Trauerort. (Archivbild) © FUNKE Foto Services | Bernd Thissen

Fall Luise in Freudenberg: Stationäre Therapiephase der Täterinnen ist abgeschlossen

Für das Jugendamt des Kreises laute der „Auftrag, den Täterinnen einen Weg zurück in die Gesellschaft zu ebnen“, sagt der Landrat. Auch für die Behörden sei dies ein durchaus „grausames Spannungsfeld“ angesichts der Tatsache, dass Luises Leben ausgelöscht wurde. Die Täterinnen wurden nach dem Mord aus ihren Familien genommen und stationär untergebracht. Eine sei bereits in einer betreuten Wohngruppe untergekommen und nehme an regulärem Schulunterricht teil, für die andere stehe dieser Schritt nun an. Nach Informationen der Redaktion lebt eine beiden zudem unter neuem Namen.

„Erinnerung im Herzen“

Die Stadt Freudenberg wird keinen offiziellen Trauerort für die ermordete Luise einrichten, auch wenn darüber viel diskutiert wurde. „Ich halte wenig davon, die Erinnerung an dieses schreckliche Geschehen in Stein zu meißeln. Ich finde es wichtiger, die Erinnerung an Luise im Herzen zu tragen“, sagt Pfarrer Thomas Ijewski beim Pressegespräch im Rathaus.

Die Schule, auf die Luise ging, werde kommende Woche allerdings einen Trauerraum öffnen, so Bürgermeisterin Nicole Reschke. Für die Schülerinnen und Schüler gebe es bei Bedarf Gesprächsangebote.

An den Schulen und in den Jugendtreffs in Freudenberg habe es seit der Tat etliche Angebote für Kinder und Jugendliche gegeben – nicht nur zur Trauerarbeit, sondern zu diversen Themen, die im Alltag belastend sein können. Gerade Medienkonsum und der Umgang mit Inhalten in den Sozialen Medien stünden im Fokus. In diesem Bereich gebe es „viel Unsicherheit bei Eltern“.

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Die stationäre Therapiephase sei bei beiden abgeschlossen, erklärt Kreis-Sozialdezernent Thomas Wüst, beide würden aber weiterhin ambulant betreut. Wo sie sich aufhalten, bleibt geheim. Die Suche nach geeigneten Einrichtungen sei nicht ganz einfach gewesen und deutschlandweit erfolgt. Prognosen, wie sie mit ihrer Tat leben werden, seien höchst schwierig. „Das kann aktuell niemand voraussehen.“ Das Belastungsempfinden der beiden sei „immens“. „Es wird sie wahrscheinlich ein Leben lang begleiten.“

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