Freudenberg/Siegen. Falschmeldungen, Drohungen, Rachefantasien gegen Täterinnen und Familien: Empörung über erschütterndes Verbrechen in Freudenberg wird zur Hetze
Nach der erschütternden Tat entlädt sich online zunehmend der Hass auf die beiden Mädchen, die gestanden haben, die 12-Jährige am Samstag in Freudenberg erstochen zu haben. Die Polizei beobachtet die Debatten in den sozialen Netzwerken und prüft laufend, ob dabei strafrechtlich relevante Inhalte veröffentlicht werden, so ein Polizeisprecher gegenüber dieser Zeitung. Es gebe ein entsprechendes Monitorin.
+++Mehr Nachrichten aus Siegen und dem Siegerland finden Sie hier!+++
Von teils anonymen Nutzern werden zahlreiche – nach Angaben der Ermittler falschen – Spekulationen über Tatmotive, die Täterinnen, teils auch Drohungen, Hass und Gewaltfantasien gegen die 12- und 13-jährigen mutmaßlichen Täterinnen veröffentlicht. „Wenn man nach den Hashtags sucht, findet man schon einiges“, sagte ein Polizeisprecher am Donnerstag. Es kursieren stellenweise Namen und Fotos der Minderjährigen, auch ihrer Eltern. Bei vielen scheint sich online eine Art Rachedurst zu entladen. Dass die Mädchen für ihre grausame Tat nicht strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden können, weil sie noch keine 14 Jahre alt sind, scheint viele zu empören. Dabei heißt das keineswegs, dass die Mädchen keinerlei Konsequenzen zu fürchten hätten.
BDK: Durch Online-Hetzjagd besteht Gefahr realer Angriffe
Die Polizei appelliert an die Nutzer, keine Mutmaßungen und Drohungen zu verbreiten. „Es gehen sehr, sehr zügig auch Falschinformationen durchs Internet - und vieles deckt sich einfach nicht mit unseren Ermittlungen“, sagte der Sprecher. Die Behörden verweisen auf den Persönlichkeitsschutz des Opfers und der minderjährigen mutmaßlichen Täterinnen und halten sich daher mit Informationen zu der Tat weiter sehr zurück. Staatsanwaltschaft und Polizei warnen davor, Spekulationen und Falschmeldungen weiterzuverbreiten
Der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) hatte bereits davor gewarnt Bilder, Namen oder angebliche Social-Media-Profile der mutmaßlichen Täterinnen im Internet zu teilen. „Die Verbreitung von persönlichen Daten oder Bildern mutmaßlicher Beschuldigter durch private Personen in Sozialen Medien stellt eine moderne Form der Hexenjagd dar“, sagte BDK-Chef Dirk Peglow laut eines Medienberichts. Die Gefahr sei groß, dass Menschen öffentlich mit der Tat in Verbindung gebracht werden, die gar nichts mit ihr zu tun hätten. Und es bestehe die Gefahr, dass angeprangerte Menschen verbal oder gar körperlich angegangen werden.
Experten betonen: Taten wie diese absolute Ausnahmefälle
Ebenso wie umgehend eine Debatte darüber losgetreten wurde, das Strafmündigkeitsalter herabzusetzen, um auch Kinder vor Gericht stellen zu können, warnten zahlreiche Experten vor übereilten Schlüssen und Forderungen. „Es ist nicht so, dass Deutschland immer gewalttätiger wird“, sagte etwa der Sozialpsychologe Ulrich Wagner, emeritierter Professor der Universität Marburg, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Gerade ein solcher Fall sei ein „absoluter Einzelfall“ – Gewalttaten dieser Brutalttät, in dem Alter, ausgeführt von zwei Mädchen, „passieren fast nie“. Das bestätigte auch der Kriminalpsychologe Rudolf Egg, langjähriger Direktor der Kriminologischen Zentralstrelle in Wiesbaden. Gleichwohl hätten die Mädchen schwere Schuld auf sich geladen. Auch Egg betonte, dass die Tat für die beiden nicht ohne Konsequenzen bleibe.
+++Die Lokalredaktion Siegen ist auch bei Facebook!+++
Der Konfliktforscher Andreas Zick, Leiter des Instituts für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld, sagte dem epd, dass eine Reform des Strafrechts hinsichtlich der Altersgrenze nicht sinnvoll sei: Einzelfälle könne man nicht verallgemeinern – und es handle sich eben um Kinder, an der Grenze zur Jugendlichkeit. Es bestehe die Gefahr, dass sie gesetzliche Strafen gar nicht verstehen und ihnen auch nicht helfen, weil ihre Persönlichkeit noch längst nicht ausgereift sei. Auch Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hatte betont, dass das Verbrechen nicht folgenlos bleibe – „unsere Rechtsordnung kennt andere Wege, um darauf zu reagieren, etwa das Kinder- und Jugendhilferecht sowie das Familienrecht.“ (mit rei/dpa/epd)