Hagen/Breckerfeld. War ein Fischteich in Südwestfalen Drogen-Basis der `Ndrangheta? Prozess gegen acht Deutsche startet. Warum der Fall so untypisch ist.
Der Kalle ist 64, kommt aus Hattingen und gilt als unverdächtiger Typ. Erzählt einer, der den Kalle kennt und ihn wahlweise mit dem Nikolaus oder dem Weihnachtsmann vergleicht: lange graue Haare, Bart, Bäuchlein, harmlos. Der Kalle, sagt Oliver Huth, „ist das Gegenteil von allem, was man an Kriminalität in einer Person vermutet“.
Ab Montag steht der Kalle in Düsseldorf vor Gericht, ihm droht eine Freiheitsstrafe zwischen fünf und 15 Jahren, weil unter anderem Oliver Huth, leitender Ermittler des Landeskriminalamtes (LKA), glaubt, dass Karl-Heinz „Kalle“ E. für die Mafia im großen Stil Kokain durch Europa gefahren haben soll. Laut Anklage der Staatsanwaltschaft soll E. der Kopf eines Drogenkurier-Netzwerks sein, das die illegale Ware in präparierten Autos nach Schweden, Spanien oder Dänemark und vor allem nach Italien schmuggelte.
Der Fall ist in vielerlei Hinsicht untypisch, was insbesondere mit der Person des Hauptangeklagten und dem Sitz der Gesellschaft zu tun hat. Denn die mutmaßlichen Drogen-Schmuggler sind Deutsche, kommen aus Hattingen, Dortmund, Wuppertal, Remscheid und Castrop-Rauxel und saßen nicht – wie in anderen solcher Fälle – in einer Eisdiele oder Pizzeria.
Sondern: im Angelparadies Steinbachtal, in Breckerfeld, Ennepe-Ruhr-Kreis.
Das abgelegene Areal, das im Zusammenhang mit europaweiten Ermittlungen gegen die Mafia im Mai 2023 (Operation „Eureka“) durchsucht und stillgelegt wurde, wirkt heruntergekommen und jetzt, im Winter, noch trostloser als ohnehin. Die Teiche sind teils trocken, die Anlage ist verlassen und verwildert. Dass hier mal ein Zentrum des internationalen Kokain-Schmuggels gelegen haben soll, ist nur schwer vorstellbar. Aber genau darum soll es gegangen sein.
„Darauf zu kommen, so `nen paar Teiche dort zu mieten und da Fische reinzuschmeißen, dann kommen die Angler hin, eine bessere Legende gibt‘s ja gar nicht“, sagt Oliver Huth. Tagsüber sei im Angelparadies „Räucheraal im Brötchen gereicht“ worden, abends seien 30 Kilogramm Kokain zur `Ndrangheta gefahren worden. „Größer“, sagt Huth, „kann die Schere gar nicht auseinandergehen.“
Der LKA-Chefermittler, mitunter „Mafia-Jäger“ genannt, ist Protagonist einer kürzlich veröffentlichten ARD-Produktion, welche sich mit der `Ndrangheta, der Operation „Eureka“, dem Angelparadies und Karl-Heinz E. beschäftigt. Huth, der mitunter klingt wie Fußballtrainer Jürgen Klopp und gerne mal locker formuliert, berichtet in der dreiteiligen Sendung über die Ermittlungen im Mafia-Milieu zwischen der `Ndrangheta-Hochburg San Luca in Kalabrien, Breckerfeld oder Siegen. Er bezeichnet die Beweislage gegen das mutmaßliche Mafia-Netzwerk als „gehaltvoll“.
Ganz so eindeutig ist die Sache aber nicht. Das zeigt sich in Südwestfalen.
Kreis kümmert sich ums Angelparadies
Die Verhandlung gegen die acht Angeklagten wird zwar vom Landgericht Wuppertal geführt, die gerichtliche Auseinandersetzung findet jedoch unter besonderen Sicherheitsvorkehrungen im Prozessgebäude des Oberlandesgerichts (OLG) Düsseldorf statt. Im Hochsicherheitstrakt am Kapellweg mussten sich in der Vergangenheit wiederholt Terrorverdächtige verantworten, unter anderem die sogenannte Sauerland-Gruppe. Der Boulevard bezeichnet das Gebäude als „Terrorbunker“ oder „Festung der Justiz“.
Um das Angelparadies in Breckerfeld, das im Zusammenhang mit den europaweiten Ermittlungen gegen die Mafia im Mai 2023 durchsucht und stillgelegt worden war, kümmert sich derweil der Ennepe-Ruhr-Kreis, genauer: das Veterinäramt. Dieses führe laut Auskunft des Kreises „in regelmäßigen Abständen Inspektionen der Anlage durch, um auf mögliche Änderungen des Status quo reagieren zu können. Die Anzahl der derzeit in der Anlage vorhandenen Fische ist von Seiten des Veterinäramtes aktuell nicht abschätzbar“.
Zweites Mafia-Verfahren in NRW startet
Ein Teil der Eureka-Ermittlungen richtete sich gegen eine Eisdiele in Siegen. Vor dem Landgericht Dortmund wurde seit Juni gegen drei Italiener verhandelt, welche das Siegener Eiscafé „Al teatro“ als `Ndrangheta-Stützpunkt und zur Geldwäsche betrieben haben sollen. Der Prozess zog sich über Monate, die zuständige Staatsanwaltschaft Düsseldorf offenbarte erhebliche Schwierigkeiten, den drei Angeklagten Straftaten und die Mitgliedschaft in der `Ndrangheta nachzuweisen.
Am vergangenen Donnerstag gab die Strafverfolgungsbehörde auf, forderte in ihrem Plädoyer, die Angeklagten freizusprechen. „Die Tatvorwürfe“, sagte Staatsanwalt Julius Sterzel, „lassen sich nicht mehr aufrechterhalten“ – auch wenn Fragen offen blieben.
In dem Prozess war auch LKA-Ermittler Huth als Zeuge aufgetreten – und von der Verteidigung scharf kritisiert worden („erzählt wunderbar reißerisch Märchen“). Am Montag will das Landgericht Dortmund die Urteile gegen die drei Eisverkäufer verkünden. Nahezu zeitgleich beginnt in Düsseldorf der nächste Mafia-Prozess in NRW. Diesmal rechnen sich die Ermittler bessere Chancen aus.
„Tagsüber wird Räucheraal im Brötchen gereicht, und abends fährt man 30 Kilo Kokain zur `Ndrangheta. Größer kann die Schere gar nicht auseinandergehen.“
60 Kilogramm Kokain im Porsche Cayenne
Anders als im Eisdielen-Verfahren soll die Beweislage gegen die Angelparadies-Crew weitaus fundierter sein. Beispielsweise waren zwei Drogen-Kurierinnen Ende 2022 in Italien auf frischer Tat ertappt worden. Eine der Damen trat im Eisdielen-Verfahren als Zeugin auf, berichtete vor dem Landgericht Dortmund von ihrer Festnahme und Verurteilung in Italien zu zehn Jahren Haft wegen des Transports von 38 Kilogramm Kokain.
Die mutmaßlichen Drogenschmuggler um Karl-Heinz E. waren (wie die Siegener Eisverkäufer) im Zuge der Überwachung der `Ndrangheta durch die italienischen Carabinieri ins Visier der Ermittler geraten. Die Fahnder verwanzten zum Drogentransport wohl in Spanien umgebaute und beispielsweise mit doppeltem Boden ausgestattete Fahrzeuge. Die Spur eines Audi Q7 – mit Wuppertaler Kennzeichen – soll schließlich bis ins Angelparadies geführt haben. Und zu Karl-Heinz E.
„Die Frauen in dem Q7, die haben immer jemanden angerufen. (...) Es war dann klar: Die rufen Karl-Heinz E. an“, erzählt LKA-Ermittler Huth in der ARD-Sendung. Im Zuge der weiteren Ermittlungen habe sich herausgestellt, dass E.s Name vor Jahren schon mal in Zusammenhang mit Rauschgiftschmuggel bis nach Rom gefallen sei. Damals sei ein Porsche Cayenne mit ungefähr 60 Kilogramm Kokain an Bord sichergestellt worden. „Da haben zwei Kuriere gesagt: ‚Wir sind doch für den Karl-Heinz E. unterwegs, wir sollten Salami in Mailand kaufen für sein Restaurant‘“, so Huth.
Nun muss sich Karl-Heinz E., der im Laufe seines Geschäftslebens auch an einer Immobilienfirma und an einem Foodtruck beteiligt gewesen sein soll, mit vier männlichen und drei weiblichen Mitangeklagten vor Gericht verantworten.
Die acht Angeklagten sitzen seit fast zwei Jahren in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf wirft ihnen vor, in wechselnder Besetzung bei mehr als 50 Fahrten im Zeitraum Februar 2018 bis November 2022 rund 880 Kilogramm Kokain im Wesentlichen nach Italien geschmuggelt zu haben. Auch für albanische Tätergruppen sollen sie gearbeitet haben. E. soll zudem mit zwei Mitangeklagten eine illegale Cannabisplantage in den Kellerräumen der Wohnanschrift einer „Mitarbeiterin“ in Dortmund betrieben und mindestens 4,4 Kilogramm Marihuana verkauft haben.
Alle Angeklagten sollen im oder für das Angelparadies gearbeitet haben. Einer von ihnen, ein Kfz-Meister, soll sich um die Drogenkurier-Autos gekümmert haben. Sein Verteidiger teilt dazu mit, dass sein Mandant für Karl-Heinz E. zwar „mal kleinere Wartungsarbeiten oder Reifenwechsel an Fahrzeugen vorgenommen“ habe. Ein persönliches Bekanntschaftsverhältnis – „zum Beispiel Hundesitting“ – habe jedoch lediglich zu einer Mitangeklagten bestanden, nicht aber zum Inhaber des Angelparadieses. E. sei seinem Mandanten durch die Bekannte vorgestellt worden, „als ‚Kfz-Kunde‘“, so Verteidiger Jens Gunnar Cordes.
Den Vorwurf der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung halte er in Bezug auf seinen Mandanten für „absolut unzutreffend“, so der Dortmunder Jurist, der Staatsanwaltschaft und Gericht wegen der Mafia-Vorwürfe eine „übertriebene Fehleinschätzung“ attestiert. Die Verteidiger der anderen Angeklagten reagierten nicht auf Gesprächsanfrage dieser Redaktion oder teilten mit, sich derzeit nicht äußern zu wollen.
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