Siegen. Verteidiger erneuerte Zweifel an Glaubwürdigkeit nach Aussage der Zwölfjährigen. Warum Opfer-Anwältin Gericht vor „Mammutaufgabe“ sieht.
In dem Missbrauchs-Prozess um eine heute Zwölfjährige, die im Alter von elf Jahren von ihrem Stiefvater missbraucht und geschwängert worden sein soll, hat die Anwältin des Mädchens Kritik an der Aussage ihrer Mandantin zurückgewiesen.
Dass die Verteidigung des angeklagten Stiefvaters die Glaubwürdigkeit der Zwölfjährigen infrage stelle, könne sie insofern verstehen, als es der Job des Verteidigers sei, an den Vorwürfen zu zweifeln. Doch bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit ihrer Mandantin sei es wichtig zu berücksichtigen, dass man es mit einem traumatisierten Kind zu tun habe.
„Ich gehe davon aus, dass manche Sachen, die vielleicht komisch wirken, sich mit der Traumatisierung meiner Mandantin begründen lassen“, sagte Jennifer Sauer der Westfalenpost und ergänzte: „Stand jetzt halte ich meine Mandantin für glaubwürdig, wenn ich berücksichtige, was ich über die Auswirkungen eines Traumas auf das Aussageverhalten weiß.“
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Verteidiger: Mädchen erzählt „weitere Version“
Am Donnerstag, dem zweiten Verhandlungstag in dem Prozess, hatte das Gericht das Mädchen sowie im Anschluss eine Gynäkologin, eine Psychiaterin und eine Therapeutin befragt – unter Ausschluss der Öffentlichkeit, um die Intimsphäre des mutmaßlichen Opfers, aber auch des angeklagten Stiefvaters zu schützen. Die Anwältin des Mädchens und der Verteidiger des Angeklagten hatten die Einlassung des Mädchens unterschiedlich bewertet, ohne auf Details der Aussage der Zwölfjährigen einzugehen.
So hatte Verteidiger Daniel Nierenz gesagt, dass seine Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Mädchens bestehen blieben. Die Zwölfjährige habe „eine weitere Version der Geschehnisse erzählt“, zudem sei sie immer dann, wenn die Befragung konkret hätte werden sollen, „ausgewichen“.
„Stand jetzt halte ich meine Mandantin für glaubwürdig, wenn ich berücksichtige, was ich über die Auswirkungen eines Traumas auf das Aussageverhalten weiß.“
Am Freitag widersprach Jennifer Sauer, Anwältin des mutmaßlichen Opfers, teilweise dieser Darstellung. „Meine Mandantin hat nicht eine weitere Version der Geschehnisse erzählt. Es war eine Version, die es schon gab. Wir haben nach wie vor beide Aussagen meiner Mandantin, die weiterhin vom Gericht berücksichtigt werden: die ‚Kondom-Theorie‘ und die Missbrauchsvorwürfe gegen den Stiefvater. Es hat ja auch einen Grund, warum es die Anklage gibt“, sagte die 35-Jährige.
Zudem hätten „die am Donnerstag gehörten Zeugen manches auch mit Blick darauf einordnen können, wie sich ein Trauma auf eine Aussage auswirkt“.
„Konstanz in Aussageverhalten fällt weg“
Die Siegener Juristin räumte allerdings ein, dass ihre Mandantin – im Laufe des Ermittlungsverfahrens – ihre Aussage geändert habe. Das Mädchen soll zunächst angegeben haben, dass sie sich mit einem gebrauchten Kondom ihres Stiefvaters, in den sie verliebt gewesen sei, selbst geschwängert habe. Später soll sie dann ihren Stiefvater des Missbrauchs beschuldigt haben.
„Die Konstanz in ihrem Aussageverhalten fällt weg, aber das passiert bei traumatisierten Menschen. Natürlich macht es die Würdigung der Beweiskraft der Aussage wahnsinnig schwierig. Das ist eine Mammutaufgabe für das Gericht“, sagte Sauer.
„Die Aussage des Mädchens hat es für die Kammer nicht leichter gemacht.“
Um die Aussage des Mädchens unabhängig zu bewerten, nimmt seit Donnerstag eine Diplom-Psychologin an dem Verfahren teil. Diese wird nach Auskunft des Landgerichts im Laufe des Prozesses ein aussagepsychologisches Gutachten über die Zwölfjährige vortragen.
Laut Sauer sei die Aussage des Mädchens am Donnerstag vor Gericht „hilfreich“ für das Verfahren gewesen, weil die Zwölfjährige einiges zu den Geschehnissen gesagt habe. „Die Frage ist, ob die Aussagepsychologin und die Kammer die Aussage meiner Mandantin als glaubwürdig einschätzen oder nicht. Am Ende wird die Beurteilung dieses Falles ein Zusammenspiel aus der Aussage meiner Mandantin und den weiteren Beweismitteln, zu denen beispielsweise die Zeugen- und Sachverständigenaussagen oder das aussagepsychologische Gutachten gehören“, so die Anwältin des mutmaßlichen Opfers.
Der Verteidiger des Angeklagten erklärte am Freitag hingegen, dass „die Aussage des Mädchens es für die Kammer nicht leichter gemacht hat. Es sind noch so viele weitere Beweismittel in das Verfahren einzubringen und zu würdigen, einschließlich einer Reihe von weiteren Zeugenaussagen, dass es gegenwärtig früh ist, allein in der Aussage des Mädchens bereits den durchgreifenden Beweis für Schuld oder Unschuld meines Mandanten zu sehen“, teilte Daniel Nierenz mit. Er gehe nach wie vor von der Unschuld des Stiefvaters aus.
Mutter des Mädchens als Zeugin geladen
Der Prozess gegen den 38 Jahre alten Angeklagten, den ein DNA-Abgleich als biologischen Vater des Babys der Zwölfjährigen nachgewiesen hatte, wird am Montag fortgesetzt. Dann ist unter anderem die Vernehmung der Mutter und der Schwester der Zwölfjährigen geplant. Die Familienangehörigen müssen nicht aussagen, sie haben ein Zeugnisverweigerungsrecht.
Möglicherweise wird die Verhandlung erneut hinter verschlossenen Türen stattfinden. Entsprechende Anträge sollen am Donnerstag in der nicht öffentlichen Sitzung aus den Reihen der Prozessbeteiligten gestellt worden sein; das Landgericht Siegen äußerte sich dazu auf Anfrage nicht.
Für die Plädoyers und die Urteilsbegründung, die für den 18. Februar geplant ist, hat die Kammer bereits den Ausschluss der Öffentlichkeit angeordnet.
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