Soest. Bei der Allerheiligenkirmes in Soest werden Kameras eingesetzt. Und die Polizei darf jederzeit jeden kontrollieren. Ist das angemessen?

Der Konsum von „Bullenauge“, jenem Kultgetränk der Soester Allerheiligenkirmes aus Mokkalikör und Sahne, wird nicht kontrolliert. Soviel zur Beruhigung. Aber bei seiner 686. Auflage wird das Traditionsfest, das vom kommenden Mittwoch an, 6. November, fünf Tage lang wieder bis zu einer Million Besucher anlocken wird, unter einer ganz besonderen Beobachtung stehen. Erstmals wird es an zwei zentralen Orten eine permanente Videoüberwachung geben.

Die hat die Polizei im Kreis Soest angeordnet, die damit auch auf den islamistischen Anschlag beim Stadtfest in Solingen im August reagiert, genauso wie auf die anderen Krisen rund um den Globus. „Die weltpolitische Situation wirkt sich bis in den Kreis Soest aus“, sagt Marco Baffa-Scinelli, Sprecher der Kreispolizeibehörde Soest. Panik will er damit ausdrücklich nicht verbreiten, schon gar nicht Menschen vom Besuch der Allerheiligenkirmes abhalten, die damit wirbt, die größte Altstadtkirmes Europas zu sein.

Marco Baffa Scinelli

„Wir sagen ganz klar: Kommt zur Kirmes, habt Spaß, lasst Euch nicht einschränken.“

Marco Baffa-Scinelli

Ganz im Gegenteil: „Wir sagen ganz klar: Kommt zur Kirmes, habt Spaß, lasst Euch nicht einschränken.“ Aber mit zwei Maßnahmen will die Polizei auch für mehr Sicherheit sorgen: Mit der Videoüberwachung und mit der so genannten „strategischen Fahndung“, die es ermöglicht, jeden und jede ohne einen konkreten Anlass zu kontrollieren - das ist normalerweise nicht möglich.

OB Kufen und PP Stüve stellen Videoüberwachung an der Marktkirche/Porscheplatz vor.
So wie hier in der Essener Innenstadt sieht die Videoüberwachungsanlage aus, die nun auch der Allerheiligenkirmes in Soenst zum Einsatz kommt. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Und so werden die augenfälligsten Zeichen der insgesamt angespannten Sicherheitslage wohl jene zwei Anlagen sein, die neben Riesenrad, Skyfall und Höhenkarussell in die Höhe wachsen werden. Die „Videobeobachtungsanlage“, wie sie offiziell heißen, sind Anhänger, aus denen Masten bis zu fünf Meter in die Höhe wachsen können. Oben sind sechs Kameras installiert, die rundum den Bereich kontrollieren können. Insgesamt zehn dieser Anlagen hatte das Land NRW vor knapp einem Jahr angeschafft. Die Polizeibehörden vor Ort können sie ausleihen, wenn sie denn einen triftigen Grund für die Beobachtungsmaßnahmen angeben können.

Mehr zum Thema

Im Kreis Soest mit der Allerheiligenkirmes und den Massen von Menschen hatte man ganz offensichtlich überzeugen können. „Wir werden die beiden Anlagen im Bahnhofsbereich und am Marktplatz einsetzen“, sagt Polizeisprecher Marco Baffa-Scinelli. Dort sei besonders viel los. Die Livebilder würden direkt in die Soester Polizei-Leitstelle übertragen, wo Beamte die Lage ständig beobachten. „Sie können Straftaten erkennen, aber auch besser auf Lagen reagieren und Einsatzkräfte entsprechend einsetzen.“ Zudem kann auch Beweismaterial gesichert werden. Die Aufnahmen würden länger als 24 Stunden gesichert, bis sie wieder gelöscht werden.

Generalprobe in Lippstadt wertet Polizei sehr positiv

Doch die Videokameras, auf deren Einsatz mit Plakaten hingewiesen wird, sollen auch abschreckende Wirkung haben. Die Generalprobe haben sie nach Ansicht der Soester Polizei schon wenig Tage zuvor bei der deutlich kleineren, aber dennoch auch sehr belebten Herbstwoche im benachbarten Lippstadt bestanden. „Wir hatten auch hier erstmals die Videobeobachtungsanlage im Einsatz. Und der Verlauf der Kirmes war außergewöhnlich friedlich“, so Marco Baffa-Scinelli. „Das führen wir auch auf die Kameras zurück.“

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von Facebook, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Albert Ritter, Chef des Deutschen Schaustellerverbandes, forderte im Gespräch mit der Rheinischen Post bereits einen großflächigeren Einsatz der Videoüberwachung, insbesondere bei den jetzt anstehenden Weihnachtsmärkten. Bei den potenziellen Besuchern würde das offensichtlich nicht auf großen Widerstand stoßen. Das lässt jedenfalls eine Befragung unserer Leserinnen und Leser auf den Facebook-Kanälen der WESTFALENPOST erahnen. Dies ist keine repräsentative Befragung, aber von insgesamt gut 100 Usern, die sich geäußert haben, hat nur eine Handvoll Bedenken. Teils wegen des Datenschutzes, teils, weil man die Maßnahme als nicht effektiv oder nicht ausreichend wertet. Die ganz große Mehrheit äußert sich aber wie Yvonne Chahine aus Hagen: „Viele andere Länder haben das schon seit Jahren. Warum nicht auch hier? Ich finde es gut. Am besten so schnell wie möglich.“

Messerverbot des Bundes bei Volksfesten ist jetzt in Kraft

Muss das Land also handeln? Das NRW-Innenministerium sieht bereits jetzt die Forderung von Schausteller-Präsident Ritter nach mehr Videoüberwachungen erfüllt. Das NRW-Polizeigesetz ermögliche das, wie das Beispiel Allerheiligenkirmes zeige. Allerdings gibt es bislang zu wenige landeseigene Beobachtungsanlagen, um sie flächendeckend in der Vorweihnachtszeit einzusetzen. Und auch die weitere Forderung von Albert Ritter, dass Weihnachtsmärkte generell zu Waffenverbotszonen erklärt werden sollten, sei inzwischen Realität - durch das am Mittwoch in Kraft getretene Sicherheitspakt des Bundes, das unter anderem ein absolutes Messerverbot bei Volksfesten, Sportveranstaltungen, Messen, Ausstellungen, Märkten und anderen öffentlichen Veranstaltungen vorsieht.

Herbert Reul (CDU), Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen.

„Ich möchte aber dafür sensibilisieren, dass damit das Problem nicht aus der Welt geschaffen wurde.“

Hertbert Reul (CDU)

NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) sieht diese neue gesetzliche Grundlage aus Berlin positiv. Gegenüber der WESTFALENPOST sagte er: „Ich begrüße den Schritt ausdrücklich. Ich möchte aber dafür sensibilisieren, dass damit das Problem nicht aus der Welt geschaffen wurde. Es wird wahrscheinlich immer jemanden geben, der durch das Raster fällt und nicht kontrolliert wurde. Also: Aufmerksam bleiben und Verdächtiges melden.“

Nach Solingen und der Messerattacke einer offensichtlich verwirrten Frau in einem Bus in Siegen, der auf dem Weg zum dortigen Stadtfest war, hatte Reul Ende August auch angekündigt, generelle Taschenkontrollen bei Stadtfesten prüfen zu lassen. Auch hier betont das NRW-Innenministerium, dass man bereits gehandelt habe. Seit Anfang September gebe es einen Erlass, der es der Polizei vor Ort ermögliche, mehr Präsenz zu zeigen und mehr Personen- und Taschenkontrollen durchzuführen.

Polizei will Kontrollen Allerheiligenkirmes mit Maß und Mitte durchführen

Bei der Allerheiligenkirmes in Soest wird das nun auch der Fall sein. Unterstützung wird die Polizei von Kräften unter anderem aus Dortmund und Essen erhalten. „Die Polizei wird bei der Kirmes deutlich präsenter sein“, so Sprecher Marco Baffa-Scinelli. Die anlasslosen Kontrollen, die die ausgerufene „strategische Fahndung“ ermögliche, könne theoretisch jeden und jede treffen - und zwar im gesamten Soester Stadtgebiet. Aber Marco Baffa-Scinelli macht auch klar, dass man nicht in einen Kontrollwahn verfallen werde: „Wir werden das mit Maß und Mitte einsetzen. Alle sollen feiern dürfen.“

Polizei wird bei der Soester Allerheiligenkirmes - wie hier im Jahr 2021 - wieder präsent sein.
Polizei wird bei der Soester Allerheiligenkirmes - wie hier im Jahr 2021 - wieder präsent sein. © FUNKE Fotos Services | Fabian Strauch

In wenigen Tagen wird in Hagen der Weihnachtsmarkt eröffnet. Mehr als fünf Wochen lang findet er ab 23. November bis zum Jahresende in der Innenstadt statt. Weihnachtsmarkt-Organisator Dirk Wagner hat vorher Gelegenheit, sich die Situation in Soest anzuschauen, denn dort wird er auch mit seinem Kinderkarussell vertreten seit, wie schon seit vielen Jahren. Dass man in Hagen ähnlich handeln sollte wie in Soest, glaubt er nicht: „Wir brauchen keine Videoüberwachung“, ist er sich sicher. „Unser Sicherheitskonzept passt.“

Weitere Themen aus der Region: