Arnsberg. OVG-Entscheidung und Pläne von Robert Habeck lösen Entrüstung aus. Kann nun auf jedem Hügel ein Windrad entstehen? Ein Faktencheck.

Die Verunsicherung ist gewaltig, der Frust sitzt tief, vor allem im Sauerland. Nach einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts (OVG) in Münster darf das Land NRW für beantragte Windenergieanlagen nicht pauschal das Genehmigungsverfahren für ein Jahr aussetzen, nur weil sie nicht in einem Bereich liegen, in dem laut Regionalplanentwurf Anlagen bevorzugt zugelassen werden sollen.

Kommunen und Regionalrat sehen sich nun um die Früchte ihrer monatelangen Arbeit gebracht. Sie hatten in einer Positivliste gemeinsam Gebiete ausgewiesen, die sie für den Bau von Windrädern besonders geeignet hielten, ohne dass dort Anwohner und Tourismus über Gebühr benachteiligt würden.

Gegen Bundesrecht verstoßen

Der Vorgabe des Landesplanungsgesetzes, wonach die Genehmigung von Anlagen, die nicht in diesen Bereichen liegen, ausgesetzt werden kann, hat das OVG nun einen Riegel vorgeschoben. Begründung: Das Land verstoße gegen das Bundes-Immissionsschutzgesetz. Auf gut Deutsch gesagt: Windräder können auch dort genehmigt werden, wo sie das Land, die Bezirksregierung und die Kommunen eigentlich verhindern wollten, also in den sogenannten Außenbereichen.

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Sorgte diese Entscheidung im Hochsauerland bereits für einen Sturm der Entrüstung, so entwickelte sich daraus anschließend ein Orkan, als ein Plan von Robert Habeck die Runde machte. Der grüne Bundeswirtschaftsminister will Windkraft-Investoren einen Bestandsschutz garantieren, wenn sie schon vor der Positivplanung einen Zulassungsantrag für ihre Anlagen gestellt hatten.

Damit trieb Habeck vor allem Vertreter der CDU im HSK auf die Barrikaden. Landrat Karl Schneider sprach gar von einem „Revolutionspotenzial“, andere Christdemokraten unkten, dass nun bis zu 600 zusätzliche Windräder in Südwestfalen entstehen könnten – und das völlig unkontrolliert.

Dem ist nicht so, wie Recherchen dieser Zeitung zeigen. Denn auch in Zukunft werden Anträge auf Windenergieanlagen in Außenbereichen nicht einfach ohne Prüfung durchgewunken. Auch dort müssen sie weiterhin genehmigt werden und unter anderem den Belangen des Umwelt- und Naturschutzes sowie des Baurechts genügen. Das OVG hat lediglich die pauschale Zurückweisung von Anlagen in Außenbereichen untersagt. Ein ungezügelter „Wildwuchs“ ist schon deshalb ausgeschlossen. „Wo relevante öffentliche Belange entgegenstehen, ist es weiter möglich, Windenergieanlagen nicht zuzulassen“, sagt Hans-Josef Vogel, Vorsitzender des Landesverbands Erneuerbare Energien NRW (LEE).

Auch Friedrich Merz schaltet sich ein

Zudem dürfte die Zahl 600 deutlich zu hoch gegriffen sein. Tatsächlich fallen in Südwestfalen insgesamt derzeit etwa 70 bis 80 Anträge unter die OVG-Regelung. Das ergab eine Nachfrage dieser Zeitung bei den Kreisverwaltungen. Demnach sind es im Hochsauerlandkreis 29, im Kreis Olpe acht, im Kreis Siegen-Wittgenstein 22, der Rest verteilt sich auf die anderen Kreise. Allerdings kann sich ein Antrag auf mehrere Windräder beziehen.

Wesentlich gelassener reagiert das Wirtschaftsministerium von NRW, dessen Chefin Mona Neubaur (Grüne) das Vorgehen im Regierungsbezirk Arnsberg wiederholt gelobt hatte. Aktuell sei „zu beobachten, dass Genehmigungsanträge auch außerhalb der Bereiche gestellt werden, die von den Kommunen bereits ausgewiesen wurden und die zukünftig noch ausgewiesen werden sollen. In vielen Fällen kann das gut mit den Planungen in den Kommunen abgestimmt werden. Es kann vor Ort aber auch zu Unstimmigkeiten kommen. Deswegen hält die Landesregierung hier eine Lenkung für erforderlich“, teilte das Ministerium auf Anfrage mit. Daher habe man sich über einen Bundesratsbeschluss mit dem Ziel einer „bundesseitigen lenkenden Regelung“ an die Bundesregierung gewandt. Der CDU-Vorsitzende und HSK-Wahlkreisabgeordnete Friedrich Merz hatte Robert Habeck in einem Brief einen ähnlichen Vorschlag unterbreitet.

Doch das ist nun Makulatur, sagen die beiden HSK-Bundestagsabgeordneten und Ampel-Vertreter Dirk Wiese (SPD) und Carl-Julius Cronenberg (FDP). Nach dem OVG-Urteil seien die Planungen im Habeck-Ministerium „hinfällig“.

Hält die Aufregung für übertrieben: Windenergie-Lobbyist Hans-Josef Vogel, ehemaliger Arnsberger Regierungspräsident.
Hält die Aufregung für übertrieben: Windenergie-Lobbyist Hans-Josef Vogel, ehemaliger Arnsberger Regierungspräsident. © LEE NRW/Markus Mielek | Markus Mielek - Fotograf für Werbung / Editorial / Portraits / Business

Gleichwohl werde die Bundesregierung „den Bedarf für bundesrechtliche Regelungen zu Sicherungsinstrumenten (...) prüfen, um den Grundsatz der planerischen Steuerung der Windenergie durch die Bauleitplanung und die Raumordnung weiter sicherzustellen“, erklärte das Bundeswirtschaftsministerium auf Anfrage dieser Zeitung.

Und wer hat es nun unter dem Strich verbockt? Auch in dieser Frage gehen die Meinungen naturgemäß auseinander. Wiese, Cronenberg und die Windkraftlobby werfen der NRW-Landesregierung handwerkliche Fehler vor. Sie habe die Windenergiegebiete planerisch bereits vor dem Inkrafttreten der Regionalpläne sichern und im Übergangszeitraum den Zubau von Windenergieanlagen im Außenbereich verhindern wollen. Das habe das OVG nun unterbunden, weil NRW damit gegen Bundesrecht verstoße.

Lobbyist Vogel hält die Reaktionen auf das OVG-Urteil im Sauerland für „überzogen“. Es sei der Eindruck entstanden, „dass es einigen gar nicht um die Aussetzung von Genehmigungsverfahren, sondern um die pauschale Verhinderung der Windenergie gehe“, sagt er. „Das widerspricht aber dem Grundgesetzgebot des Klimaschutzes und damit dem Schutz von Freiheit und Gesundheit der nächsten Generationen sowie der Sicherheit der Energieversorgung.“ Städte und Gemeinden, die ihre Hausaufgaben gemacht und rechtlich korrekte Flächennutzungspläne mit entsprechenden Konzentrationszonen aufgestellt hätten, seien überhaupt nicht betroffen.

Keine Touristen an der Nordsee?

Zudem sei die Angst vor einem Einbruch beim Tourismus in der Region unbegründet. „Die Windenergie ist Teil des Lebens der Menschen in NRW und muss auch vor Tages- und Übernachtungsgästen nicht versteckt werden. Wenn Windenergieanlagen wirklich einen negativen Einfluss auf die Zahl der Urlauber haben sollten, dürfte es an der Nordseeküste längst keine Touristen mehr geben“, sagt Vogel.

Für den Kreis Soest hat die Bezirksregierung Arnsberg am Donnerstag alle Anweisungen, Genehmigungsverfahren von beantragten Windenergieanlagen auszusetzen, wieder zurückgenommen. Der Landesverband Erneuerbare Energien rechnet damit, dass die Behörde nun alle einschlägigen Fälle im Regierungsbezirk ebenso behandelt. „Die Rechtslage ist ja überall die gleiche“, sagt Andreas Lahme von der Lippstädter Anwaltskanzlei Engemann und Partner, der ein gutes Dutzend Verfahren im Kreis Soest gegen die Bezirksregierung betreut und LEE-Vorstandsmitglied ist.

Dass der Lobbyverband der Landes- und Bezirksregierung handwerkliche Fehler vorwirft, entbehrt nicht einer gewissen Ironie: LEE-Vorsitzender Hans-Josef Vogel (CDU) war bis zum Jahr 2022 selbst in Arnsberg Regierungspräsident. Und HSK-Landrat Karl Schneider war jahrelang erbitterter Gegner der Windenergie im Sauerland, prangerte immer wieder die drohende „Verspargelung“ der Landschaft an. Nun aber will seine Behörde in der Gesellschaft „Erneuerbare Energien Hochsauerlandkreis“ gemeinsam mit RWE selbst zahlreiche Windräder aufstellen – in Konkurrenz zu privatwirtschaftlichen Investoren.

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