Kreuztal. Gerade im ländlichen Raum ist es schwer, Medizin-Personal zu finden. Doch Charles Adarkwah aus dem Siegerland sagt: „Es gibt Lösungen.“

Wenn Professor Adarkwah von seinem Beruf erzählt, redet er schnell, gestikuliert viel und hat oft ein Lächeln im Gesicht. Sorgen wegen Personalproblemen macht der Allgemeinmediziner sich nicht. Stattdessen freut er sich auf jede Begegnung mit seinen Patienten: „Hinter jeder Tür wartet eine neue Geschichte. Du weißt nie, was auf dich zukommt.“ Zu der Praxis „familydocs“ gehören mittlerweile vier Filialen in unterschiedlichen Kreuztaler Stadtteilen – und keine Personalprobleme. Aber wie kann das sein, wo es doch überall auf dem Land an medizinischem Nachwuchs zu fehlen scheint?

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Probleme in der medizinischen Versorgung: besonders im ländlichen Bereich

Vor allem im ländlichen Bereich werde die Nachbesetzung von Arztpraxen in vielen Regionen schwieriger, erklärt die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL), die auch für Kreuztal zuständig ist. Es würden sich nicht mehr genug junge Medizinerinnen und Mediziner für eine eigene Praxis entscheiden. „Knapp 40 Prozent der derzeit in Westfalen-Lippe tätigen Hausärzte und Hausärztinnen sind 60 Jahre oder älter“, sagt die KVWL. Auch dies zeige die Größe des Problems.

Mehrere innovative Lösungen nutzt Charles Adarkwah in der Kreuztaler „familydocs“-Praxis bereits – und das sehr erfolgreich. Delegation, Digitalisierung und Nachwuchsgewinnung – das sind die drei Pfeiler, auf denen er der Erfolg seiner Gemeinschaftspraxis gründet. „Es gibt Probleme, aber es gibt auch Lösungen“, betont er.

Digitale Angebote in der Kreuztaler Gemeinschaftspraxis

„Wir sind vielleicht digitaler unterwegs als andere Praxen“, vermutet Adarkwah. Über die „Online-Rezeption“ auf der Website kann direkt mit der Gemeinschaftspraxis gechattet werden. Über einfache Klicks können die Patienten und Patientinnen dort zudem leicht Rezeptverordnungen erhalten oder direkt Termine vereinbaren. Mit dem Tool werden erste Informationen erfasst und die ersten Fragen können so bereits automatisch beantwortet werden.

Auch eine Videosprechstunde werde angeboten, sagt Adarkwah. Diese sei jedoch nicht mehr so nachgefragt, wie während der Corona-Pandemie. Eine wirkliche Erleichterung bringe sie der Praxis allerdings sowieso nicht: „Die Kontaktzeit ist die gleiche.“ Klar ist für den Arzt und Professor aber auch: „Digitale Mittel können helfen, aber wir brauchen Menschen.“

Familydocs setzen auf flexible Arbeitsmodelle

Um den Beruf für junge Menschen attraktiver zu gestalten, sind ihm vor allem flache Hierarchien und flexible Arbeitsmodelle wichtig. „Wir sind eine große Praxis mit neun Ärzten und Ärztinnen. In diesem großen Konstrukt kann individuellen Bedürfnissen besser entsprochen werden.“ So gebe es für die Angestellten die Möglichkeit, erst später anzufangen, wenn etwa ein Kind zuvor noch in den Kindergarten gebracht werden müsse. Einige der Angestellten würden auch nur in Teilzeit arbeiten.

Größere Praxen können demnach helfen, dem Ärztemangel zu begegnen. Das beobachtet auch die KVWL: „Viele Ärztinnen und Ärzte interessieren sich heute für eine Tätigkeit in Anstellung und in Teilzeit in größeren Praxen.“ Dort sei die Verantwortung auf mehrere Schultern verteilt und die Praxen böten eine bessere Vereinbarkeit von Arbeit, Familie und Freizeit.

18.09.2024 Wie versuchen Arztpraxen in der Region das Problem des Fachkräftemangels zu lösen? Prof. Dr. Dr. med. Charles Adarkwah verfolgt in der Gemeinschaftspraxis

„Im großen Konstrukt kann individuellen Bedürfnissen besser entsprochen werden.“

Professor Charles Adarkwah

Weiterbildung und Delegation in der Gemeinschaftspraxis

In der Gemeinschaftspraxis von Adarkwah gibt es noch weitere Hilfsmittel gegen den Mangel an medizinischem Personal: Mit einer Weiterbildung zu Versorgungsassistentinnen können einige medizinische Fachangestellte die Praxis ebenfalls unterstützen. Blutabnahmen, Wundkontrollen und auch Besuche in Pflegeheimen kann das zusätzliche Personal alleine erledigen. Bei Unsicherheiten und für das persönliche Gespräch können sie bei Hausbesuchen auch die Ärzte und Ärztinnen aus der Praxis digital zuschalten.

Auch langfristig müsste sich um flexible Arbeitsmodelle bemüht werden: „Die Zukunft sind Gemeinschaftspraxen“, ist Adarkwah überzeugt. Einen Vorteil sieht er neben der größeren Flexibilität auch in den einfachen Absprachen: Viele Fragen und Unsicherheiten könnten im Team schnell und leicht geklärt werden.

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Professor Charles Adarkwah erklärt Studentin Theresa Grzeschik, was im Gespräch mit Patientin Anne Jünger wichtig ist. © WP | Antonia Flieder

Wichtig bleibt für die Praxis im Siegerland weiterhin die Nachwuchsgewinnung

Die Behandlungsräume seiner Praxis sind schlicht gestaltet: ein Holztisch, eine Liege, wenige Bilder und drei Stühle. Adarkwah sitzt auf einem der Stühle und erzählt von Lösungen, Digitalisierung und vor allem vom ärztlichen Nachwuchs: „Die beste Maßnahme ist, den Nachwuchs zu begeistern.“

Auch um das zu erreichen, unterrichtet er neben seiner Tätigkeit als Arzt in Kreuztal an der Philipps-Universität Marburg. Als Lehrpraxis für mehrere Universitäten werden bei ihm auch Praktika für Medizinstudenten angeboten. Insgesamt 17 Studierende hätten in diesem Jahr bereits ein Praktikum in der Gemeinschaftspraxis absolviert. Auch wenn die Praktikanten noch viel Unterstützung benötigten, freut sich Adarkwah über die junge Unterstützung: „Eine der Studentinnen hat schon gesagt, dass sie nächstes Jahr nach ihrem Abschluss gerne hier anfangen möchte.“

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Studentin Theresa Grzeschik darf in der Gemeinschaftspraxis „familydocs“ im Siegerland in bestimmten Bereichen eigenständig arbeiten. © WP | Antonia Flieder

Medizinstudentinnen in der Hausarztpraxis

Was macht den Beruf für die Studentinnen so attraktiv? Theresa Grzeschik (37) ist eine dieser Studentinnen. Die Siegerländerin hat sich für ein viermonatiges Praktikum bei den familydocs entschieden. Ihr gefällt in der Hausarztpraxis vor allem der enge Kontakt zu den Menschen: „Ich finde es spannend, dass man die Leute lange Zeit begleitet und so auch die Familien kennenlernt.“ In Studentinnen wie Theresa Grzeschik sieht Adarkwah ein großes Potenzial: „Wir machen die Beobachtung, dass Siegerländer nach ihrem Medizinstudium auch eher wieder für das Siegerland zurückgewonnen werden können.“

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Viele Lösungen der Gemeinschaftspraxis könnten auch für andere Ärzte und Ärztinnen attraktiv sein, schätzt Adarkwah. Aber es seien viele Anpassungen notwendig: „Das sind Strukturen, die wachsen müssen.“ Ein Beispiel: Um die Flexibilität für die Angestellten erhalten zu können, müssten im Vorhinein immer Termine vereinbart werden. „Vieles“, sagt der Arzt, „ist nicht mehr wie früher.“