Hagen/Münster. Bezirksregierung in Kritik, denn Mediziner könnten gerade auf dem Land Lücken in Kliniken füllen. Arzt: „Die gehen entnervt wieder.“
Wird der Kampf gegen den Ärztemangel im Land durch langsame Bürokratie ausgebremst? Mediziner mit ausländischem Pass könnten in Kliniken Personalprobleme lindern, doch zunehmend beklagen sich Bewerber über schleppende Bearbeitung ihrer Anträge auf Arbeitserlaubnis. Die Bezirksregierung Münster, für ganz NRW zuständig, hat gegenüber der Westfalenpost bestätigt, dass derzeit sieben Untätigkeitsklagen gegen sie vor verschiedenen NRW-Verwaltungsgerichten laufen.
Laut Bundesärztekammer sind hierzulande 64.000 ausländische Ärzte tätig, fast 80 Prozent von ihnen in Krankenhäusern, davon „überproportional häufig“ in kleineren Kliniken auf dem Land. „Ohne die Ärzte aus dem Ausland können wir unser Gesundheitssystem nicht auf dem derzeitigen Standard aufrechterhalten“, sagt die Vizepräsidentin der Bundesärztekammer, Ellen Lundershausen.
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Ärzte, die ihr Medizinstudium in Drittstaaten – Staaten, die nicht zum Europäischen Wirtschaftsraum gehören – abgeschlossen haben, bekommen in Deutschland nicht automatisch ihre Approbation (Berufserlaubnis), sie müssen diese beantragen. Für NRW prüft die Zentrale Anerkennungsstelle für Gesundheitsberufe bei der Bezirksregierung Münster die Anträge auf Vollständigkeit und schickt diese weiter an die Gutachtenstelle für Gesundheitsberufe in Bonn.
Diese Behörde entscheidet, ob der im Ausland erworbene Abschluss als gleichwertig zur deutschen Ausbildung einzustufen ist. Falls sie dies verneint, muss der Antragsteller in eine Kenntnisprüfung. Dazu kommt für alle Bewerber eine Fachsprache-Prüfung. Die Leiterin der Gutachtenstelle räumte kürzlich ein, dass aufgrund des Anstiegs der Antragszahlen „die Gleichwertigkeitsprüfung ein halbes Jahr, acht Monate oder in wenigen Fällen bis zu einem Jahr dauern kann“.
Bewerber gehen in andere Länder
Nihad Al Hussin ist Oberarzt am St. Vincenz-Krankenhaus in Salzkotten (Kreis Paderborn). Ehrenamtlich hilft der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie frustrierten Kolleginnen und Kollegen aus dem Ausland, die einen Antrag auf Approbation gestellt haben und monatelang nichts von der Bezirksregierung Münster hören. „In unseren Kliniken brauchen wir dringend Mediziner aus dem Ausland“, sagt er, „wegen bürokratischer Hürden und überlanger Bearbeitungszeit von Anträgen gehen hervorragende Kollegen leider allzu oft entnervt in andere Länder.“
Der 40-Jährige hat in sozialen Netzwerken Gruppen gegründet, in denen sich Ärzte „hauptsächlich aus dem Nahen Osten und Nordafrika“ austauschen. „Mindestens 10 Prozent von ihnen machen derzeit schlechte Erfahrungen mit der langsamen Bürokratie bei der Bezirksregierung Münster“, sagt er und ergänzt, dass allein seine Telegram-Gruppe 187 Mitglieder habe.
„Wegen bürokratischer Hürden und überlanger Bearbeitungszeit von Anträgen gehen hervorragende Kollegen leider allzu oft entnervt in andere Länder.“
Natürlich, sagt der Mediziner, sei es im Sinne der Patientensicherheit richtig, Anträge sorgfältig zu prüfen und nur Ärzte praktizieren zu lassen, die fachlich und sprachlich in der Lage seien, Patienten gut zu behandeln. Aber er hat den Eindruck: „Der Prüf-Prozess wird durch zu viel Bürokratie sowie organisatorische Defizite und Personalmangel bei der Bezirksregierung Münster gebremst.“
Er bekomme immer wieder mit, sagt Al Hussin weiter, dass Antragsteller nach Monaten aufgefordert würden, Unterlagen einzureichen, die schon längst in Münster vorlägen. Oder dass von einem vereidigten Dolmetscher übersetzte Unterlagen nicht akzeptiert würden und die Behörde eine neue zeitaufwändige Übersetzung verlange. Oder dass in der langen Wartezeit abgelaufene Unterlagen neu angefordert würden.
Gleichwertigkeitsgutachten angefordert
Der Oberarzt zeigt die Schriftwechsel der Behörde mit zwei Bewerbern: Sie haben an der gleichen Universität studiert, den gleichen Medizin-Abschluss gemacht und etwa zur gleichen Zeit ihren Antrag auf Anerkennung ihrer Approbation mit weitgehend identischen Unterlagen eingereicht. Während bei dem einen zügig die Gutachtenstelle mit einem Gleichwertigkeitsgutachten beauftragt wurde, erhielt der andere nach Monaten die Aufforderung, zahlreiche Unterlagen nachzureichen.
Diese Erfahrungen machen heimische Kliniken
Heimische Kliniken kennen die Herausforderung mit der Anerkennung von im Ausland erworbenen Qualifikationen. Wie das Klinikum Hochsauerland mit drei Standorten und 32 Fachkliniken. Von 358 Ärztinnen und Ärzten sind 107 mit einem ausländischen Geburtsort verzeichnet. „Insbesondere von Ärzten, die sich für das Gutachterverfahren entscheiden, erhalten wir nicht selten die Rückmeldung, dass die Anerkennungsverfahren als zeitintensiv und teilweise auch als bürokratisch empfunden werden“, so Sabine Kemper aus dem Bereich Personalentwicklung & Recruiting. Auch sei die Durchfall-Quote bei den Kenntnisprüfungen nicht unerheblich. „Einige Kolleginnen und Kollegen, die hier vor Ort sprachlich und fachlich einen guten Eindruck hinterlassen haben, sind an der Prüfung gescheitert.“ Dies könne dann dazu führen, dass Kandidaten zurück in ihr Heimatland gingen – oder aber in Nachbarländer, „wo das Anerkennungsverfahren – zumindest scheinbar – einfacher ist, wie etwa Österreich oder Schweiz.“
Auch Christian Stoffers, Sprecher des Marienkrankenhauses in Siegen kennt die Probleme: Es sei nicht immer klar, welche Kriterien angelegt würden. „So liegen Armenien und Aserbaidschan geographisch dicht beieinander. Abschlüsse aus Aserbaidschan werden eher anerkannt als die aus Armenien, was sich für uns nicht so richtig erklärt.“ Bei Abschlüssen aus der EU sei das Verfahren unproblematisch, bei allen anderen greife man auf externe Unterstützung zurück. mko
Nach Al Hussins Auffassung sollte die Bezirksregierung nur ein einziges Mal einen Medizin-Studiengang an einer ausländischen Universität begutachten lassen – und nicht bei jedem einzelnen Antrag von der Gutachtenstelle in Bonn eine Gleichwertigkeitsprüfung in Auftrag geben: „Das würde das Verfahren deutlich beschleunigen und Kosten sparen.“
Hohes Antragsaufkommen
Bereits die Eingangsbestätigung des Antrags mit der Information, ob noch Unterlagen fehlen, komme häufig mit Verzögerung, kritisiert Al Hussin. Er zeigt das Schreiben eines Sachbearbeiters. Darin heißt es: „Aufgrund des hohen Antragsaufkommens, kann die gesetzliche Frist von vier Wochen für diese Rückmeldung leider nicht eingehalten werden.“ Auf der Internetseite der Bezirksregierung findet sich der Hinweis: „Von Nachfragen zum Sachstand oder der Zuständigkeit bitten wir aufgrund des hohen Antragsaufkommens abzusehen.“ Al Hussin zufolge ist es nahezu unmöglich, einen Sachbearbeiter ans Telefon zu bekommen.
Bei der Bezirksregierung Münster hält man den Vorwurf der Untätigkeit für „ungerechtfertigt“, so Sprecherin Celina Ungruhe: „Es wird mit Hochdruck an der Bearbeitung der Anträge gearbeitet.“ Zuletzt habe man die Zentrale Anerkennungsstelle für Gesundheitsberufe personell „deutlich aufgestockt“.
Bezirksregierung dementiert
Gleichwohl weist sie auch den Vorwurf zurück, dass in ihrem Haus Anträge zum Teil länger als ein Jahr unbearbeitet liegen sollen: „In keinem der uns genannten Fälle konnte eine Untätigkeit festgestellt werden. Im Gegenteil ist festgestellt worden, dass Verfahren noch nicht weiter bearbeitet oder zum Abschluss gebracht werden konnten, weil Antragstellende trotz Aufforderung notwendige Unterlagen nicht oder nicht in der notwendigen Form einreichen.“ Die Sprecherin räumt allerdings ein, dass es bei den Gleichwertigkeitsverfahren in der Gutachtenstelle von Wartezeiten „von bis zu einem Jahr und mehr“ kommen kann.
Laut Bezirksregierung kommen die Antragstellenden aus der EU, dem Europäischen Wirtschaftsraum, der Schweiz und aus Drittstaaten. In diesem Jahr seien bislang Anträge aus 93 verschiedenen Ländern eingegangen: „Die antragsstärksten Länder sind: Syrien, Türkei, Jordanien, Ukraine, Iran.“
Im Schnitt 50 Tage Bearbeitungszeit
Celina Ungruhe zufolge lag 2023 die Bearbeitungszeit „zwischen dem Eingang der vollständigen Unterlagen bis zur Erteilung des Bescheides“ im Schnitt bei 50 Tagen. Die Zeit zwischen Antragstellung und Abschluss des Verfahrens werde statistisch nicht erfasst. Dabei verweisen genau hier ausländische Ärzte, die mit Nihad Al Hussin in Kontakt stehen, auf lange Wartezeiten.
Der Oberarzt nennt das Beispiel von Kollegen aus dem Gazastreifen, die lange vor Kriegsausbruch Anträge eingereicht hätten: „Jetzt, nach ihrer Flucht, wurden sie aufgefordert, weitere Unterlagen vorzulegen. Das können sie gar nicht, weil ihre Universität weggebombt wurde.“
In Deutschland Medizin studiert
Al Hussin, der 2010 sein Medizinstudium in Deutschland abgeschlossen hat, denkt auch an die Situation in Syrien: „Viele Medizinstudenten absolvieren in den letzten Studienjahren bereits Deutschkurse. Sie schreiben mir E-Mails in sehr gutem Deutsch und ich frage sie, wo in Deutschland sie leben. Sie antworten mir dann, dass sie noch nie hier waren. Wir wollen doch unbedingt solch hoch motivierte Leute haben. Und dann bekommen wir von den Behörden gesagt: Durch unsere intensive Antragsbearbeitung wollen wir schlechte Ärzte heraus selektieren. Aber es passiert doch genau das Gegenteil, wenn sich gute Ärzte angesichts einer langsamen Bürokratie in andere Länder umorientieren.“
Alleine wegen ukrainischer Ärzte ist die Zahl der Antragsteller größer geworden. Einer Behördenabfrage der „Welt am Sonntag“ zufolge warten 1700 Ärzte aus der Ukraine auf ihre Anerkennung in Deutschland. „Das ist in vielerlei Hinsicht katastrophal“, sagt Nihad Al Hussin: „Sie wollen arbeiten, dürfen aber nicht, obwohl sie dringend in den Kliniken gebraucht werden – und belasten darüber hinaus die Sozialkassen.“
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