Sauerland/Hagen. Friedlich schlängelt sich der Fluss durch Sauerland und Ruhrgebiet. Experten zeigen: Darum kann das Baden in der Ruhr tödlich enden.
Den Frauen und Männern auf dem Floß ist der Spaß anzusehen. Als sie bei ihrer Fahrt auf der Ruhr dem DLRG-Rettungsboot „Custodis“ begegnen, winken sie der Besatzung freudig zu, einer ruft den Lebensrettern noch ein launiges „fahrt nicht so weit weg“ entgegen.
Selbstrettung aus Strömungen
Auch zur Selbstrettung aus Strömungen hat die DLRG Verhaltensregeln aufgestellt:
Nie gegen die Strömung anschwimmen, weil dies kräftezehrend ist und selten zum Erfolg führt.
Mit der Strömung treiben lassen und versuchen, langsam - dabei schräg und gleichzeitig mit der Strömung – ans Ufer zu kommen.
Wenn man der Erschöpfung nahe ist: auf den Rücken legen und mit den Füßen (und mit dem Blick) nach vorne treiben lassen. Mit den Armen kann man etwas die Richtung korrigieren.
Stefan und Silke Drechsler von der DLRG-Ortsgruppe Hattingen-Süd (Bezirk Hagen/Ennepe-Ruhr) winken höflich zurück. Sie wissen allerdings, wie schnell aus Spaß Ernst werden kann. Erst vor eineinhalb Wochen ist im Hattinger Stadtgebiet ein Mann in der Ruhr ertrunken.
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Der mutmaßliche Nichtschwimmer hatte sich der Feuerwehr zufolge unweit einer Brücke in die Ruhr begeben und war einige Meter vom Ufer entfernt untergegangen. „Die Ruhr ist kein Freibad“, sagt „Steuermann“ Stefan Drechsler und beschleunigt die 4,70 Meter lange Custodis (übersetzt: Hüter), die bis zu 45 Stundenkilometer schnell werden kann: „Bei der Rettung Ertrinkender zählt jede Sekunde“, sagt er.
Soeben hat DLRG-Präsidentin Ute Vogt wegen der Zunahme tödlicher Badeunfälle an Flüssen Alarm geschlagen: „Gerade ein Fluss wirkt oft so ruhig und friedlich, aber entwickelt eine gewaltige Strömung“, sagte die langjährige SPD-Bundestagsabgeordnete. Und gab den wohlmeinenden Ratschlag, dass sie „den allermeisten vom Baden in Flüssen nur abraten kann“. Laut DLRG sind in den ersten sieben Monaten des Jahres bereits 42 Menschen in NRW in Flüssen und Seen ertrunken.
Tückische Strömungen in der Ruhr
Und doch gehen bei sommerlichen Temperaturen – im Ruhrgebiet wie im Sauerland – Schwimmer und Nichtschwimmer in Scharen zum Abkühlen in die Ruhr, dem 219 Kilometer langen Nebenfluss des Rheins. Die DLRG-Ortsgruppe Hattingen-Süd überwacht an Wochenenden von Mai bis Ende September einen 7,5 Kilometer langen Abschnitt. „Besonders an heißen Samstagen könnte man von einem Kanu, Schlauchboot, Floß oder Stand-up-Paddling-Board zum nächsten von einem Ufer der Ruhr zum anderen laufen“, beschreibt Stefan Drechsler den Massenandrang.
So mancher nimmt dann gerne ein erfrischendes Bad im Wasser, ebenso Chillende und Feiernde im Uferbereich. „Es gibt tückische Strömungen in der Ruhr, die man über der Wasseroberfläche nicht sieht“, warnt Drechsler, „wer das nicht weiß und plötzlich mitgerissen oder unter Wasser gezogen wird, gerät schnell in Panik.“ Insbesondere Nichtschwimmer. Nicht zu vergessen: die Verletzungsgefahr im Wasser durch Treibgut.
Wenn das rettende Ufer unerreichbar wird
In Fließgewässern wie der Ruhr finden sich keine große Wellen. Und doch herrschen andere Gesetze als an einem See oder in einem Schwimmbad. Um die Kräfte im Wasser zu demonstrieren, kuppelt Stefan Drechsler kurzzeitig das Rettungsboot aus: „Sehen Sie, wie schnell es abtreibt? Sie können sich vorstellen, wie es einem deutlich leichteren Menschen ergeht.“ Und wenn man dann auch noch den Grundfehler begeht - zu versuchen, gegen die Strömung zu schwimmen -, lässt alsbald die Kraft nach und das rettende Ufer wird unerreichbar.
Stefan Drechslers Ehefrau Silke zeigt derweil auf eine Stelle am Ufer, an der Passanten gerne mit den Füßen im Wasser stehen. „Geht man ein, zwei Schritte vor, hat man die Abbruchkante erreicht und tritt sozusagen ins Nichts.“ Der tragische Badeunfall ist dann nicht mehr weit. Was auch für jene Sonnenanbeter am Rande der Ruhr gelten kann, die außer Acht lassen, dass der plötzliche Temperaturabfall beim Sprung ins kühle Wasser zu einem akuten Kreislaufversagen führen kann.
Gernot Kubiak ist 1. Vorsitzender der DLRG-Ortsgruppe Hattingen-Süd. Der Westfale erkennt verschiedene Ursachen für Badeunfälle: „Schlechtes Schwimmvermögen, Unkenntnis der Gegebenheiten, Unterschätzen der eigenen Fähigkeiten und der Gefahren sowie Alkoholkonsum in Verbindung mit Leichtsinn.“ Selbstüberschätzung sei bei Männern stärker ausgeprägt als bei Frauen, ergänzt er: „Sie sind da einfach vorsichtiger.“ Fragt man ihn, wie er es findet, dass manche Kommunen an der Ruhr das Baden in dem Fluss untersagen und andere nicht, sagt er: „Verbote helfen nicht, wenn sie nicht kontrolliert werden.“
„Verbote helfen nicht, wenn sie nicht kontrolliert werden.“
Der erfahrene Strömungsretter appelliert an den gesunden Menschenverstand und betont: „Schlechte Schwimmer, Betrunkene und Kinder haben in der Ruhr nichts zu suchen.“ Und doch weiß er, dass die Zahl der Nichtschwimmer im Land - und womöglich der Badeunfälle - weiter steigen wird: „Durch Bäderschließungen verringern sich die Zeiten für die Schwimmausbildung.“ Auch mit Auswirkungen auf die Nachwuchsgewinnung bei den Lebensrettern: „Bundesweit kommen weniger Menschen mit der DLRG in Berührung.“
Nachwuchsförderung großgeschrieben
In der Ortsgruppe Hattingen-Süd steuert man dem entgegen, indem man frühzeitig Heranwachsende in „Kinder- und Jugend-Einsatz-Teams“ bindet. Kim Sombrowski (13) ist seit einem Jahr dabei und unterstützt gerade Stefan und Silke Drechsler bei der Kontrollfahrt mit dem Rettungsboot Custodis.
„Die DLRG ist wie ein zweites Zuhause für mich“, sagt die Jugendliche und strahlt mit den Drechslers um die Wette. Das Ehepaar rühmt die familiäre Atmosphäre und das Gemeinschaftsgefühl in der Rettungswache im Hattinger Ruhrbogen. Nicht nur, weil auch ihre beiden Söhne in der DLRG-Ortsgruppe Hattingen-Süd aktiv sind. „Wenn man jemanden rettet, ist das ein schönes Gefühl“, sagt Stefan Drechsler.
Und da ist die öffentliche Anerkennung: „Beim Hochsommer 2021 haben wir im Katastrophenschutz geholfen“, so Drechsler, „seitdem erfahren wir größere Wertschätzung aus der Bevölkerung. Auch mal ein Dankeschön. Das beflügelt bei unserer ehrenamtlichen Tätigkeit.“ Sagt‘s und erwidert das Winken aus einem Kanu.
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