Sundern. DLRG-Präsidentin Ute Vogt warnt vor Schwimmbäder-Schließungen in der drohenden Energiekrise. Der Schwimmunterricht müsse dringend stattfinden.

Ute Vogt (57) ist seit Oktober 2021 Präsidentin der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG). In dem Monat verließ die langjährige SPD-Spitzenpolitikerin den Deutschen Bundestag. Die gebürtige Baden-Württembergerin lebt jetzt in Schleswig-Holstein. Kürzlich hat sie die DLRG-Wachstation am Sorpesee besucht.

Was führt Sie ins Sauerland?

Ute Vogt: Eine Einladung des SPD-Bundestagsabgeordneten Dirk Wiese bei meinem Abschied aus dem Parlament. Im Sauerland war ich zuletzt vor 44 Jahren. Im Urlaub mit meinen Eltern.

Welchen Stellenwert hatte das Schwimmen in Ihrer Schulzeit?

Es gehörte zum Lernen wie Lesen und Rechnen. An jeder Schule gab es ein Lehrschwimmbecken und genügend Schwimmlehrer.

Und heute?

Haben Schulen teilweise gar keine Bäder mehr zur Verfügung oder der Schwimmunterricht fällt aus, weil die Schüler erst eine Stunde an eine Schwimmhalle gefahren werden müssen. Dabei steht in den Lehrplänen aller Bundesländer, dass das Schwimmen als Kulturtechnik im Unterricht angeboten werden soll. Doch es fehlen den Schulen neben den Wasserflächen auch Schwimmlehrerinnen und -lehrer.

Sind die Deutschen auf dem Weg, ein Nichtschwimmer-Volk zu werden?

Was heißt auf dem Weg? Genau genommen sind wir schon ein Volk der Nichtschwimmer. 60 Prozent der Kinder am Ende der Grundschule sind keine sicheren Schwimmer. Das Problem hat sich in der Pandemie verschärft: Es fehlen zwei komplette Ausbildungs-Jahrgänge. Zudem sinkt die Zahl der Schwimmmeister. Und die DLRG konnte weniger Rettungsschwimmerinnen und -schwimmer ausbilden, die wiederum Kindern das Schwimmen beibringen könnten.

Die NRW-Landesregierung will mit mobilen Schwimmbädern Orte für den Schwimmunterricht schaffen. Was halten Sie davon?

Bei der DLRG gab es schon entsprechende Modellversuche. Das ist besser als kein Bad, aber man darf den Betreuungs- und Kostenaufwand nicht unterschätzen. Zudem eignen sich diese Pools vor allem, um mit Kindern die ersten Schritte zu gehen, also sie an das Wasser zu gewöhnen und einige Grundfertigkeiten zu erlernen. Richtig schwimmen lernen ist nicht möglich. Ich bin für richtige Bäder, in denen man das ganze Jahr über schwimmen kann. Da führt kein Weg dran vorbei.

In der drohenden Energiekrise im Herbst drohen Bäderschließungen. Wie kann man gegensteuern?

Es wäre eine Katastrophe, wenn die Schwimmausbildung im dritten Jahr nacheinander ausfiele. Die Bäder müssen so lange wie eben möglich geöffnet bleiben. Im Fall der Fälle brauchen wir einen Stufenplan: Zunächst könnte man die Außenbereiche nicht mehr heizen. Und bevor ein Bad mit Schwimmbahnen schließt, sollte man Freizeit- und Spaßbäder vorübergehend dicht machen, die nur der Unterhaltung dienen. Im dritten Schritt ließe sich vielerorts sicher noch die Wassertemperatur etwas absenken.

Haben Sie eine Erklärung dafür, warum so viele Bäder marode sind?

Solange es läuft, ist alles gut. Ähnlich wie bei den Brücken. Eine marode Infrastruktur wird erst wahrgenommen, wenn es nicht mehr geht. Bäder sind eine freiwillige Leistung der Kommunen. Dass sie meist ein Zuschussgeschäft sind, gerät aus dem Blick. Und dass die Schwimmausbildung ein Teil der Daseinsvorsorge ist.

Wie sollen klammen Kommunen ein Bad unterhalten?

Sie dürfen nicht alleingelassen werden. Bäder kosten viel Geld im Unterhalt. Die Schließung ist nicht die Lösung. Seit der Jahrtausendwende haben in Deutschland hunderte Bäder dichtgemacht. Die DLRG fordert einen runden Tisch mit Vertretern von Bund, Ländern und Kommunen. Dabei sollte ein Bäderbedarfsplan erstellt werden. Es müssen weiße Flecken beseitigt und Gelder bereitgestellt werden. Aber zielgerichtet: Reiche Kommunen brauchen nicht noch ein weiteres Bad. Und noch ein Gedanke: Warum können sich nicht Landkreise an einem Bad beteiligen oder zumindest eine Initiative für kommunale Gemeinschaftsbäder starten? Bei der Ansiedlung von Gewerbegebieten sind sie ja auch behilflich.

Bundesbauministerin Geywitz hat den Startschuss für die neue Förderrunde des Bundesprogramms „Sanierung kommunaler Einrichtungen in den Bereichen Sport, Jugend und Kultur“ gegeben. Eine Chance?

Auf jeden Fall. Vor dem Hintergrund der steigenden Energiekosten würden sich Bäder für die Umstellung auf erneuerbare Energien geradezu eignen. Die Aussicht auf Fördermittel sind aktuell umso wichtiger, wo die Bundesregierung das Investitionspaket Sportstätten beenden will. Hier wiederum setzt die Koalition leider ein völlig falsches Signal. Um das auszugleichen, sollten über das Programm des Bundesbauministeriums auch in den kommenden Jahren Mittel in mindestens gleicher Höhe zur Verfügung gestellt werden.

Warum ist es so wichtig, dass Kinder das Schwimmen lernen?

Es ist eine Frage der Sicherheit, mehr noch: des Überlebens. Menschen – Kinder ganz besonders – werden von Wasser oft wie magisch angezogen. Können sie nicht schwimmen, geraten sie in lebensgefährliche Situationen. Diese werden zunehmen, weil es mehr heiße Sommer geben wird und so mehr Menschen an Seen gelockt werden. Ich befürchte, dass die Zahl an tödlichen Badeunfällen steigen wird.

Warum passieren mehr Badeunfälle an heimischen Seen als am Meer?

Die Gefahr wird unterschätzt, weil man glaubt, den See vor der Haustür zu kennen. Und von außen sieht das Schwimmen einfach aus. Schnell überschätzt man sich da. An Nord- und Ostsee sind zum einen die meisten Strände bewacht und zum anderen nötigen die Wellen am Meer mehr Respekt ab. Und im Sommer werden viele Strände an Nord- und Ostsee sieben Tage in der Woche tagsüber von Rettungsschwimmerinnen und Rettungsschwimmern bewacht. Die DLRG besetzt hier fast 90 Stationen.