Südpazifik. Nachdem ein Wal sein Boot versenkte, trieb Simon Fischer stundenlang auf dem Ozean. Heute segelt er wieder. Doch die Angst begleitet ihn ständig.
Simon Fischer erinnert sich noch gut an das Unglück, an die Angst, an das Adrenalin: „Im ersten Moment stand ich unter Schock. Da habe ich einfach nur funktioniert.“ Erst, als er unter Deck der sinkenden Segelyacht die wichtigsten Dinge packte - Wasser, Konserven und Kommunikationsgeräte - und das Wasser ihm nach kurzer Zeit bis zu den Knien reichte, kamen die Zweifel: „Was, wenn wir das nicht schaffen?“ Und dann kam die Todesangst.
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Was sich am 13. März knapp 1200 Seemeilen vor der französisch-polynesischen Küste auf dem südpazifischen Ozean abspielte, klingt wie ein Horrorfilm: Bei ruhiger See und Sonnenschein saß der Sauerländer mit dem Rest der vierköpfigen Crew im Cockpit der „Raindancer“ beim Pizzaessen, als plötzlich ein dumpfer Schlag das Boot erzittern ließ - ein Wal hatte sie gerammt. Der 26-Jährige sah das Tier noch abtauchen, als auch schon die Sirenen losschrillten. Durch große Risse im Propellerschacht drang immer mehr Wasser ein. „Das ging ziemlich rasant bergab“, erinnert sich Simon. Innerhalb von Minuten liefen Teile der Yacht mit Wasser voll, alle Systeme schlugen Alarm. „Dann hat Rick, der Kapitän, gesagt, dass wir von Bord gehen müssen. In der Sekunde wurde es erst richtig real für mich. Es war klar, dass wir das Boot nicht retten können.“
Sofort bereiteten die Crewmitglieder die Evakuierung vor, rafften Lebensmittel und Kleidung zusammen - sie hatten nur wenig Zeit, das Wasser stieg schnell. Dann kam für Simon der nächste Horrormoment: Mit Crew-Kameradin Alana warf er das Rettungsfloß über Bord, wo es sich von selbst aufblasen sollte, als plötzlich ein lautes Zischen ertönte.
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Für Simon fror die Zeit ein: „Wir hatten ja noch die Angelruten draußen“, erzählt er heute. „Mein Kopf hat sofort die Ruten mit dem Floß verknüpft und ich dachte: ‚Da ist ein Loch. Wir werden es nicht mal auf das Rettungsboot schaffen.’ Da hatte ich die größte Angst.“ Es dauerte ein paar Sekunden, bis er verstand, dass das Zischen von dem Überdruckventil kam und mit dem Floß alles in Ordnung war. Dort hineinzusteigen, kostete Simon jedoch große Überwindung: „Im Vergleich zur Sicherheit der Yacht war die Rettungsinsel kaum mehr als eine wackelige Luftmatratze.“ Und dann waren da noch die Zweifel: „Unter einem ist nichts als Wasser, und man denkt: Was ist, wenn jetzt wieder ein Wal hochkommt? Man fühlt sich nicht sicher.“
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Acht Stunden treibt die Crew auf dem Ozean
Keine zwanzig Minuten dauerte es, dann war die „Raindancer“ spurlos im Meer versunken. Die Crew rettete sich auf die Rettungsinsel und setzte einen Notruf ab - und dann warteten sie. Acht Stunden trieben sie auf dem Meer, die Nacht brach herein und alles wurde schwarz. „Das war eine surreale Situation“, schildert Simon, „Man schwebt zwischen Leben und Tod.“ Heute weiß er, dass sie damals relativ gute Chancen hatten, weil Hilfe bereits unterwegs war. Aber damals auf dem Floß ging ihm viel durch den Kopf: „Man schwimmt in der Dunkelheit in diesem riesigen Ozean und fängt schnell an zu grübeln: ‚Was, wenn die Insel kaputt geht? Was waren deine letzten Worte an deine Eltern?’ Je mehr man sich verliert, desto unsicherer und panischer wird man.“ An seine Familie dachte er viel in diesen Stunden, und an seine Freunde. Um sich von der Angst und der Grübelei abzulenken, habe die Crew viel gescherzt und Witze gemacht. „Das war gut“, sagt Simon, „wir haben uns da gegenseitig durchgeholfen.“
Schließlich wurden sie von der „Rolling Stones“, einem anderen Segelboot, gerettet. Bis zum sicheren Festland mussten sie jedoch weitere zehn Tage an Bord des Katamarans verbringen, auf hoher See. Für Simon war das eine schlimme Zeit: „Ich hatte kein Vertrauen mehr in den Ozean. Ich wollte nur zurück an Land.“ Das fremde Boot, die ungewohnten Geräusche, das Schlagen der Wellen gegen dem Rumpf - er und seine Freunde waren permanent in Alarmbereitschaft: „Bei jedem Knall dachte ich: ‚Das ist der nächste Wal.’ Man glaubt, dass es gleich wieder passiert, man sich gleich wieder retten muss.“ Sein Puls raste ständig, er war permanent angespannt: „Diese zehn Tage waren eine große Herausforderung.“
Segeln bleibt Simons große Leidenschaft
Das Segeln ist Simons große Leidenschaft. Rückblickend ist er froh, dass er in den zehn Tagen nach dem Unglück auf dem Boot dem Meer weiterhin ausgesetzt war: „Ich hatte ja keine Wahl, ich konnte nicht flüchten. Also musste ich mich meiner Angst stellen. Im Nachhinein kann ich sagen, dass das sehr wertvoll war.“ So dauerte es auch keine vier Monate, bis er wieder lossegelte - von Neuseeland zum Inselstaat Tonga, zusammen mit seinem Freund Rick auf dessen neuem Boot, der „Raindancer II“. „Für mich war das Kapitel noch nicht abgeschlossen“, erklärt der Sauerländer bestimmt.
Doch das Unglück im März hat bei dem 26-Jährigen starke Spuren hinterlassen. Schlaflose Nächte und lauernde Gedankenspiralen begleiteten ihn auf der neuen Reise. „Ich habe mich da anfangs total überschätzt und die Angst heruntergespielt. Sobald wir die Küste hinter uns ließen, war es ein sehr komisches Gefühl, wieder auf einem Boot da draußen zu sein.“ Wenn er heute davon spricht, lacht er. Doch damals auf See hat er schlimme Momente erlebt. Immer wieder ertappte er sich dabei, dass er ins Grübeln geriet. Vor allem in Wohlfühlmomenten, wenn er gemütlich beim Essen saß oder einen Sonnenaufgang beobachtete: „Auf einmal erinnert einen das wieder an den Tag im März, wo auch erst alles gut war, und man denkt: ‚Gleich passiert wieder etwas schlimmes.’“ Besonders hartnäckig waren die negativen Gedanken in den einsamen Nachtschichten am Steuer, in der Dunkelheit: „Da hat man viel Zeit zum Nachdenken. Im Dunkeln wirkt alles gruseliger und gefährlicher.“
Die Angst bleibt auf See Simons ständiger Begleiter
Simon hat gelernt, mit der Angst umzugehen. In Momenten, in denen sie ihn überkommt, behält er die Kontrolle: „Ich sage mir: ‚Alles ist gut, du hast es schon einmal geschafft und würdest es wieder schaffen.’“ Um die negativen Gedankenspiralen zu durchbrechen, geht er im Kopf die Abläufe durch, ruft sich in Erinnerung, wo sich Rettungsboot, Notfallrucksack und wichtige Geräte befinden. Er weiß: „Wir sind jetzt sehr gut ausgerüstet und könnten das Schiff im Notfall in fünf Minuten verlassen. Das muss man sich immer wieder vor Augen führen, dass man ein bisschen Kontrolle hat.“
Auch mit Musik kann er sich ablenken und es hilft ihm, mit seinem Freund Rick offen über die Angst zu sprechen. So habe er das Vertrauen in das Meer nach und nach zurückgewonnen, und auch die Zeit trägt ihr Übriges dazu bei: „Mit jedem Tag auf See, an dem nichts passiert ist, wurde es besser. Mittlerweile kann ich sagen: Ich habe wieder zum Segeln zurückgefunden.“
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Aber er plant bereits seine nächste große Reise: Bis August wolle er in Deutschland arbeiten, um dann erneut mit Kapitän Rick auf der „Raindancer II“ den Pazifik zu besegeln. „Rick will das Boot in den pazifischen Norden bringen, nach Kanada oder Nordamerika.“ Auf dem Weg dorthin wollen die beiden Abenteurer vielleicht einen zweiten Versuch wagen und von Tonga nach Französisch-Polynesien segeln. Auf der selben Route wie damals, als der Wal ihre Reise abrupt beendet hatte.
Simon ist optimistisch: „Wenn alles klappt, schreiben wir das Kapitel auf dem neuen Boot zu Ende.“ Trotzdem ist er sich des Risikos jetzt immer bewusst. Keine Reise tritt er mehr leichtfertig an: „Es ist jedes Mal eine Entscheidung und man trägt im Ernstfall die Konsequenzen. Wir sind nur zu Gast auf dem Ozean.“