Hagen. Sein Gesicht ist mit der Gastroszene der letzten 40 Jahre in Hagen verbunden. Besuch bei einem bekannten Menschen.
Er trägt Ärmelhalter. Ein Accessoire, das so selten geworden ist wie er selbst. Sie sitzen an beiden Armen exakt auf der gleichen Höhe. Aus rotem Samt mit weißen Punkten. Das Hemd sitzt wie ein Guss. Dazu Anzugshose mit weißen Nadelstreifen. Und dann noch eine funkelnde Krawattennadel und Lederschuhe wie poliert. Giovanni Ligorio (65) hätte Jeans tragen können. Oder einen Jogginganzug. Tut er aber nicht. Er trägt diese Kleidung aus Respekt vor sich selbst. Aber auch als Wertschätzung für seinen Gegenüber. So wie der Mann, dem wohl so viele Tausende Hagener im Nacht- und Gastroleben schon einmal begegnet sind, es immer getan hat. Adrett, höflich, zuvorkommend. Über 40 Jahre lang.
Giovanni Ligorio stammt aus Brindisi. Was für viele Deutsche ein Sehnsuchtsort in Apulien geworden ist, ließen die Ligorios in den 60er-Jahren hinter sich. Sein Vater Cosimo war schon in den 50er-Jahren nach Hagen gekommen. Die Nachkriegsjahre boten dem Maurer viel Arbeit. Erst baute er Straßen wieder auf, dann wurde er bei der Bahn eingestellt.
Giovanni Ligorio kommt später als kleiner Junge her. Seinen ersten Job erhält er beim Gemüsehändler Stelzmann auf dem Markt an der Springe. Der Händler schätzte Giovannis Tüchtigkeit. „Er holte mich mit dem Cadillac ab, wenn wir zum Markt fuhren“, erinnert sich Ligorio an die Hagener Nachkriegsjahre.
Alles bei den Buccos gelernt
Entscheidend für seine Zukunft ist die Begegnung mit der in Hagen bekannten Gastronomenfamilie Bucco. Giovanni Ligorio ist Anfang 20 und lernt in dem Restaurant in Altenhagen von der Pike auf, was Gastronomie bedeutet. Nico Bucco setzt auf ihn, fördert ihn. „Er hat mir alles gezeigt. Vom Gläserpolieren bis zum Kaffeemachen.“
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Ligorio wird mit 20 Bahnangestellter, genau wie sein Vater. Er arbeitet sich hoch zum Kolonnenführer bei der Spedition für Güterabfertigung, Doch als die Mauer fällt, fluten Niedriglöhner auch den Hagener Markt. Das Lohnniveau wird immens gedrückt. „Ich konnte diese Arbeit nicht mehr für so wenig Geld machen. Also habe ich entschieden, aufzuhören“, blickt Giovanni Ligorio zurück.
Er macht einen Fehler, heiratet viel zu früh. Mit 21. Schnell geht die Ehe in die Brüche. Für einen Hagener Geschäftsmann übernimmt er immer wieder den Transport von Luxusfahrzeugen von A nach B. Als er bei einer Rückfahrt mit einem Mercedes AMG gedankenverloren mit fast 100 Stundenkilometern zu viel geblitzt wird und seinen Führerschein abgeben muss, fügen sich die Dinge in dem entstehenden privaten Chaos plötzlich.
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Parallel hatte Ligorio immer weiter bei den Buccos, aber auch in der einstigen Kult-Disko „Alibi“ am Graf-von-Galen-Ring gearbeitet. Besagter Geschäftsmann vermittelte ihm nach dem Führerscheinverlust einen Übergangsjob in der einstigen Kantine der AOK am Widey. Ligorio bleibt 15 Jahre lang und führt die Kantine eigenständig. Sie brummt. Weil das Essen stimmt und weil Ligorio sie mit seinem Gesicht prägt. Er hatte alles, was es brauchte. Service, den Blick für den Gast und sein Wohlbefinden, Schnelligkeit, Auffassungsgabe. Alles, was er bei den Buccos gelernt hatte, trägt ihn durch die kommenden Jahre.
Als die Kantine geschlossen wird, geht Ligorio ins „Theatro“. Doch das ging nach einem Jahr pleite. Ligorio geht nur einen Tag zur Probe im ehemaligen „Salt‘n‘Peppa“ an der Schwenke arbeiten und wird aus dem Stand übernommen. Fünf Jahre bleibt er. Unter seiner gastronomischen Führung wachsen die Umsätze, kommen die Gäste.
„Ich hatte noch nie in einer Kneipe gearbeitet, aber Magnus meinte, ich würde das mit meiner Erfahrung schon hinkriegen.““
Es folgt der Wechsel ins „Luna Mare“ in der Kampstraße. Wieder kommt der Erfolg, doch das Ladenlokal erweist sich als zu klein, um weiter wachsen zu können. Als der Italiener 2005 in der Bar Celona sitzt, spricht ihn ein damaliger Freund und Barleiter an. Zwei Jahre lang ist Ligorio zunächst als Kellner dort tätig, dann wechselt er für elf Jahre in eine Art Restaurantleiter-Rolle. Als das Franchise-Unternehmen sich neu organisiert, muss Ligorio 2015 gehen.
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Dann spricht ihn die Familie Peters an. Magnus Peters führt seit vielen Jahren das „Crocodile“ in der Mittelstraße. „Ich hatte noch nie in einer Kneipe gearbeitet, aber Magnus meinte, ich würde das mit meiner Erfahrung schon hinkriegen.“ Kriegt er auch. Am Wochenende versorgt Ligorio hier das durstige Feiervolk. „Eine super schöne Zeit, in der ich das Nachtleben noch mal anders kennengelernt habe.“
Eine Verletzung beendet die Gastro-Karriere
Nie hatte Ligorio zwischendurch aufgehört, im Postlager der AOK zu arbeiten. „Das war immer ein Standbein von mir“, sagt Ligorio. Doch genau dort trat er vor einigen Jahren bei der Arbeit in einen Nagel. Es kam zu einer schweren Entzündung. Durch eine dauerhafte Schonhaltung hat sich Ligorio die Hüfte kaputt gemacht. Vor drei Jahren musste das Hüftgelenk erneuert werden.
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In der Gastro aber konnte Ligorio nie wieder arbeiten. „Ich bin immer gehumpelt. Die Menschen haben mich darauf angesprochen. Es war dann zu Ende. Ich konnte das nicht mehr machen“, sagt er. Was bleibt, sind große Erinnerungen. An das Hagen der 80er- und 90er-Jahre. An 3000 Euro Trinkgeld im Monat. An Catering-Veranstaltungen mit den Reichen und Schönen. An ausschweifende Partys.
Rente war früher das Trinkgeld
„Meine Rente war früher mein Trinkgeld“, sagt Ligorio heute. Einst feierte er zwei Tage lang mit über 1000 Gästen im „Alibi“ seinen Geburtstag. 13.000 Mark hatte das gekostet. Er haute Teile seiner Abfindung bei der Bahn auf den Kopf. Zu Gast war sogar Anna Nicole-Smith. Das später weltbekannte Foto- und Erotikmodel war als junge Frau als „Miss Intercontinental“ in der Stadthalle aufgetreten und kurzerhand ins „Alibi“ gekommen, wo es überdies viel nackte Haut zu sehen gab. Sie starb 2007 im Alter von nur 39 Jahren.
„Es war ein familiäres Hagen damals. Wir haben gearbeitet und Partys gefeiert. Man kannte sich, und alles war sicher. Ich bin gedanklich total in den 80er-Jahren hängen geblieben“, sagt Giovanni Ligorio. Mit den Frauen habe er immer Pech gehabt. Die Scheidung mit 21 und später klappte es auch mit weiteren Partnerinnen nicht. Seine Eltern Cosimo und Natalina starben vor sieben bzw. drei Jahren.
Giovanni Ligorio lebt derweil in einer Penthouse-Wohnung über dem AOK-Gebäude am Widey. „Ich bin ein glücklicher Mensch. Alles ist gut gelaufen“, sagt er.