Hagen. 70 und 80 Kilo sind weg: Sabine Gärtner und Petra Pietsch hatten Adipositas. Eine Magenverkleinerung veränderte ihr Leben.

„Machen Sie ruhig ein Ganzkörperfoto. Damit unsere schlanken Beine drauf sind.“

Sabine Gärtner und Petra Pietsch lachen, posieren stolz für das Bild des Fotografen. So selbstbewusst, so voller Lebensfreude konnten sie sich nicht immer zeigen. Hinter beiden liegt ein langer Leidensweg. Ein Weg voller Diäten. Ein Weg voller Abnehmprogramme, Scham und Verstecken.

Beide haben Adipositas. Sie schämen sich nicht, das offen zuzugeben. Sie schämen sich auch nicht, zu erzählen, dass sie eine Schlauchmagen-Operation haben machen lassen. „Man sagt immer, man fühlt sich wohl in seinem Körper. Trotzdem isst man heimlich zu Hause, geht nicht mehr raus oder fühlt sich unwohl. Es ist ungesund für den Körper“, sagt Sabine Gärtner aus Hagen. Sie ist 63. Petra Pietsch 61. Stolze 70 bzw. 80 Kilo sind seit der Operation runter.

Adipositas ist auch Kopfsache

„Das einzige, was ich bereue, ist, dass ich es nicht schon früher machen lassen habe“, sagt Petra Pietsch. Obwohl man, nur weil man sich operieren lassen hat, längst nicht als gesund gilt. „Adipositas entsteht im Kopf. Es gibt viele, die auch nach der Operation wieder zunehmen“, erklärt Sabine Gärtner. Sie selbst habe Naschen lange als eine Art Belohnung gesehen. „Oder als Trost. Ich habe mich ins Essen geflüchtet. Nach den Schwangerschaften blieben einige Pfunde hängen. Und als einmal die 100 Kilo überschritten waren, dachte ich: Jetzt ist es auch egal.“

Aber egal war es nicht. Nicht ihr, nicht ihrer Gesundheit. „Ich kam kaum noch die Treppen hoch. Im Urlaub auf Madeira habe ich am Straßenwand gewartet, während die anderen die Berge hoch- und runter sind. Als ich mich abends auf einer Feier auf einen Plastikstuhl gesetzt habe und der unter meinem Gewicht nachgegeben hat und zerbrochen ist, hat sich ein Schalter umgelegt.“

Ähnlich war es bei Petra Pietsch. Sie ging kaum noch raus: „Ich habe jeden unnötigen Gang vermieden.“ Für einen Spaziergang um den Hengsteysee herum brauchte sie damals drei Stunden, nutzte jede Sitzmöglichkeit, um eine Pause einzulegen. „Nach einer Schulteroperation am Hasper Krankenhaus habe ich dort einen Flyer zur Adipositas-Sprechstunde gesehen. Einige wollten mir die Operation ausreden, aber mein Mann stand immer hinter mir. Die Entscheidung fiel mir nicht schwer“, erinnert sich Petra Pietsch an den lebensverändernden Moment vor fast zehn Jahren.

Sabine Gärtner und Petra Pietsch haben 80 und 70 Kilo abgenommen
Petra Pietsch aus Hagen ließ vor gut 10 Jahren eine Schlauchmagen-OP durchführen. Seitdem hat sie ihr Gewicht fast halbiert. © privat | Privat

Body-Mass-Index über 40

Beide Frauen hatten damals noch einen Body-Mass-Index von über 40, galten somit als stark adipös. Und sie wissen genau, mit welchen Vorurteilen und Alltagsproblemen man zu kämpfen hat, „wenn man ein Dickerchen ist“.

Sie sagen das nicht vorwurfsvoll. Eher lustig-liebevoll. Als sie damals mit Übergewicht keine passenden Klamotten mehr fand, nähte Sabine Gärtner sich selbst welche.

Essen in der Öffentlichkeit? „Das vermeidet man, weil man sich doch irgendwie schämt“, sagt Petra Pietsch. Sie versuchte es immer wieder selbst, nahm 30 Kilo ab, aber 40 wieder zu. Mittlerweile liegt das lange hinter ihnen. Genauso wie beispielsweise die Blutdrucktabletten oder unsäglichen Knieschmerzen durch das Übergewicht. Vielmehr haben es sich die beiden Frauen zur Aufgabe gemacht, anderen Betroffenen zu helfen, aufzuklären, beizustehen und sich auszutauschen. Denn Adipositas ist eine Krankheit, deren Ursachen vielschichtiger Natur sind. Ob aus psychischen, sozialen, hormonellen, genetischen oder Umweltfaktoren.

Beide sind überzeugt, dass sie es ohne die Operation, die von der Krankenkasse übernommen wurde, und vor allem auch die begleitende Therapie nie zu ihrem Normalgewicht geschafft hätten. Beide wurden im Adipositas-Kompetenzzentrum am Hasper Krankenhaus behandelt - und durchliefen vor der Operation ein mehrstufiges Multimodales Konzept (MMK). Darunter fällt eine mehrmonatige Betreuung durch Ernährungsmediziner, Chirurgen, Psychologen, Diabetologen, Ernährungsfachkräfte, Sportmediziner oder auch Selbsthilfegruppen. Mittlerweile leiten die beiden Hagenerinnen ihre eigenen Gruppen und geben ihr Wissen und ihre Erfahrungen dort an andere Betroffene weiter.

Wissen weitergeben

Denn: Das Leben ändert sich durch so eine Operation, bei der der Magen verkleinert wird. Man kann und darf weniger essen, muss lebenslang zusätzliche Vitamintabletten nehmen. Einige Lebensmittel oder Getränke sind danach erst einmal tabu. Manche vertragen im Anschluss bestimmte Speisen nicht mehr. „Aber, und das ist mir ganz wichtig: Ich kann Essen noch genau so genießen wie vorher. Nur in deutlich kleineren Mengen. Die Süchte im Kopf kann man gut mit einer begleitenden Therapie bekämpfen. Ich habe jetzt viel mehr Lebensqualität“, sagt Sabine Gärtner.

Und hier und da erlauben sich beide Frauen noch die Genüsse, bei denen sie früher das schlechte Gewissen plagte. Mal ein Stück Schokolade oder Pizza. „Man darf sich nichts verbieten. Das habe ich auch gelernt“, sagt Petra Pietsch. Mittlerweile braucht sie für die Runde um den Hengsteysee übrigens nur noch knapp 45 Minuten.

Kontakt zu Selbsthilfegruppen

Petra Pietsch leitet die Selbsthilfegruppen am Hasper Krankenhaus für Betroffene ohne und mit OP. Betroffene, die Kontakt aufnehmen möchten, können das unter: 0176/42128548 oder per Mail Hagenmops1@adipositasnrw.de

Sabine Gärtner ist übergeordneter Kontakt für die Selbsthilfegruppen in Hagen und leitet eine eigene Adipositas-Gruppe „Sabine am Vormittag“: 0157/71961152 oder info@adipositasnrw.de

Weitere Selbsthilfegruppen sind zu finden auf www.adipositas-Netzwerk-nrw.de