Haspe. Was geschah am 24. Januar dieses Jahres im OP-Saal des evangelischen Krankenhauses Haspe? Recherchen zu einem großen Fehler.
Was geschah am 24. Januar dieses Jahres in einem OP-Saal des evangelischen Krankenhauses in Haspe? Warum musste die erst 25 Jahre alte Eileen Ostholt dort bei einer Blinddarm-Operation sterben? Das Krankenhaus – im Volksmund „Mops“ genannt – äußert sich zu den Abläufen des höchst tragischen Falls nicht. Die Familie der 25-Jährigen leidet unterdessen nicht nur unter dem Verlust der Tochter, Schwester, Cousine, Nichte und Enkelin - sondern auch darunter, dass man sie im Unklaren darüber lässt, was an jenem Tag wirklich geschehen ist.
Heiratsantrag in Paris
Fünf Tage vorher: Eileen Ostholt feiert in Ennepetal mit ihren Freunden und ihrer Familie ihren 25. Geburtstag. Ihr Freund macht ihr eine besondere Überraschung. Am nächsten Tag reist er mit ihr nach Paris und macht ihr in der Stadt der Liebe einen Heiratsantrag. Als Eileen ihren Vater Jörg anruft, um ihm davon zu erzählen, bricht sie in Tränen aus. Sie ist von ihrem eigenen Glück übermannt, voller Träume. Eines Tages möchte sie Kinder haben. Mit 25 liegt das ganze Leben noch vor ihr.
Sie stirbt drei Tage nach ihrem Opa
Am 23. Januar, also drei Tage später, rollen erneut Tränen. Eileens Großvater wird beerdigt. Dass sie, die gemeinsam mit ihrer Mutter Stefanie bei einem Ambulanten Pflegedienst arbeitet und dafür bekannt ist, ein Mensch der Emotionen, der Hochs und Tiefs, der Lautstärke, des Mitreißens und des Mitgefühls zu sein, selbst am nächsten Tag sterben muss, wirkt in diesem Moment wie das Unwirklichste, das man sich nur vorstellen kann.
Eileen ist unwohl. Sie hat Bauchschmerzen, Schüttelfrost und Gliederschmerzen. Also fährt sie zum Hausarzt. Der hat einen Blinddarm-Verdacht und rät ihr, diese Diagnose im Krankenhaus checken zu lassen. Eileen fährt ins „Mops“. Dort ist man sich alsbald sicher: der Blinddarm muss raus. Nie zuvor ist die 25-Jährige operiert worden. Und doch hat sie panische Angst davor. „Sie war aufgelöst. Sie hat geweint. Sie hatte Angst, dass etwas passieren könne“, erinnert sich ihre Mutter Stefanie. „Ich habe ihr gesagt, dass wir am Nachmittag darüber lachen werden, wenn sie wieder wach ist. Millionen Menschen wird der Blinddarm entfernt, sagte ich. Das sei reine Routine.“ Als ihre Mutter ihr viel Glück wünscht, weiß sie nicht, dass dies das letzte gemeinsame Gespräch ist. Eileen wird nicht wieder aus der Narkose erwachen.
Keine Protokolle, kaum Gespräche
Was genau im OP-Saal geschehen ist, weiß Familie Ostholt bis heute nicht. Das OP-Protokoll haben sie nie gesehen. Und die Akteneinsicht ihres Rechtsanwaltes ergibt bislang auch nur ein dünnes Lagebild. Was der Familie in den Stunden nach dem Tod von Eileen nach eigenen Angaben noch im Krankenhaus von einer Medizinerin gesagt worden sei, ist: „Wir haben eine Arterie verletzt.“ Nicht irgendeine. Die Bauchaorta. Die größte Schlagader des Körpers. Bis zu dreieinhalb Zentimeter dick. Viel mehr erfahren die Angehörigen nicht.
Nach Recherchen dieser Zeitung sollen schwere Fehler geschehen sein. Die Staatsanwaltschaft Hagen ermittelt wegen fahrlässiger Tötung. Der Obduktionsbericht, so Informationen dieser Zeitung, berichtet davon, dass die Mediziner mit „brachialer Gewalt“ vorgegangen sein sollen.
Die sogenannte Schlüsselloch-Operation ist minimalinvasiv. Es sind also nur kleinste Schnitte nötig. Damit man eine spezielle Kamera in den Bauchraum führen kann, wird eine Führungshülse – die Fachleute sagen „Trokar“ – in die Bauchhöhle eingeführt. Und genau das soll nach WP-Informationen falsch und mit zu viel Gewalt geschehen sein.
Zahlreiche Blutkonserven
Gleich zweimal soll die Aorta, die deutlich vom Blinddarmfortsatz entfernt liegt, beschädigt worden sein. Als den Medizinern offensichtlich klar wurde, was geschehen war und dass Eileen Ostholt massiv Blut verliert, sollen sie versucht haben, den Schaden zu begrenzen. Andere Ärzte seien zügig in den OP-Saal beordert worden. Eileen Ostholt soll zahlreiche Blutkonserven erhalten haben. Doch das reichte wohl nicht. Vergeblich soll man versucht haben, die junge Frau zu reanimieren. Am Ende, so die vorliegenden Informationen, stirbt Eileen Ostholt noch im OP-Saal.
„So ein Fehler darf niemals bei einer Blinddarm-OP passieren. Und für mein medizinisches Verständnis kann er auch nicht passieren, weil das ein Routineeingriff ist und die Aorta weit entfernt vom Blinddarm verläuft“
Als ihr Verlobter den Anruf erhält und die Familie informiert, löst dies einen Schockzustand aus, der bis heute anhält. „Wir sind zum Krankenhaus gefahren. Man hat uns eine Stunde in einer Wartehalle sitzen lassen. Die Polizei, die hinzugerufen worden war, wollte unsere Ausweise sehen. Das war alles so unwirklich. Ich wollte einfach nur meine Tochter sehen“, sagt Mutter Stefanie. Eine Medizinerin, die nach Angaben der Familie nicht an der OP beteiligt war, soll gesagt haben: „Wir haben Fehler gemacht.“ Das war es.
Es ist eigentlich ein Routineeingriff
Die Familie wird in einen Seitenraum der Intensivstation geführt. Die hübsche, am Morgen noch so vitale und so sportlich wirkende junge Frau, liegt blass und zerbrechlich, bis zum Hals zugedeckt, auf einer Liege. Tot. Am Morgen hatten sie noch miteinander gesprochen. Nun ist ihr Leben vorbei. „So ein Fehler darf niemals bei einer Blinddarm-OP passieren. Und für mein medizinisches Verständnis kann er auch nicht passieren, weil das ein Routineeingriff ist und die Aorta weit entfernt vom Blinddarm verläuft“, sagt Eileens Mutter.
Eine Familie als Trümmerfeld
„Wissen Sie“, sagt ihre Mutter Stefanie weiter, „niemanden interessiert in diesem Krankenhaus, dass man als Familie nun mit einem Trümmerfeld dasteht. Wir wissen nichts. Bis heute hat das Krankenhaus nicht mit uns gesprochen. Die Ärzte, die unsere Tochter operiert haben, haben wir nie gesehen und fragen können. Wir sind alle in psychologischer Behandlung. Es ist grauenhaft.“
„Wir sind tief betroffen vom tragischen Tod unserer 25-jährigen Patientin, die im Rahmen ihrer Operation in unserem Krankenhaus verstarb. Unser Mitgefühl gilt den Angehörigen und Freunden der Verstorbenen. Wir legen größten Wert auf eine umfassende und transparente Aufarbeitung der Ereignisse. Da es sich aber um ein laufendes Ermittlungsverfahren handelt, können wir derzeit keine weiteren Details zu den Umständen oder dem Ablauf des Eingriffs öffentlich kommentieren“
Der ehrlichste Mensch sei ihre Tochter Eileen gewesen, „Ein Orkan, auch wenn sie leise war. Man hat diese Frau immer gehört.“ Zu ihrer Beerdigung auf dem Friedhof in Gevelsberg kamen Hunderte und trugen zu Ehren von Eileen etwas Rosafarbenes. Frauen, Männer, die Trauerrednerin. Ihr schwarzer Labrador Marley zeigt bis heute Anzeichen der Verstörung und des Vermissens. Das Weihnachtsfest will die Familie komplett beisammen verbringen, damit niemand mit der Trauer und dem Schmerz allein sein muss. Eileen hat noch zwei ältere Brüder.
Warten auf ein Gutachten
Unterdessen sind die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen. Die Staatsanwaltschaft Hagen wartet auf ein Sachverständigengutachten, das Licht in den Fall bringen soll. Eine erste Frist ließ die Ärztekammer nach Informationen dieser Zeitung verstreichen. Die Staatsanwaltschaft soll Druck gemacht haben, das Gutachten zügig anzufertigen.
„Wir sind tief betroffen vom tragischen Tod unserer 25-jährigen Patientin, die im Rahmen ihrer Operation in unserem Krankenhaus verstarb. Unser Mitgefühl gilt den Angehörigen und Freunden der Verstorbenen. Wir legen größten Wert auf eine umfassende und transparente Aufarbeitung der Ereignisse. Da es sich aber um ein laufendes Ermittlungsverfahren handelt, können wir derzeit keine weiteren Details zu den Umständen oder dem Ablauf des Eingriffs öffentlich kommentieren. Selbstverständlich kooperieren wir vollumfänglich mit den zuständigen Behörden und unterstützen deren Arbeit“, erklärt die Klinik auf Anfrage.
Personelle Konsequenzen wurden gezogen
Auf die Kritik, dass kein Kontakt mit der Familie von Eileen Ostholt aufgenommen worden sei, entgegnet die Klinik: „Nach dem Tod der Patientin haben leitende Ärzte der Chirurgie und der Anästhesie sowie ein Seelsorger mit den Angehörigen gesprochen.“ Was die Familie hingegen meint, ist, dass es in den Monaten danach keinen Kontakt gegeben habe. Die Klinik erklärt, dass sie „personelle Konsequenzen“ aus dem Vorfall gezogen habe. „Aufgrund des Datenschutzes und aufgrund des laufenden Verfahrens können wir aber zu Details bezüglich der Personalangelegenheiten keine Angaben machen“, so eine Sprecherin. Die Redaktion hat den Medizinern die Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben. Bislang wurde davon kein Gebrauch gemacht.
Der Obduktionsbericht hat nach Recherchen der WP indes ergeben, dass der Blinddarm von Eileen Ostholt gar nicht entzündet war. Er hätte folglich nicht entfernt werden müssen. „Wieso hat man Eileen nicht einfach aufgenommen und eine ordentliche Anamnese gemacht?“, fragt sich ihre Mutter bis heute.