Hagen. Dr. Mustafa Jassem aus Hagen landete einst auf einer Hauptschule. Heute ist er Arzt. Das ist der beeindruckende Weg des jungen Mediziners.
Mustafa Jassem, 28 Jahre alt. Genauer: Dr. Mustafa Jassem, 28 Jahre alt. Dr. Mustafa Jassem ist Mediziner, ein Arzt, der diesen Satz schon lange nicht mehr hören kann: „Sie sprechen aber gut Deutsch.“
„Ich bin hier in Hagen zur Schule gegangen, ich bin hier aufgewachsen“, sagt Mustafa Jassem. „Ich bin mittlerweile deutscher Staatsbürger.“ Ein deutscher Staatsbürger, der übrigens nicht nur „gut Deutsch“ spricht. Sondern auch gut Englisch, Bulgarisch und Syrisch. „Was also soll ich mit dem Satz ,Sie sprechen aber gut Deutsch‘ anfangen?“
Junger Mediziner lebt seinen Traum
Dr. Mustafa Jassem hält den weißen Kittel und das Stethoskop in der Hand. Zwei Symbole für das, was er beruflich macht: „Ich kann Menschen helfen. Im Notfall bin ich derjenige, der sogar ein Leben retten kann“, sagt er. „Ich trage Verantwortung. Das ist alles ist mein Traum.“
Es ist ein Traum, für den dieser Mann ein (junges) Leben lang gekämpft hat. Ein Traum, der so unendlich weit entfernt schien, als er nach der Klasse 6 die Realschule Haspe verlassen und fortan eine Hauptschule besuchen musste. „Als ich damals einem Lehrer von meinem Wunsch, Arzt zu werden, erzählt habe, hat der zu mir gesagt, ich solle erst einmal richtig Deutsch lernen“, sagt Mustafa Jassem, „was das für einen Jugendlichen bedeutet, kann man sich kaum vorstellen...“
Außenseiter in der Realschulklasse
Sechs Jahre alt war Mustafa Jassem, als er Syrien verließ und nach Deutschland kam. Familienzusammenführung. Sein Vater, der als Investmentbanker gearbeitet hatte, hatte zuvor fliehen müssen. „Er hatte durchgedrückt, dass auch Menschen, die in Syrien zu einer Minderheit zählten, Kredite von Banken bekamen“, sagt Mustafa Jassem, „2003 ist meine Familie dann nach Hagen gezogen. Ich hatte zwar in Syrien schon ein halbes Jahr lang die erste Klasse besucht, musste aber an der Januscz-Korzcak-Grundschule in Wehringhausen wieder bei Null anfangen.“
„Ich bin schnell zu einer Art Außenseiter geworden. Ich bin abgetaucht, wollte nicht auffallen, bin dann auch nicht weiter beachtet worden.“
Nach vier Jahren wechselte Mustafa Jassem an die Realschule Haspe. „Dort waren nur drei oder vier Kinder mit Migrationshintergrund in meiner Klasse“, sagt er, „ich bin schnell zu einer Art Außenseiter geworden. Ich bin abgetaucht, wollte nicht auffallen, bin dann auch nicht weiter beachtet worden. Ich hatte nie das Gefühl, dass einer der Lehrer das bemerkt hätte und mal offen auf mich zugekommen wäre.“
Theaterprojekt öffnet die Augen
Die Noten sackten ab. Mustafa zog sich immer weiter zurück. Letzter Ausweg: Hauptschule. „Das war zu einem Zeitpunkt, als ich schon das Vertrauen in das Schulsystem verloren hatte“, sagt Mustafa Jassem, „ich habe mich auf der Hauptschule kaum angestrengt. Und trotzdem waren meine Noten noch akzeptabel.“
Ein Wendepunkt wurde eine Gruppe Jugendlicher, die sich damals noch im Kultopia unter dem Namen „Lichter der Großstadt“ traf. „Ich habe an einem Theaterprojekt teilgenommen“, sagt Mustafa Jassem, „das hat mir die Augen geöffnet. Bis dahin habe ich den Fehler immer bei mir gesucht. Aber dort spielten weder meine Herkunft noch die Schule, die ich zu dem Zeitpunkt besucht habe, eine Rolle. Jeder wurde so genommen, wie er war. Erst dort bin ich selbstbewusster geworden, habe gelernt, den Blick auf meine Stärken zu richten.“
Notenschnitt bei 1,4
Es war ein Musik- und Theaterpädagoge, der Mustafa Jassem damals prägte. „Gandhi Chahine ist an unsere Schule gekommen, er hat vor 150 Schülern gesprochen, und alle haben ihm zugehört“, sagt er, „das war für eine Hauptschule absolut ungewöhnlich. So etwas hatte ich bis dahin noch nicht erlebt.“
Das neue Selbstbewusstsein trug Mustafa Jassem auch in der Schule. „In Klasse sieben lag mein Notenschnitt bei 2,8, in Klasse zehn bei 1,4 - obwohl ich mehr Zeit für die Projekte als für die Schule aufgewendet habe“, sagt er.
Rassismus-Erfahrung an Gesamtschule
Als Bester seiner Schule wechselte Mustafa Jassem an die Fritz-Steinhoff-Gesamtschule Helfe - und erlebte prompt den nächsten Rückschlag. „Wir hatten einen Lehrer, der rassistisch eingestellt war“, sagt er, „Schüler mit Migrationshintergrund mussten sich doppelt und dreifach reinhängen, ohne auf einen grünen Zweig zu kommen. Ich erinnere mich noch an eine Facharbeit, die ich eingereicht habe. Ich hatte einen riesigen Aufwand dafür betrieben. Am Ende habe ich eine Vier bekommen, weil ich Fußnoten angeblich nicht richtig gesetzt hatte und weil man mir vorwarf, ich hätte betrogen. Die Arbeit war so gut, dass man mir nicht glaubte, dass ich sie allein geschrieben hatte.“
„Ich habe auf Englisch studiert, Bulgarisch gelernt, damit ich die Patienten verstehen und parallel in einer Klinik arbeiten konnte.“
Sein Abitur legte Mustafa Jassem schließlich an der Gesamtschule Haspe ab. Parallel nahm er an europäischen Projekten teil, die der Verein East-West-East koordinierte. Er verbesserte sein Englisch.
Studium an der Uni in Sofia
So konnte er ohne größere Probleme für das Medizinstudium an die Universität Sofia gehen. „In Deutschland hat mein Abischnitt nicht gereicht“, sagt er, „ich habe auf Englisch studiert, Bulgarisch gelernt, damit ich die Patienten verstehen und parallel in einer Klinik arbeiten konnte.“
Dabei wurde Mustafa Jassem auch in der Klinik, in der er zuletzt in Deutschland gearbeitet hatte, immer noch in eine Schublade gesteckt. „Ich habe immer wieder das Gefühl gehabt, mich rechtfertigen zu müssen“, sagt Mustafa Jassem. „Wofür eigentlich?“
Anerkennung für jungen Mediziner
Anders wurde das, als er sich bei seinem neuen Arbeitgeber vorstellte. Dr. Mustafa Jassem arbeitet seit Anfang 2025 in der Unfall- und Wirbelsäulenchirurgie der Stadtklinik Hemer: „Da hat niemanden interessiert, wie lange ich schon in Deutschland lebe. Stattdessen spüre ich Anerkennung.“