Essen. Im Gartenmarkt profitierten Bau- und Supermärkte 2020 von der hohen Nachfrage, Blumenläden nicht. Ein Florist versucht optimistisch zu bleiben.

Die Gärtnereibetriebe der Familie Holtwiesche sind tief verwurzelt im Nordwesten von Essen. Erst Opa Wilhelm, danach Vater Willi, zuletzt Sohn Michael verkauften „unten anne Frintroper“ von Sämereien bis Schnittblumen fast alles. Doch jetzt ist der Laden zu, im Coronajahr 2020 brach der Umsatz um 40 bis 50 Prozent ein. Aktuell schlägt nur noch eine Lebensader des Familienunternehmens. An der Pflanzstraße 20, auf dem Friedhof von Frintrop.

Michael Holtwiesche profitiert von der Friedhofsgärtnerei als zweitem Standbein. Andere haben weniger Glück: Blumenfachgeschäfte drohen im Gesamtgartenmarkt zu den Verlierern der Pandemie zu werden, obwohl sie in den Lockdowns mit Beschränkungen teils schon wieder früher öffnen durften. Doch die Menschen kauften ihre Blumen lieber in Gartencentern, Bau- und Supermärkten: Der Marktanteil des Trios blieb 2020 nach Hochrechnungen des Industrieverbands Garten (IVG) stabil bzw. erhöhte sich, während Blumenläden Einbußen hinnehmen mussten. Auch der Umsatz ging zurück – und das in einem Jahr, wo der IVG doch insgesamt einen „nicht zu schlagenden Rekordumsatz“ von 20,7 Milliarden Euro nennt.

Zurück zum Frintroper Friedhof. Dort ist das Corona-Trübsal an diesem Märzfreitag zunächst weit weg. Die Sonne scheint, eine ältere Frau fragt vor dem Fachgeschäft nach gelben und weißen Blumen, es wird gescherzt. Der Tod muss nicht immer traurig sein. Mittendrin: Michael Holtwiesche.

Essener Holtwiesche: Polizist, Bundesbahner – und dann doch Gärtner

Als 16-Jähriger hätte er Polizist oder Bundesbahner werden können, „aber eins wollte ich nie werden: Gärtner“, betont der Gärtnermeister. Eine Einstellung, die sich in den vergangenen 41 Jahren radikal verändert habe. „Jetzt ist es meine Leidenschaft, die ich gerne weitergebe. Corona hat mich darin sogar noch bestärkt.“ Und so steht Holtwiesche vor seinem Blumenladen: die blauen Augen funkelnd im wettergegerbten Gesicht, mit dicker grüner Gärtnerjacke und den Kopfhörern halb im Ohr – lebendig im Wechsel zwischen analogem und digitalem Gespräch.

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Er sei seit 35 Jahren selbstständig und habe schon viele Situation erlebt, erzählt der 57-Jährige, „aber dass die Rädchen so ins Stocken geraten, hätte ich mir nie vorstellen können.“ Holtwiesche hat sein Geschäft im Moment an der Pflanzstraße gebündelt. Er spricht von Investitionen und Rücklagen, die sich immer die Waage gehalten hätten, was ihm jetzt zu Gute käme. Doch wie lange noch? „Ich brauche keine Märchen zu erzählen. Ich habe drei ausgebildete Floristinnen hier, die bezahlt werden wollen.“

Fachverband Deutscher Floristen zählt Gründe für mieses Coronajahr auf

Die Gründe für die Probleme, mit denen der Essener ebenso zu kämpfen hat wie viele der rund 8000 Fachgeschäfte im Land, zählt Nicola Fink vom Fachverband Deutscher Floristen (FDF) auf: Abgesagte Veranstaltungen wie Hochzeiten, geschlossene Hotels und zugesperrte Restaurants fielen als Kunden für Blumen und Dekoration weg. Und von Öffnungen während der Lockdowns hätten die Geschäfte in einer leeren Innenstadt auch wenig gehabt, betont die Verbandssprecherin. In Zahlen des IVG ausgedrückt: Der Umsatz ging um ein halbes Prozent zurück, während er im Gesamtgartenmarkt um 9,4 Prozent wuchs. Der Marktanteil schrumpfte von 15,1 auf 13,7 Prozent.

Zupackend: Michael Holtwiesche (r.), hier bei der Pflanzung des sogenannten Hochzeitswalds in Essen-Schönebeck im März 2016.
Zupackend: Michael Holtwiesche (r.), hier bei der Pflanzung des sogenannten Hochzeitswalds in Essen-Schönebeck im März 2016. © FUNKE Foto Services | Ulrich von Born

Holtwiesche macht den Rückgang anschaulich: Für eine große Beerdigung hätte er Kränze an die Feuerwehr, an den Schützenverein und an die Chorgruppe verkauft. Dazu Schnittblumen an den Gastronomen um die Ecke, wo die Trauergemeinde später einkehrte. „Jetzt ist eine Beerdigung mit einem Kranz schon ‚groß‘“, sagt der 57-Jährige. Und der Umsatz entsprechend klein, während der Gastronom um die Ecke ganz zu hat.

Gärtnermeister aus Essen: „Ältere Menschen gehen kaum online“

Der Verkauf über das Internet ergibt für den Floristen wenig Sinn. „Ältere Menschen gehen kaum online“, sagt Holtwiesche. Just in dem Moment kommt eine ältere Frau vorbei und fragt nach Hilfe für ein Smartphone-Foto.

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Der FDF um Nicola Fink verweist auf die Positivbeispiele. Die vielen Kleinst- und Familienunternehmen in der Floristik-Branche seien kreativ und wendig, sie hätten sich online gut aufgestellt. „Da hat sich viel entwickelt im letzten Jahr, auch für eine Zukunft nach Corona.“ Der IVG-Jahresbericht sieht dagegen einen anderen Branchenbereich als Profiteur: Das Umsatzplus im Versandhandel von Direkt- und Internetvertrieb um über 30 Prozent auf 1,4 Milliarden Euro ginge zu fast einem Viertel auf das Konto der Baumärkte.

Profiteur der Corona-Einschränkungen: die Baumärkte

Ein Sprecher des Handelsverbands Heimwerken, Bauen und Garten (BHB) macht dafür die hohen Investitionen in die digitale Transformation schon lange vor Corona verantwortlich, die sich für die Baumärkte jetzt bezahlt machen würden. Allerdings komme auch „Click und Collect“ an seine Grenzen. Trotzdem zeichnet der IVG für das Gartengeschäft der Baumärkte 2020 ein Umsatzplus von über 16 Prozent und Marktanteile von 27 Prozent aus. Der BHB-Sprecher verweist auf die Bilanz im April, nennt jedoch auch einen positiven Trend und ein dickes Plus. Andererseits: „Umsätze sind schön und gut, aber es kostet auch deutlich mehr, Produkte aus Asien zu beschaffen.“

Die gute Entwicklung der Baumärkte kommt indes nicht überall gut an. Thomas Buchenau und der Verband Deutscher Garten-Center (VDG), in dem über 200 inhabergeführte Betriebe organisiert sind, sahen sich gar genötigt, auf ihrer Website an die Solidarität zu appellieren. In NRW und Hessen hatte es Anzeigen gegen die Wettbewerber wegen vermeintlich verletzter Hygienemaßnahmen gegeben.

Lesen Sie hier die Berichte der Lokalredaktionen zu den Gartencenter-Öffnungen Ende Februar:

„Diejenigen, die öffnen durften, standen im Rampenlicht. Da gab es auch Neid, es geht um Existenzen“, erklärt der Geschäftsführer des VDG, der sich verbandsübergreifend für eine enge Zusammenarbeit stark macht. Im Rückblick spricht Buchenau mit Abstrichen im ersten Quartal und im Adventsgeschäft von einem guten Jahr, das es auch 2021 geben werde – „wenn wir denn offen bleiben dürfen.“

FDF kritisiert Supermärkte und Discounter

So dürfen Blumenläden und Gartencenter öffnen

Blumenläden dürfen laut Corona-Schutzverordnung ab Montag mit Sortimentsbeschränkungen (nur verderbliche Ware) für einen Kunden pro zehn Quadratmeter öffnen – unabhängig von der Inzidenz. Das gilt laut FDF auch für Gründonnerstag und Ostersamstag, am Karfreitag und Ostersonntag dagegen für lediglich fünf Stunden.Fachgartencenter dürfen bei einer Inzidenz unter 100 ohne Termin sortimentsbeschränkt verkaufen, per Abholung oder mit Termin auf gesamter Fläche für eine festgelegte Anzahl Menschen. Liegt die Inzidenz drei Tage über 100, fällt der Verkauf nach Termin für die gesamte Fläche weg.Die neue Schutzverordnung erlaubt allerdings auch Ausnahmen, wenn Kommunen auf eine gute Teststruktur zurückgreifen können. Der Handelsverbands Heimwerken, Bauen und Garten (BHB) empfiehlt deshalb für die Baumärkte vor Besuch einen Blick ins Internet oder einen Anruf.

Das dürfte in Bezug auf den Gartenmarkt auch die Supermärkte und Discounter erwarten (Umsatzplus laut IVG 2020 von rund 16 Prozent) – was der Fachverband Deutscher Floristen um Nicola Fink deutlich kritisiert. Der Lebensmitteleinzelhandel hätte öffnen dürfen mit der Erzählung, die Sortimente nicht zu erweitern und nur die systemrelevanten Produkte anzubieten, so die Sprecherin. „Wenn vor einem Valentinstag oder einem Weltfrauentag dann doch erhebliche Sortimentserweiterungen im Bereich Schnittblume und Pflanze stattfinden, dann hat das den Floristen schon weh getan.“ Angesprochen auf das ganze Thema Ärger und Anzeigen, winkt Florist Holtwiesche dagegen ab. „Man muss auch gönnen können.“