Mülheim. Trotz Krieg, Inflation und Corona: Es gilt, optimistisch ins neue Jahr zu blicken. Achtung, Satire! Unsere Vorschau auf das Mülheimer Jahr 2023.
Sie werden es kaum glauben, aber auch 2023 wird der Streit um das VHS-Gebäude in der Müga die politischen Schlagzeilen in Mülheim bestimmen. Auf welche Dinge sich die Mülheimerinnen und Mülheimer sonst noch einzustellen haben, lesen Sie in unserer nicht ganz ernst gemeinten Jahresvorschau.
Januar. Gute Vorsätze hat CDU-Ratsherr Eckart Capitain fürs neue Jahr. Er will’s mal mit dem Gendern probieren. Sollen wir es hier schon verraten? Aber ja: Es wird – wie bei vielen Rauchern unter Ihnen, liebe Leserinnen und Leser – beim guten Vorsatz bleiben. Mit weiteren Bürgeranträgen an seiner Partei vorbei wird Capitain im Stadtrat weiter den Kampf gegen das Sternchen in der Sprache führen. Einen ganz einsamen Kampf*innen.
SPD-Politiker kommt nicht grundlos im Badeanzug zur Ratssitzung
Februar. Auf einer Welle der Begeisterung reitet derweil Filip Fischer. Als Vorsitzender der Nichtschwimmer-Vereinigung Dümpten-Süd bringt er sich, in Personalunion SPD-Ratsherr und DGB-Vorsitzender für Mülheim, in die Debatte zur VHS ein. Fischer attackiert OB Buchholz scharf, fordert „endlich eine den Bürgerinnen- und Bürgerwillen dieser Stadt anerkennende Lösung zur Sanierung des VHS-Gebäudes“ ein. Fischers Idee: Sein elf Mitglieder starker Ortsverein der Nichtschwimmer-Vereinigung könne sich ehrenamtlich einbringen, wenn die Reaktivierung des maroden Gebäudes endlich einmal angegangen würde. Warum nicht die VHS um ein Hallenbad links der Ruhr ergänzen, das würde auch gegen die langen Wartezeiten der Eltern auf Schwimmkurse positiv wirken, damit sozusagen dem (Schwimm-)Bildungsauftrag gerecht. Seine Vereinigung könne für einen solchen Fall den Badbetrieb samt Bademeister für die Stadtkasse übernehmen. Kostenneutral! Fischers Idee wird rasend schnell, nein: viral via Facebook, Twitter, Tiktok und Telegram zum Stadtgespräch. Zur nächsten Ratssitzung will der SPD-Mann demonstrativ mal nicht im kroatischen Nationaltrikot erscheinen, sondern im Badeanzug.
März. Der Stadtrat kommt zu seiner ersten Sitzung zusammen. Schwarz-Grün nimmt Fischers Antrag zur VHS von der Tagesordnung. Eine Randnotiz, Gewohnheit. Derweil ist großes Stühlerücken angesagt. Nach der Spaltung der AfD-Fraktion sieht sich OB Buchholz genötigt, die Sitzordnung zu ändern und weist Fraktionschef oder Nicht-Fraktionschef – wer weiß das schon? – Alexander von Wrese einen Platz rechts außen im Saal neben der SPD zu. „Der Oberbürgermeister sieht sich veranlasst“, fängt Buchholz – bekannt und betont majestätisch – von sich in dritter Person an zu reden, „für die Ordnung in diesem ehrwürdigen Rathause Sorge zu tragen.“ Der AfD ist das schnurz. Die einstige Vierer-Fraktion ist ohnehin in alle Einzelteile zerfallen. Auf der Besuchertribüne verfolgt ein gewisser Jochen Hartmann aus dem Königreich Dümpten aufmerksam die Szenerie – und lotet seine Chancen aus, zur nächsten Kommunalwahl mit dem einen oder anderen Abtrünnigen eine neue, gemeinsame politische Sammelbewegung zu gründen. Da geht doch noch was, oder?
Österreichischer Investor will in Mülheim-Raadt Hochhäuser bauen
April.In Raadt eröffnet das Land seine Einrichtung zur Flüchtlingsunterbringung, ohne den Bürgerinnen und Bürgern des Stadtteils jemals zuvor Rede und Antwort gestanden zu haben. Als Investor ist ein österreichisches Unternehmen namens Soravia engagiert. Es will aus dem ehemaligen T-Systems-Komplex ein Hochhaus mit bis zu 60 Metern machen. Dann hätten nicht nur bis zu 700 Menschen Platz, sondern ein Vielfaches davon. Die Stadtspitze freut sich über das Engagement. Da die in Raadt untergebrachten Menschen der städtischen Aufnahmeverpflichtung gutgerechnet werden, ist die Verwaltung nun all ihre fortdauernden Sorgen los, selbst nachhaltig dafür Sorge zu tragen, dass Menschen aus Krisengebieten in der Stadt auch einen Unterschlupf finden.
Mai. Ein halbes Jahr nach der Jurysitzung zur zukünftigen Entwicklung am Flughafen präsentiert die Stadtverwaltung ihre „mit allen Seiten“ (Stadt Essen, CDU, Grünen) abgestimmte Beschlussvorlage. Die Politik möge entscheiden, dass man sich wegen zahlreicher ungeklärter Fragen noch einmal gutachterlichen Sachverstand einholt. Über die Fragen, die an die Gutachter zu richten seien, wolle man sich im Laufe der kommenden zwei Jahre verständigen. Draußen auf den Raadter Höhen brütet die Feldlerche ebenfalls über einem ungelösten Problem. Sie würde so gerne mal mit Ed Sheeran im Duett trällern. . .
Kanzler Scholz und Superstar Sheeran werden in Mülheim beste Freunde
Juni. Ein unverhältnismäßig regenreicher Juni lässt die ersten zarten Pflänzchen und Bäume durch das marode Dach der VHS in der Müga sprießen. Der Naturschutzbeirat meldet sich mit einer Idee zu Wort: Warum nicht eine Mountainbike-Strecke durch das VHS-Gebäude legen, wo sich hier doch gerade so wunderbar eine Waldlandschaft entwickelt?
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Juli. Hitze lähmt die baumfreie Innenstadt. Der Sommer braucht aber auch Schlagzeilen. Dafür sorgen Kanzler Scholz und jener eben erwähnte Popstar Ed Sheeran mit ihrem gemeinsamen Selfie, das sie von der Villa am Ruhrufer, Mülheims einzigartigem Fünf-Sterne-Hotel, via Kanzleramt, Nachrichtendienst und Social Media in die Welt senden. Ol und Ed haben sich zufällig bei ihren mittlerweile regelmäßigen Mülheimer Stippvisiten im Nobelhotel an der Bar getroffen – und die Nacht über bei Sekt (Scholz) und Selters (Sheeran) durchgeplaudert. Es gab halt viel zu erzählen, über Wladimir, seine weiter in Mülheim vor sich hinrostende Pipeline-Turbine, die famos stählernen Panzerteile der Hütte. . . Auch Ed hatte dem Ol sein Leid zu klagen: „Weißt du, die Feldlerche hat mir damals den größten Auftritt aller Zeiten am Flughafen vermasselt.“ Echt der Mega-Wumms: Beide sind jetzt per du – und verabreden sich an dieser Stelle fürs nächstes Jahr, wieder zur Aftershowparty in Mülheims schnuckliger Herberge.
Freund und Förderer der VHS: Mülheims Kämmerer kleckert nicht, er klotzt
August. Stadtkämmerer Frank Mendack bringt den Haushaltsentwurf für 2024 ein. Mülheim ist aus dem Stärkungspakt raus, jetzt wird geklotzt. Die mehr als zwei Milliarden Euro Schulden hat Mülheims oberster Finanzwart „mit freundlicher Billigung“ der Landesregierung in ein Sondervermögen gepackt, so dass die Tilgung erst die Generation der aktuell eingeschulten Kinder wird stemmen müssen – die Generation, die wegen akuter Raumnot jetzt in 45er-Klassengröße auf engstem Raum zusammenhockt und Ipads in den Händen hält, für die es kein Wlan gibt. Aber zurück zur Sache: Im Mülheim nach dem Stärkungspakt wird wieder geklotzt. In den vergangenen Monaten ist dafür schon ein Architekturwettbewerb gelaufen, der nicht nur eine Sanierung der maroden VHS in der Müga vorsieht, sondern auch eine Erweiterung. Mit dem Regenwasser, das nun ungehemmt durch die Decken der Altsubstanz eindringen darf, soll das lang ersehnte Hallenbad rechts der Ruhr gespeist werden. Irgendwoher kennen wir die Idee doch, oder? Peanuts! 100 Millionen Euro will Mendack für VHS und Hallenbad locker machen.
September. Schreck im Morgengrauen: Der Bismarckturm am Kahlenberg stürzt in sich zusammen. Die Erschütterung ist noch hunderte Meter Luftlinie an der Bergstraße zu vernehmen, wo eine kleine Bürgerinitiative ihre Klagelied so lange weiter anstimmen will, bis, ja bis der Kämmerer endlich Wort gehalten haben wird.
Schwedischer Möbelgigant macht der Stadt Mülheim ein unmoralisches Angebot
Oktober. Die dunkle Jahreszeit bricht an. Ein schwedisches Möbelhaus, das seine Logistikzentrale für Westeuropa liebend gerne auf dem Vallourec-Gelände ansiedeln würde, macht der Stadt ein (zugegebenermaßen mit etwas Geschmäckle behaftetes) Angebot. Das Unternehmen von Welt will der Stadt eine Billion Teelichter spendieren, wenn es denn den Zuschlag für die kompletten mehr als 30 Hektar nahe der A 40 für sein XXXL-Lager bekommt. Baudezernent Felix Blasch zaudert nicht lange, er geht auf den Deal ein. Mit den Teelichtern, so verkündet er mit aller ihm innewohnender Euphorie bei einer Pressekonferenz an einem stockfinsteren Eingangstor zur Stadt, könne die Stadt den Angstraum am Nordeingang des Hauptbahnhofs für 100 Jahre ausleuchten. „Das unmögliche Möbelhaus wieder. Macht Unmögliches möglich“, jubiliert Blasch. Und das ohne einen Cent Fördermittel.
November.Bei der Personalversammlung der Rathaus-Beschäftigten herrscht derweil wieder dicke Luft. Während Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Bürger-, Ausländer- und Sozialamt bei ihren anprangernden Überlastungsanzeigen erschöpft die Luft ausgeht, kündigt die Stadtspitze an, ein neues, dann sechstes Dezernat schaffen zu wollen - für „Gedöns“, wie es heißt. Und das Mammutprojekt an der Bergstraße.
Der Jahresabschluss für Mülheim: „Glückauf! Auf die Pressefreiheit!“
Dezember. Der Haushalt soll verabschiedet werden. Doch sein Entwurf fliegt dem Kämmerer um die Ohren. Bei Enthaltungen der MBI stimmen alle anderen gegen den Etatentwurf mit der 100 Millionen Euro schweren VHS-Sanierung samt Baderweiterung. Stattdessen findet eine Beschlussvorlage des OB, die er mit Innenminister Reul abgestimmt hat, ihre Mehrheit bei CDU und Grünen: Die Presse solle doch möglichst nicht länger derart kritisch berichten, fordert der OB darin, nachdem er im Dezember des Vorjahres bereits im Ältestenrat mächtig gegen die örtliche Zeitungsredaktion gewettert hatte. Debattenthemen soll es im Stadtrat im kommenden Jahr nun noch mal weniger geben als ohnehin schon. Damit „die Presse“ nicht auf dumme Gedanken kommt. Buchholz, der zu Beginn der Sitzung seinen zehnten Brief unbekannten Inhalts an Bundes- und Landesregierung zum A 40-Ausbau angekündigt hat, beendet den Tagesordnungspunkt mit den Worten: „Der Oberbürgermeister dieser Stadt setzt da auf die Verantwortung und das gegenseitige Verständnis der Medien. Glückauf! Auf die Pressefreiheit!“