Mülheim. Mülheims OB Marc Buchholz (CDU) und SPD-Jungpolitiker Filip Fischer werden wohl keine Freunde mehr. Im Stadtrat stellte der OB Fischer bloß.

Am Ende entschuldigte sich der Geschmähte öffentlich im Stadtrat, doch das schlechte Benehmen des jungen SPD-Ratsherrn Filip Fischer und der reich inszenierte Rüffel von OB Marc Buchholz (CDU) haben das Zeug zu einer Politposse.

Was war geschehen? An der Sitzung des Jugendhilfeausschusses am 28. Juni nahm Fischer im rot-weiß-karierten Kroatien-Trikot teil - und mit geteilter Aufmerksamkeit. Denn ab 16 Uhr tagte das Gremium, dessen stellvertretender Vorsitzender er ist, um 18 Uhr wurde aber das EM-Achtelfinalspiel Kroatien gegen Spanien angepfiffen.

Mülheimer Jungpolitiker verfolgt im Jugendhilfeausschuss Fußball-Liveticker

Gegen 18.20 Uhr reckte der hochgewachsene Jungpolitiker eine „Becker-Faust“ - ein Eigentor des Spaniers Pedri hatte Kroatien 1:0 in Führung gebracht. OB Marc Buchholz, durch diese Jubelgeste alarmiert, rief Filip Fischers Facebook-Profil auf und entdeckte einen Post, der ihn auf die Palme brachte. Der SPD-Mann hatte ein Selfie veröffentlicht - aufgenommen vor dem Anpfiff, wie er betont: Er auf seinem Platz im Sitzungssaal, vor sich auf dem Tisch ein I-Pad, auf dem der Liveticker der EM-Begegnung lief. Sinngemäß so kommentiert: Er verfolge mit einem Auge das Spiel, aber gleichzeitig aufmerksam die Ausschusssitzung.

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Buchholz fand sofort scharfe Worte und rügte vor dem Gremium Fischers „unsägliches“ Verhalten. Noch am Abend nach der Sitzung zeigte sich der OB empört. „Ich bin echt entsetzt, welches Bild er abgibt“, sagte Buchholz gegenüber dieser Redaktion. „Da bekommt jemand Sitzungsgeld und guckt Fußball.“ Besonders kritisierte er, dass Fischer dem Bericht zur Kinderarmut in Mülheim, der im Ausschuss erörtert wurde, nicht genügend Aufmerksamkeit gewidmet habe. Schließlich sei er unter anderem DGB-Vorsitzender in Mülheim.

Der Facebook-Post des Anstoßes ist gelöscht. Hier präsentiert sich Filip Fischer (SPD) am Abend nach der Jugendhilfeausschuss-Sitzung auf Facebook im Kroatien-Trikot. Trotz sportlicher und politischer Niederlage: Er gibt sich weiterhin „tapfer“.
Der Facebook-Post des Anstoßes ist gelöscht. Hier präsentiert sich Filip Fischer (SPD) am Abend nach der Jugendhilfeausschuss-Sitzung auf Facebook im Kroatien-Trikot. Trotz sportlicher und politischer Niederlage: Er gibt sich weiterhin „tapfer“. © WAZ Mülheim | WAZ Redaktion Mülheim

EM-Fieber und ernsthafte Ratspolitik kollidieren manchmal. Ein Spielplan internationaler Meisterschaften nimmt genau so wenig Rücksicht auf den Terminkalender des Stadtrates wie andersherum. Der karnevalsbegeisterte Rote Funke und FDP-Fraktionschef Peter Beitz hatte kürzlich ein ähnliches Problem. Er hatte sich gegen die Terminierung einer Sitzung ausgerechnet am 11.11. ausgesprochen. Letztlich erfolglos. So jeck waren seine Ratskollegen nicht, dass sie da mitgehen wollten. Am 11.11. wird’s nämlich ernst: Es geht um den Etat 2022.

Zwei Stunden vor der Ratssitzung ins Rathaus zitiert und getadelt

Ernst wurde es nun auch für Filip Fischer. Zwei Stunden vor der Ratssitzung war er ins Rathaus zitiert worden. Auch hierzu gibt es einen Facebook-Post: Fischer, nun im dunkelblauen Anzug mit Krawatte, vor dem Rathaus: „Auf zu einem konstruktiven Gespräch beim Oberbürgermeister...“ In Gegenwart von OB Buchholz, Stadtdirektor Frank Steinfort und SPD-Fraktionschefin Margarete Wietelmann bekam Fischer die Rote Karte. Der Facebook-Post zum Kroatien-Spiel sei schleunigst zu löschen. Das ist mittlerweile auch geschehen.

Familie hat kroatisch-bosnische Wurzeln

Tatsächlich hat Filip Fischer eine besondere persönliche Verbindung zu Kroatien.

Sein Vater stammt aus dem ehemaligen Jugoslawien. Nach Auskunft von Fischer ist er „bosnisch-kroatischer Flüchtling“.

Filip Fischer macht momentan Urlaub in Kroatien und besucht dort seine Familie.

Warum er dann auch noch in aller Öffentlichkeit ins Abseits gestellt wurde? Weil es die Taktikbesprechung von OB und Bürgermeisterin im Stadtrat offensichtlich so vorsah. So kam es zu einem Schauspiel, das der Rat so wohl nicht häufig erleben musste. Filip Fischer, an den Pranger gestellt im Doppelpass von OB Buchholz (CDU) und Bürgermeisterin Ann-Kathrin Allekotte (Grüne).

Bürgermeisterin Allekotte (Grüne) bringt das Thema ins Gespräch

In der Fragerunde zu Beginn der Sitzung war es an Allekotte, den Spielzug zu eröffnen – mit einer Frage an den OB, was denn Ergebnis gewesen sei der jüngsten Gespräche im Rathaus. Die Grünen-Politikerin prangerte Fischers Verhalten an. Wer sich „Fußball live-streamend“ während einer Ausschusssitzung zeige, noch dazu beim Tagesordnungspunkt zur Kinderarmut, müsse sich fragen, „ob man damit nicht denjenigen den Mittelfinger entgegenstreckt, die sich inhaltlich mit den Themen auseinandersetzen und sich um deren Umsetzung oder eine Problemlösung bemühen“.

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Der OB nahm das Zuspiel dankend an. Da Allekotte es aber unterlassen hatte, Rotsünder Fischer vor versammelter Ratsmannschaft beim Namen zu nennen, hakte OB(er)-Schiedsrichter Buchholz süffisant nach: „Fürs Protokoll“ möge sie doch bitte. . . Damit er wisse, auf was er zu antworten habe, tat Buchholz so, als habe er seine Teilnahme am Gespräch vor dem Schiedsgericht nur zwei Stunden zuvor vergessen. Filip Fischer also, das äußerst selbstbewusste Polit-Talent, dem manch einer in der eigenen Partei Höheres zutraut.

OB maßregelt Fischer vor versammelter Mannschaft

Jedes Ratsmitglied möge selbstkritisch prüfen, welche Wirkung ein Post in den sozialen Medien entfachen könne, maßregelte der OB Filip Fischer nun vor großer Runde. „Das Bild hätte den Eindruck vermitteln können, dass wir gleichzeitig die Sitzung verfolgen und Fußball gucken können.“

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Rotsünder Fischer gab sich geläutert. Er entschuldige sich „gerne für missverständliche Fotos“, sagte er. Den Vorwurf aber, er würde Sitzungen inhaltlich nicht folgen, wollte Fischer nicht so stehen lassen. Auch wertete er den Spielzug von OB und Allekotte als „schlechten Stil“, als „politischen Angriff vor versammelter Mannschaft“.

Der OB genießt derweil, immer wieder sicht- und hörbar, die neue Rolle der SPD im Stadtrat: Für Ersatzspieler scheint er aktuell keine Verwendung zu haben. Bei ihm agiert nur die erste Elf, die schwarz-grüne Ratsmehrheit. Sie spielt den Gegner auch schon mal gerne an die Wand.