Mülheim. 300 kritische Gäste, zig Fachleute an der Front: Der Info-Markt zur Parkstadt Mülheim war hitzig. Die Angst vor einem neuen Brennpunkt geht um.
Im Casino der ehemaligen Tengelmann-Zentrale ging es am Donnerstagnachmittag hitzig her. Vier Stunden lang, ab 16 Uhr, fand dort ein Info-Markt für all diejenigen statt, die mehr über die „Parkstadt Mülheim“ wissen und ihre Meinung dazu loswerden möchten. Es sind sehr viele. Bis zum Abend zählten die Organisatoren - Stadt Mülheim und Investor Soravia - gut 300 Besucherinnen und Besucher.
Gemeinsam hatten sie rund 40 Fachleute aufgeboten, die im Spiegelsaal vor Modellen und Stellwänden der kritischen Masse informativ begegnen sollten. Architektur, Verkehrskonzept, Wohnbebauung, Grünanlagen, Energieversorgung, Anlage des geplanten Sees und vieles mehr wurden auf „Themeninseln“ diskutiert und dabei viele Oberhemden durchgeschwitzt. Für die Experten, darunter Planer, Gutachter, Verantwortliche aus der Mülheimer Fachverwaltung, war dieser Info-Markt ein hartes Stück Arbeit.
Mülheimer Parkstadt: Sorge vor einem neuen „Brennpunkt“
Im Eingangsbereich wurde freundlich abgefragt, wo die Besucherinnen und Besucher wohnen. Rote Punkte sollten sie auf einen Stadtplan kleben, und am Ende der Veranstaltung war das Erwartbare abgebildet: Viele leben dicht an der Grenze des früheren Tengelmann-Areals. Die Nachbarschaft drängt ins Casino. Gleich vorne im Saal konnten die Gäste Dampf ablassen. „Ihre Anregungen“ stand über einer großen Pinnwand, die schnell mit Schlagwort-Zetteln bestückt war: „Sozialer Abstieg“, „Brennpunkt“, „Wertminderung der umliegenden Immobilien“ und - der gemeinsame Nenner“ - „Keine Hochhäuser in Speldorf“.
Die Organisatoren waren auf Gegenwind vorbereitet. Schon bei der öffentlichen Präsentation der Parkstadt-Entwürfe im vergangenen Oktober hatte es vielfältige Kritik aus der Nachbarschaft gegeben. Das als Siegerentwurf gekürte Modell der Wiener Planergemeinschaft „Studio Vlay Streeruwitz“ (Architektur) und Plan Sinn (Landschaftsplanung) sei seitdem nur in Details verändert worden, sagte der Mülheimer Bau- und Planungsdezernent Felix Blasch am Donnerstag vor Ort.
Von etwa 800 neuen Wohneinheiten geht er aus, die auf dem ehemaligen Tengelmann-Areal entstehen sollen, über deren Zuschnitt aber noch nicht entschieden sei. Daher weiß aktuell niemand genau, wie viele Menschen später im neuen Stadtquartier leben werden, das insgesamt etwa 130.000 qm groß sein wird. „Es sollen Wohnungen für alle Schichten der Bevölkerung und jeden Geldbeutel angeboten werden“, betont der Planungsdezernent noch einmal und zeigt sich offen für die Forderung, eine Quote für öffentlich geförderten Wohnungsbau vorzuschreiben, die jüngst wieder von der Mülheimer SPD erhoben wurde.
Dezernent: Werden auf sozialen Wohnungsbau in der Parkstadt drängen
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Im Rahmen eines städtebaulichen Vertrags mit den Investoren könnte eine solche Quote festgelegt werden, erläutert Blasch, und gibt eine Zusage: „Wir werden darauf drängen, dass wir in der Parkstadt sozialen Wohnungsbau haben.“ Diese Perspektive allerdings, in Verbindung mit der anvisierten Architektur, löst in der Broicher und Speldorfer Nachbarschaft ungute Assoziationen aus. Überwiegend sieht der Entwurf fünf- bis achtstöckige Gebäude vor, lässt diese jedoch treppenartig ansteigen. Nördlich des heutigen Technikums (das einem fünf Meter tiefen See weichen wird), an der Bahnlinie, sollen drei schlanke Punkthochhäuser errichtet werden, nach jetziger Planung maximal 18 Geschosse, etwa 55 Meter hoch.
Sie stehen auf einem Gebäudesockel, der beispielsweise für Gewerbe oder auch als Parkraum genutzt werden könnte. Doch diese Häuser sind vielen Anwohnern ein Dorn im Auge. Zu spüren bekommt dies beim Info-Markt vor allem der Architekt Bernd Vlay, dessen Büro der Siegerentwurf erarbeitet hat. Hinter einem Modell der Parkstadt stehend, ist er umlagert von fragenden, klagenden Menschen, die immer wieder auf die herausragenden drei Häuser deuten. Der Mann aus Wien wirkt gefasst: „Natürlich ist dies das emotionalste Thema.“
Ungute Erinnerungen an das alte „Iduna-Hochhaus“ in der Mülheimer City
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Eine Anwohnerin von der Hermannstraße nennt die Perspektive „den blanken Horror“, ihr Nachbar nickt: „Da fehlt Freiraum.“ Eine Frau, die an der Ulmenallee lebt, meint, 800 Wohnungen seien „viel zu viel“, die Gebäude „viel zu hoch“. Ihre Befürchtung bringt sie so auf den Punkt: „Iduna-Hochhaus, mit entsprechendem Publikum.“ Auch zwei Speldorfer, deren Zuhause an der Friedhofstraße liegt, erinnern an das Iduna-Hochhaus, den vor einem halben Jahrhundert errichteten Wohnturm, heute „Forum Tower“. Mit großen Hoffnungen war der Turm Anfang der siebziger Jahre gebaut worden, harte Zeiten folgten.
Es habe „viel Mühe, Kraft und Investitionen gekostet“, diesen sozialen Brennpunkt in der Mülheimer Innenstadt zu entschärfen, daran erinnert auch Dr. Stephan von Lackum, der sich auf dem Info-Markt gründlich in die Schautafeln vertiefte. Die Parkstadt berührt ihn beruflich, seine Hausarztpraxis liegt an der Ulmenallee, wie auch privat als Nachbar. Mit der Aussicht auf zahlreiche neue Patienten kann sich von Lackum anfreunden, doch auch er schaut skeptisch auf die Höhe der Wohnhäuser und sagt: „Ich bin daran interessiert, dass Broich und Speldorf hochwertige Stadtteile bleiben.“
Doch auch viele andere Aspekte der Parkstadt Mülheim bedürfen ausgefeilter Planung und werden noch heiß diskutiert. Besonders gilt das für das Verkehrskonzept, so war auch Helmut Voss, Planer aus dem Amt für Verkehrswesen, ein pausenlos gefragter Mann. Im Inneren des Quartiers soll es „weitgehend autofrei“ zugehen, so die Idee. Für die „letzte Meile“ sollen verschiedene Sharing-Angebote zur Verfügung stehen, etwa Fahrräder, E-Bikes, Scooter.
Die Anbindung an den Radschnellweg RS1 ist gesetzt und dürfte das geringste Problem sein. Schwieriger wird die Anbindung an den ÖPNV, die beispielsweise über eine erweiterte Buslinie oder auch über die Schiene erfolgen könnte - im Gespräch ist hier eine Verlängerung der U18. Die Nachbarschaft sieht dem neuen Viertel vor allem mit Blick auf die Verkehrs- und Parksituation in den umliegenden Straßen skeptisch entgegen.
Neupflanzungen: „Am Ende 150 Bäume mehr auf dem Gelände als jetzt“
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Andere interessieren sich besonders für die Bäume, die der Neugestaltung des riesigen Areals weichen müssen. „Der Grad der Versiegelung soll trotz Bebauung unverändert bleiben“, verspricht der Investor Soravia. Der Baumbestand bleibe weitgehend erhalten, doch ohne Fällungen und einzelne Versetzungen werde es nicht gehen. Neupflanzungen, zarte Jungbäume, sollen den Schaden begrenzen: „Am Ende werden 150 Bäume mehr auf dem Gelände stehen als jetzt“, sagt Planungsdezernent Felix Blasch.
Das Projekt Parkstadt befindet sich noch in der einleitenden Phase des Bebauungsplanes: Die gesammelten Anregungen der Bürgerinnen und Bürger sollen in das weitere Verfahren einfließen, nötige Gutachten in Auftrag gegeben werden. In der folgenden Phase „Auslegung“ wird der städtische Planungsausschuss die überarbeitete Planung beschließen, die dann öffentlich vorgestellt wird. Bürgeranregungen zum Verfahren werden gesammelt. Es folgt die „Satzung“: Der Stadtrat beschließt das endgültige Projekt. Erst dann kann die Umsetzung beginnen.
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Bau- und Planungsdezernent Felix Blasch schätzt, dass ab 2025 die substanziellen Bauarbeiten beginnen können, die sich dann über acht bis zehn Jahre hinziehen werden. Von der ursprünglichen Kalkulation, bereits Ende kommenden Jahres mit dem Hochbau zu starten, ist man ein gutes Stück entfernt.
Anwohnerin von der Friedhofstraße kündigt an: „Wir werden uns wehren“
„Wunschzettel“ des Planungsdezernenten
Als Mülheimer Bau-, Planungs- und Umweltdezernent spielt Felix Blasch bei der Entstehung der Parkstadt eine wichtige Rolle.
Frage an ihn: „Wenn Sie selber am Bürgerbeteiligungsverfahren teilnehmen würden - was stünde Ihrem auf Zettel?“
Blasch möchte sich nicht auf einen Aspekt festlegen, sondern nennt mehrere Punkte, die ihm besonders wichtig sind: Anbindung des Areals an den Radschnellweg, Öffnung des geplanten Parks für die Öffentlichkeit, Nachhaltigkeit, Erhalt von Baumbestand, Funktion des Sees für den Wasserhaushalt der Stadt.
Und weiterhin gibt es Menschen in Mülheim, die hoffen, die Parkstadt noch verhindern zu können. Einige waren auch beim Info-Markt vertreten: „Da soll überhaupt nicht gebaut werden“, findet eine Anwohnerin aus der Ulmenallee. „Jeder will doch nur Gewinn machen. Auch der Stadt geht es nur ums Geld.“ Eine Hauseigentümerin von der Friedhofstraße kündigt an, sie habe schon Leute mobilisiert: „Wir werden uns vernetzen. Und wir werden uns wehren.“
Die „frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung“ zum Bebauungsplan läuft noch bis zum 23. September 2022. Infos zur Parkstadt-Planung gibt es im Technischen Rathaus, Hans-Böckler-Platz 5 (19. OG, linke Flurseite), montags bis mittwochs 8 bis 15.30 Uhr, donnerstags 8 bis 17 Uhr, freitags 8 bis 12.30 Uhr, Kontakt: 0208/455-6131 oder -6105. Wer eine Stellungnahme online einreichen möchte, kann dies über die Homepage der Stadt Mülheim tun.