Mülheim. Die großen Fraktionen sind sich bereits einig: Der neue ÖPNV-Entwurf für Mülheim geht in die richtige Richtung. Welche Knackpunkte bleiben?
In Stein gemeißelt ist das alles noch nicht, aber schon jetzt stellt der erste Entwurf eines neuen Nahverkehrsplans vieles mutig auf den Kopf, was in Mülheim bis heute Gesetz ist. Ein bleiernes allerdings: Parallelverkehre und umständliche Strecken – und dennoch teils schlechte Anbindungen, scheinen über Jahre an den Bedarfen vorbeigegangen zu sein. Damit will der neue Plan nun radikal aufräumen.
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Der neue ÖPNV-Entwurf für Mülheim ist ein Bruch mit der alten Maxime: Sparen um jeden Preis
Und wird deshalb auch mit manchen liebgewonnenen Wegstrecken brechen müssen. Die gut ausgelasteten Haltepunkte bleiben zwar, ihre Wegführung soll aber anders – bedarfsgerechter – kombiniert werden. Im Grundsatz scheint damit die bislang herrschende Maxime aufgebrochen, die Angebote einfach nur finanziell einzudampfen: „Zwei Millionen Euro einzusparen, heißt ja nicht, dass man ,günstiger’ werden muss, man kann sie auch dadurch erreichen, dass man Fahrgäste hinzugewinnt“, kommentierte Axel Hercher (Grüne) im Mobilitätsausschuss, wo dieser erste Entwurf von Verwaltung und Fachleuten vorgestellt wurde.
Die andere Denkrichtung trifft damit eine Forderung, die auch die SPD bereits gegen das stark umstrittene „Netz 23“ der Stadt vehement vertrat. Zwar wird jetzt immer noch das Sparziel von zwei Millionen im Jahr angestrebt – die 2019 noch eisern verfolgten Kürzungen von rund 30 Prozent im Angebot sind jedoch vom Tisch. „Es wird ergebnisoffener diskutiert, man hat erkannt, dass weniger Fahren keine Lösung ist“, lobt der verkehrspolitische Sprecher der SPD, Daniel Mühlenfeld.
Straßenbahnen bilden die schnellen Hauptäste in und aus der Mülheimer Innenstadt
Das „alte“ Liniennetz ist es allerdings auch: Übrig lässt der aktuelle Entwurf hauptsächlich die vier Äste der Straßenbahnlinien 102 (Dümpten-Uhlenhorst), 112 (Oberhausen-Hauptfriedhof), 901 (Duisburg-Hauptbahnhof), U18 (Essen-Hauptbhf.) und 104 (Aktienstraße-Stadtmitte) – wohlgemerkt ohne den Kahlenberg-Ast.
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Den schnellen Draht zu den Straßenbahnen wiederum soll ein Grundnetz aus drei Bus-Arten mit unterschiedlichen Aufgaben herstellen. Verbindungs-Buslinien (V1 und V2) sollen die Stadtteile im 15-Minuten-Takt mit den Straßenbahnen verbinden. Erschließungs-Busse (E1 bis E8) hingegen verknüpfen im 30-Minuten-Takt die Stadtteile mit den Straßenbahnen.
Die sogenannten Metrobusse (M1 und M2) wollen im 15-Minuten-Takt „aufkommensstarke Siedlungsbereiche“, in die keine Straßenbahn fährt, mit der Innenstadt verbinden. So soll der „M1“ etwa von der Saarner Kuppe über Dorf Saarn und Kassenberg in die Innenstadt brausen.
Bahn nach Saarn ist noch kein Thema im ÖPNV-Plan
Die Bahn nach Saarn – seit Jahren in der Diskussion – ist erneut kein Thema im neuen Netz, obwohl sich eine solche Verbindung nach Meinung der Verkehrsexperten allein der Auslastungszahlen wegen lohnen könnte.
Denn nach wie vor gehören etwa die Linie 102 über Broich sowie die Buslinien von der Innenstadt ins Dorf Saarn und weiter nach Selbeck mit zu den am stärksten nachgefragten Verbindungen.
Doch hier bremst die CDU in der schwarz-grünen Koalition. Für sie wäre die Bahn nicht nur kostspielig, Siegfried Rauhut hält auch das Kernargument für die Bahn – die Emissionen – nicht mehr für aktuell, „denn die Ruhrbahn stellt in den kommenden Jahren ihre Busse auf Wasserstoff um“. Zumindest bei den Fahrten vor Ort wird dann kein schädliches CO2 ausgestoßen.
Anders aber sieht es noch bei der Erzeugung von Wasserstoff aus. Kurzfristig umsetzen ließe sich eine neue Straßenbahnführung jedoch nicht, so dass sie für den aktuellen Plan ohnehin nicht zum Tragen käme.
Zu den Neuerungen zählt ebenso die lang ersehnte Anbindung von Mintard an Kettwig (Linie E6) und ein großes Ringbussystem (V1), das von Heißen aus über den Mülheimer Norden bis in die Broicher Mitte führen könnte. Wichtiger aber noch soll der Ringbus bei seiner Fahrt zentrale Haltepunkte in den Stadtteilen mit den Straßenbahnlinien verbinden, die für einen schnellen Draht zur Innenstadt und zum Hauptbahnhof sorgen.
Knackpunkt des Systems: Mehr Umstiege müssen durch kurze Wartezeiten attraktiv werden
„Der Vorteil liegt in der klaren Hierarchie der Buslinien“, hofft der verkehrspolitische Sprecher der CDU, Siegfried Rauhut auf die Akzeptanz des neuen Ansatzes bei Nutzern und die Attraktivität für Neukunden. Dafür müssen allerdings auch die Nachbarstädte mitspielen und ihre interkommunalen Buslinien womöglich kurz hinter der Stadtgrenze enden lassen.
Damit zeigt sich eine entscheidende Änderung: Das neue Netz wird seinen Nutzern künftig mehr Umstiege abverlangen, wenn es zudem parallele Fahrten vermeiden will. Der SPD und der Koalition ist klar, der Entwurf steht und fällt damit, wie lange die Fahrgäste beim Umstieg auf den Anschluss warten müssen. „Der schlechte Service der Ruhrbahn in der Vergangenheit hat zu Verdruss geführt. Wenn man die Kunden buchstäblich im Regen stehen lässt, wird es nicht funktionieren“, nimmt Mühlenfeld das Verkehrsunternehmen für das Gelingen des ambitionierten Konzepts mit in die Pflicht.
Noch ist der Plan nicht in Stein gemeißelt: Politik und Bürger können Änderungen vorschlagen
Bis der Plan beschlossen wird, dürfte es Winter werden, denn nicht nur die Ratsparteien wollen weitere Vorschläge ins Konzept einbringen. So überlegen etwa die Grünen, ob das Ringbussystem (V1) nicht auch in den Süden ausgedehnt werden kann. Ebenso wollen sie die vorgeschlagene 15-Minuten-Taktung überdenken, weil sie in den Nachbarstädten Essen, Oberhausen und Duisburg nicht praktiziert wird.
Auch die SPD will Ideen aus den Debatten der vergangenen zwei Jahre einbringen. Knackpunkt kann dabei der Kahlenberg-Ast der Linie 104 werden. Verwaltung und auch CDU würden ihn einstellen und anstelle einen Bus vom Hauptbahnhof bis Flughafen fahren lassen (Linie E2). Für die SPD wäre dies womöglich zu viel Parallelverkehr zur 112.
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Forderung nach einer „volkswirtschaftlichen Betrachtung“ des ÖPNV
Grundsätzlich sieht der verkehrspolitische Sprecher Mühlenfeld größere Vorteile in kürzeren Strecken, die schnelle und vor allem pünktliche Anbindungen zu den Hauptästen der Straßenbahn leisten können. Die E2 könnte in diesem Sinne nur von der Stadtmitte bis Oppspring pendeln – unter Andienung des Max-Planck-Instituts als wichtigen Arbeitgeber, betont Mühlenfeld.
Und da ist auch noch die Frage der Akzeptanz beim Bürger, der auf den – hoffentlich – schnelleren Nahverkehr umsteigen soll. Die Bürgerbeteiligung ist daher mit eingeplant. Mühlenfeld hofft auf die Akzeptanz und ein Umdenken bei der Betrachtung des Nahverkehrs: Man habe ihn in der Vergangenheit allein unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten defizitär gerechnet. „Ein guter ÖPNV entlastet den Individualverkehr, hat einen Umweltnutzen und spart somit der Stadt Kosten, die an anderer Stelle im Etat auftauchen wie in der Straßensanierung. Man muss ihn deshalb volkswirtschaftlich betrachten.“