Mülheim. Mit der Gondel vom Stadthafen nach Saarn, vorbei am kriechenden Kassenberg-Verkehr? Für die Satire-Partei kein Witz, sondern eine ÖPNV-Ergänzung.

Man stelle sich das einmal vor: Langsam steigt die Gondel vom Hafen über die Ruhr auf, macht einen Schlenker zum Wasserbahnhof mit Zwischenstopp, dann schwebt man per Seilbahn erhaben und parallel zum Kassenberg – wo die Autoschlangen kriechen – entlang der Ruhr und über die Auen bis zur Endstation ins Dorf Saarn. Shopping und Sightseeing inklusive. Und das auf VRR-Ticket. Ein später Aprilscherz? Nicht unbedingt.

Auch interessant

Parteichef Messink: Seilbahn verbindet Umwelt, Verkehr und Tourismus

Denn eine solche Idee schwebt der Partei „Die Partei“ vor, ansonsten auch für politische Realsatire zuständig. „Wir müssen uns den Themen und Problemen von heute und morgen stellen. Erhalt der Umwelt, Verkehr, Lebensqualität“, sagt deren Vorsitzender und Stadtverordneter Dominik Messink. Wie man das alles miteinander verbinden kann, haben sich die Mitglieder überlegt.

So stellen sich Forscher der RWTH Aachen den Nahverkehr der Zukunft vor: Der UpBus soll autonomes Fahren mit einer Seilbahn verknüpfen.
So stellen sich Forscher der RWTH Aachen den Nahverkehr der Zukunft vor: Der UpBus soll autonomes Fahren mit einer Seilbahn verknüpfen. © Handout | RWTH Aachen

Die Antwort? Wenn die Straßenbahn nach Saarn nicht kommt, dann vielleicht die Seilbahn. „Das wäre ein innovatives Projekt, das als Alleinstellungsmerkmal den Tourismus ankurbelt, den Nahverkehr unterstützt und bei dem Mülheim zeigen kann, was es drauf hat“, meint Messink.

Wo die Gondeln bereits Hochgefühle tragen

Total abgehoben? Mitnichten. Dafür muss man nicht bis nach Bolivien schauen, wo La Paz durch seine 30 Kilometer lange Luftseilbahn als ÖPNV-Ergänzung inzwischen zu internationaler Bekanntheit gefunden hat. Köln reichte als praktisches Beispiel auch schon. Die Seilbahn sorgt dort für Hochgefühle.

Und wenn’s unten zu voll ist, kann es wohl nun noch nach oben gehen: Das Potenzial einer Seilbahn in hochverdichteten Stadträumen haben auch Ruhrgebietsstädte erkannt. Es bietet sich hier offenbar geradezu an. In Rumeln-Kaldenhausen stimmte der Duisburger Ortsverband der SPD just für eine Seilbahn über den Rhein nach Rheinhausen – finanziert mit Mitteln der IGA 2027. Könnte auch Mülheim als Teil der IGA solche Fördermittel für ein Seilbahn-Projekt verwenden?

Auch interessant

Auch das Ruhrgebiet denkt über die Seilbahn als Ergänzung zum ÖPNV nach

Es geht aber auch ganz bodenständig. In Essen denkt man über eine solche Strecke für Pendler zwischen Zollverein und der nördlichen Innenstadt nach. Allerdings als innovativer Mini-Elektrobus, der im Innenstadtbereich verkehrt, aber im „Seilbahnmodus“ quasi an den langen Draht nach Zollverein gehängt wird. Der „UpBus“ könnte 6500 Menschen pro Stunde von A nach B transportieren. Angeblich würde die alternative und elektrifizierte Personenbeförderung sogar über Bund und Land gefördert werden, wenn man sie mit dem übrigen Verkehr sinnvoll verzahnte, stellt Ruhrbahn-Vorstand Michael Feller in Aussicht.

Auch Oberhausen laboriert seit gut zwei Jahren an einer Seil- oder Schwebebahn herum, die vom Schloß Oberhausen über das RWO-Stadion zum Centro bis nach Essen-Unterfrintrop führen könnte. Dort will die Stadt seit Jahren schon einen Anschluss der Essener Straßenbahnlinie 105 an die eigene Bahn-Trasse erreichen – scheiterte aber an einem Bürgerentscheid. Die Seilbahn wird auch hier als alternativer Tourismus-Magnet und Ergänzung des öffentlichen Nahverkehrs diskutiert.

Seilbahn zwischen Flughafen und Kettwig

Und selbst in Mülheim spielt die Seilbahn bereits eine Rolle: Im Masterplan zur Nachnutzung des Flughafens vom Dezember 2020 schlagen Gutachter eine solche als Teil einer Modal-Split-Variante „B“ vor, die zwischen dem Flughafenareal und dem Bahnhof Kettwig verkehrt. Und die dabei helfen soll, den motorisierten Individualverkehr auf 43 oder 35 Prozent zu reduzieren. Je nachdem, ob in der Nachnutzung ein Gewerbeanteil oder nur Wohnen vorgesehen ist.

Einen Zwischenstopp in Kettwig hat man auf den 4,8 Kilometern eingeplant. Dort soll man mit acht Kabinen im Zehn-Minuten-Takt unterwegs sein. Fahrzeit: etwa 15 Minuten. Auch hier will man die Verkehrsmittel mischen, die Seilbahn mit der S-Bahn, dem Bus und dem Fahrrad verbinden.

Das Konzept geht davon aus, dass man etwa 1400 Autofahrten pro Tag damit einsparen könnte. In der Bewertung von Kosten und Nutzen erzielt die Seilbahn mit 1,06 – im Vergleich zu den übrigen möglichen ÖPNV-Anschlüssen an den Flughafen – einen der besten Werte. Ob sie aber umgesetzt wird, hängt inzwischen davon ab, ob das Flughafen-Gelände überhaupt eine „Nachnutzung“ erfährt.

Gegen einen möglichen Kollaps am Kassenberg

Wie der „UpBus“ funktioniert

„Upbus“ heißt das Konzept, das aktuell in Gelsenkirchen und Essen diskutiert wird. Die Idee ist den modularen Stationen der Raumfahrt entlehnt und wird an der RWTH Aachen zusammen mit autonomem Fahren als „urbane Seilbahnen“ für den Nahverkehr entwickelt.

Die Vorteile? Nach Meinung der Forscher: kurze Bauzeiten ohne Verkehrsbehinderung, geringe Investitions- und Betriebskosten, geringer Energiebedarf sowie Flexibilität bei der Wegeführung.

Die Forscher planen, bis 2023 eine Teststrecke für die Gefährte aufzubauen. Jedes von ihnen kann bis zu 35 Passagiere befördern. Mehr Infos zu dem Projekt: upbus.rwth-aachen.de.

Die Mülheimer Satire-Partei hat auf eine mögliche hiesige Variante natürlich ihre eigene Sicht: „Wir starten hiermit den Zukunftsdialog zum Thema ,Abgehängte Stadtteile’“, merkt Messink an. In der Kriminalitätsstatistik der Polizei stünde das pittoreske Saarn schließlich „kurz vor Mordor oder zumindest höher als Styrum“. Von der Von-Bock-Straße könnte dann eine neue „Soko Tarzan“ mit dieser Art „Blaulicht-Liane“ zur Verbrechensbekämpfung flugs ins Dorf schwingen.

Doch im Ernst: Mit Blick auf die kommenden Wohnprojekte auf dem Lindgens-Gelände, wo 300 Wohnungen mit entsprechendem Auto-Besitz entstehen sollen, sowie der Brauerei Ibing mit noch unbekannter Größenordnung könnte dem heute bereits gut genutzten Kassenberg künftig ein Verkehrskollaps bevorstehen.

Zwar geht die Stadt rein rechnerisch derzeit nicht davon aus, doch nicht nur für Messink ist schon aktuell und ohne weitere Wohnprojekte ein sehr dichter Verkehr zwischen Saarn und Innenstadt feststellbar. Eine perspektivische Entlastung der Verkehrsströme wäre deshalb aus seiner Sicht sinnvoll. „Wenn schon die Grünen ihre Straßenbahn nach Saarn opfern, um mit der CDU regieren zu können, dann hätten wir noch einen sehr guten Vorschlag für eine andere Form der Seilschaften. . .“, stichelt Messink.