Mülheim. Eine Expertenrunde der SPD diskutierte Klimastrategien für Mülheim: mehr Photovoltaik für umweltfreundlichen Wasserstoff, Lernen von Bottrop.

Für eine kommunale Klimastrategie müsste Mülheim das Rad nicht neu erfinden – und wohl zunächst auch nicht viel Geld in die Hand nehmen: Die arme Kommune könnte sich etwa kostenlos der Gemeinschaft ,klimapositiver Städte’ anschließen und von vergleichbaren Städten lernen. In einem virtuellen Gespräch zum überarbeiteten Bundes-Klimaschutzgesetz mit zum Teil Mülheimer Experten hatte SPD-Bundeskandidat Sebastian Fiedler neulich auch Vorschläge für die Ruhrstadt zusammengetragen.

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Monika Griefahn: „Klimaschutz ist auch für eine arme Kommune nicht unmöglich“

Für Podiumsgast Monika Griefahn – 2020 OB-Kandidatin der Mülheimer Genossen – wäre der Beitritt zur Gemeinschaft „ein schneller Gewinn, das würde ich als Erstes machen“. Natürlich brauche man dann einen Plan, mit wem man die Maßnahmen umsetze. Im öffentlichen Nahverkehr schweben ihr Busse on demand, aber auch selbstfahrende Autos vor – nicht jeder könne das Fahrrad nutzen. „Es gibt aber genug Pilotprojekte, die man übernehmen kann. Ich glaube, dass es nicht unmöglich ist, Klimapolitik zu betreiben – auch nicht für eine arme Kommune“, meint Griefahn.

Klimaschutz müsse konkret und vor Ort passieren, unterstrich der amtierende SPD-Bundesabgeordnete Arno Klare mit einem Beispiel: Auf dem Flughafen Berlin Neuhardenberg hat man seit 2012 bereits einen Solarpark von 240 Hektar errichtet – „diese Fläche haben wir in Mülheim leider nicht. Aber es kostet die Stadt null Euro und sie muss auch sonst gar nichts dafür investieren, weil die Investoren für eine Flächen-Photovoltaikanlage Schlange stehen“, hält Klare das auch beim heimischen Flughafen für einen Gewinn.

Das Flughafen-Areal böte aus Sicht der SPD ein hohes Potenzial für grünen Photovoltaik-Strom, der auch für der Wasserstoff-Gewinnung dienen kann.
Das Flughafen-Areal böte aus Sicht der SPD ein hohes Potenzial für grünen Photovoltaik-Strom, der auch für der Wasserstoff-Gewinnung dienen kann. © www.blossey.eu | Hans Blossey

Wie Mülheim von Bottrop lernen könnte

Als Schritt zwei schlägt Klare vor, von allen Mülheimer Dächern, die photovoltaikfähig wären, 1000 mit einer PV-Anlage auszurüsten, „als Anschub“, um mehr Mülheimer zu überzeugen. Dafür habe man im Kommunalwahlprogramm geworben. Lernen, so Klare, könne Mülheim hier von „Bottrop, das auch nicht reicher ist“. Doch die Nachbarstadt schaffte es, ihre Bürger davon zu überzeugen, dass PV-Anlagen für Strom auch eine Anlage fürs eigene Kapital seien: „6,5 Prozent Rendite – wo bekommt man die denn heute?“

Fairerweise muss man sagen: Seit 2019 hat die Bottroper Solaroffensive 130 geförderte Dächer erbracht, die einen Zuschuss von 100 Euro je Kilowatt-Peak (kWp) erhalten, maximal 600 Euro. Doch der Anschub würde sich potenziell nicht nur finanziell rentieren: Mülheim selbst geht von sogar 35.000 Dächern aus, bei denen sich die Installation einer Photovoltaikanlage lohne. Laut einer Berechnung von 2019 hätte Mülheim die Möglichkeit, 230 Megawatt allein durch den Ausbau von PV-Anlagen auf Dach- und Freiflächen zu erzielen. 2019 waren es jedoch gerade einmal 12,9 Megawatt. Auf Mülheim kommen 262 kWp pro Quadratkilometer, auf Bottrop mehr als das Doppelte, rund 583 kWp. Es gibt also sehr viel Luft nach oben.

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Wie man grünen, lokalen Wasserstoff für den Nahverkehr gewinnen könnte

Aber der Nutzen erschließt sich für Klare noch anders: Die Ruhrbahn rüste auf Wasserstoffbusse um, nur sei es aktuell kein grüner, sondern grauer Strom, aus Methan gewonnener Wasserstoff (Anmerkung: bei diesem fällt umweltbelastendes CO2 an), mit dem die Busse betrieben werden. „Ich könnte mir vorstellen, dass eine Groß-PV-Anlage, gekoppelt mit der Elektrolyse, den Wasserstoff für die Ruhrbahn-Busse herstellt. Man muss in solchen lokalen Wertschöpfungsketten denken.“

Solche Ketten müssten auch im Hinblick auf das geistige Potenzial der Stadt noch geschlossen werden. Sebastian Fiedler erinnerte an die lokalen Stärken Mülheims: „Wir haben eine tolle Hochschule und das Max-Planck-Institut. Es kostet erst einmal kein kommunales Geld, wenn man kluge Köpfe zu interdisziplinären Teams zusammenbringt. Das kann man hier noch viel intensiver ausschöpfen.“

Wie Mülheim zur autofreien Stadt werden könnte

Und was kann jeder Einzelne tun?, stellt der Mülheimer Musiker Suppi Huhn die Frage in die Runde. Verpackung vermeiden – oder Autofahrten: „Etwa zwölf Prozent aller Wege mit dem Auto sind unter fünf Kilometer. Wenn alle darauf verzichten würden, ließe sich der CO2-Ausstoß spürbar reduzieren.“

Der lokale Verzicht aufs Auto wäre aus Sicht von Hans Peter Winkelmann, Geschäftsführer des Mülheimer Climate Campus, ein wichtiger lokaler Ansatz, der allerdings kommunal flankiert werden müsste. Seit den 1980ern gibt es das Leitbild einer ,Stadt der kurzen Wege’, bei dem Wege etwa zwischen Wohnen, Arbeit und Dienstleistungen möglichst fußfreundlich gestaltet werden.

Broich Strom will Gewerbe mit Solardächern ausrüsten

Das Projekt „Broich Strom“ versucht im Stadtteil, aber im größeren Stil, die Gewerbedächer von Unternehmen mit Solar zu bestücken. Seit April 2021 gibt es dazu auch eine Kooperation mit der Hochschule Ruhr-West.

„Wir werden uns konkret zehn Unternehmen aussuchen, wo wir genau vorschlagen, wie das zu machen ist, und einen Projektierer vorschlagen, der sofort anfangen kann“, so Hans-Peter Winkelmann. Das aber sei eine private Initiative, keine kommunale.

Mehr Infos dazu: http://energiefuersquartier.ruhr/klimaquartier-broich/

Ein Einfahrverbot in Innenstädte haben wir bereits in vielen europäischen Städten“, stellt Winkelmann fest, „man muss dafür aber Alternativen aufzeigen. Daran hapert es aber an allen Ecken und Enden: fehlende Radwege, ein mangelnder Personennahverkehr.“

Und nicht zuletzt die ungleichen Kosten – der individuelle Nahverkehr ist im Vergleich offenbar zu günstig: „Wenn man sich überlegt, dass die Kosten für den ÖPNV seit 2000 um 80 Prozent gestiegen sind, die für das Auto nur um 36.“ Für Winkelmann hat Klimaschutz dann auch eine soziale Komponente, wenn man bedenkt, dass oft viele einkommensschwächere Menschen auf den Nahverkehr angewiesen sind und besonders hoch belastet werden. Winkelmann hat jedoch einen Schlüssel, wenn man Veränderungen angehen will: „Wir müssen Klimaschutz positiv denken“