Gladbeck. Weniger Arbeiten bei gleichem Geld? Die Diskussion nimmt gerade Fahrt auf, die Gewerkschaften fordern es. So reagieren Gladbecker Arbeitgeber.
Was war das für ein Kampf, den die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) mit der Deutschen Bahn (DB) ausgefochten hat! Dickster Zankapfel: die schrittweise Herabsetzung der wöchentlichen Arbeitszeit von 38 Stunden auf 35 – bei vollem Lohnausgleich. So soll‘s bis 2029 geschehen. Diese Regelung hätten viele Beschäftigte verschiedener Branchen in Gladbeck wohl auch gerne. Die WAZ hat nachgehakt, wie die Chancen zur Realisierung ausschauen. Was geht, was nicht?
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Ein Blick ins Rathaus. Sprecher David Hennig antwortet auf die Anfrage der WAZ klipp und klar: „Aktuell kann sich die Stadtverwaltung die Einführung einer 35-Stunden-Woche nicht vorstellen.“ Das habe zunächst einen Grund.
Verschiedene Arbeitszeitmodelle sollen die Wettbewerbsfähigkeit erhalten
„Die Stadtverwaltung ist an tarifliche und beamtenrechtliche Rahmenbedingungen gebunden, die berücksichtigt werden müssen. Hier sind wir nicht frei in der Ausgestaltung wie etwa ein privates Unternehmen“, erläutert Hennig.
Er verweist darauf, dass verkürzte Arbeitszeiten nicht alles sind, um eine Tätigkeit für Beschäftigte reizvoll zu machen. Hennig: „Es gibt in der Stadtverwaltung verschiedene attraktive Arbeitszeitmodelle wie die flexible Arbeitszeitgestaltung.“ Diese Möglichkeiten seien auch notwendig, um bei der Personalgewinnung wettbewerbsfähig zu bleiben.
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Aber zurück zur 35-Stunden-Woche. Wie wäre sie denn realisierbar? „Damit eine generelle 35-Stunden-Woche eingeführt werden könnte, wären zuerst überall einheitliche tarif- und beamtenrechtliche Rahmenbedingungen herzustellen“, so Hennigs Erklärung.
Die Sache hat jedoch einen Haken – und zwar einen großen. „Die potenzielle Einführung einer 35-Stunden-Woche würde unter anderem einen erhöhten Personalbedarf – und damit auch höhere Personalkosten – mit sich bringen, um die Aufrechterhaltung der Serviceangebote weiterhin gewährleisten zu können.“ Der Rathaussprecher denkt da beispielsweise an die Öffnungszeiten des Bürgeramts und von Kitas sowie an den Einsatz der Müllabfuhr.
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Allesamt Aufgaben, „die erledigt werden müssen“. Eine Arbeitszeitreduzierung ginge zu Lasten der Bürgerschaft. Für die städtische Belegschaft hätte eine Senkung der Arbeitsstunden „gegebenenfalls positive Auswirkungen mit Blick auf die Work-Life-Balance sowie damit verbunden möglicherweise auch auf eine höhere Zufriedenheit“.
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Ähnlich hören sich Jens Brüggemanns Ausführungen zu dem Thema an. Der Prokurist der Volksbank Ruhr Mitte sagt: „Eine 35-Stunden-Woche ist bei uns derzeit nicht angedacht.“ Der Tarifvertrag setze eine wöchentliche Arbeitszeit von 39 Stunden fest.
„Warum wir nicht an eine 35-Stunden-Regelung denken? Wir haben andere Work-Life-Balance-Angebote“, so Brüggemann. Und zählt beispielhaft auf: Gleitzeit, „sehr flexible Teilzeit-Angebote“, eine mögliche Verlängerung der gesetzlichen Elternzeit, „Homeoffice für alle“ und den „Urlaubskauf“, also vereinfacht gesprochen: Tausch von Verdienst gegen Freizeit.
Wie Stadtsprecher Hennig sagt auch der Volksbank-Fachmann: „Wenn wir die Arbeitszeit herunterfahren würden, bliebe Arbeit liegen.“ Doch „wir wollen unserem Service-Anspruch gerecht werden und unsere Leistungen erbringen“. Im Sinne der Kundschaft, die unter anderem erwarte, dass Anliegen schnell abgearbeitet werden.
Wie wirkt sich Arbeitszeitverkürzung auf Kosten aus?
Um diesem Prinzip treu bleiben zu können, müsste bei einer Arbeitszeitverringerung mehr Personal eingestellt werden. Was sich wiederum auf die Kosten niederschlage, die in solch einem Falle steigen. „Diese Mehrkosten müssten wir über steigende Preise wieder ‚reinholen.“
Einmal ganz abgesehen davon, dass auch Geldinstitute, wie etliche andere Branchen, den Fachkräftemangel zu spüren bekommen. „Insgesamt 360 Köpfe“ zähle die Volksbank Ruhr Mitte aktuell. Brüggemann: „Noch schaffen wir es, Personal zu rekrutieren.“ Das Durchschnittsalter der Belegschaft liege bei 47, 48 Jahren. „Wir wollen unsere Auszubildenden übernehmen, wenn sie möchten.“ Allerdings seien „Arbeitnehmer wechselbereiter geworden“.
Die Babyboomer-Jahrgänge reißen Lücken, die gestopft werden müssen
Sebastian Sander, Bereichsleiter Unternehmensplanung bei der Sparkasse Gladbeck, betrachtet die Thematik skeptisch und verweist wie Brüggemann auf den geltenden Tarifvertrag. 35-Stunden-Woche? Aktuell kein Thema in der Sparkasse Gladbeck, die gut 140 Menschen beschäftigt.
Sander betrachtet die Diskussion um Arbeitszeitverkürzung skeptisch, weil sie mit einem Produktivitätsverlust einhergehen könne. „Man kann vielleicht Künstliche Intelligenz einsetzen, Bereiche verschlanken oder Leistungen streichen“, meint der Experte. Ihm ist anzuhören, dass er arge Zweifel an dieser Strategie hat. Sein Standpunkt: „Für Arbeitnehmer ist eine 35-Stunden-Woche supertoll. Aber sie ist nicht umsetzbar, wenn man seine Arbeit vernüftig erledigen will.“
Homeoffice und Teilzeitarbeit werden gerne genutzt
Die Sparkasse setzt auf andere Wege, um Zufriedenheit in der Belegschaft zu bewirken. „Flexibilität“ lautet das Zauberwort. So werde unter anderem das Angebot zur Tätigkeit im Homeoffice gut angenommen. Knapp 40 Prozent des Gladbecker Sparkassen-Personals arbeite in Teilzeit: „Eine hohe Quote.“
Am Service sollten keine Abstriche gemacht werden
Sander sieht ebenfalls den Service gefährdet. Um dem gerecht zu werden, sei eine Arbeitszeitverkürzung „nur steuerbar“ durch personelle Maßnahmen. Sprich: ein Mehr an Personal. Gerade mit Blick auf den herrschenden Fachkräftemangel eine Kraftanstrengung: „Es stellt uns vor große Herausforderungen, geeignete Mitarbeiter zu finden.“
Das Durchschnittsalter der Belegschaft betrage 44 Jahre. „Bis zum Jahr 2028 werden rund sechs Prozent in Rente gehen“, stellt Sander fest. Diese Lücke muss gestopft werden, daher spielen Nachwuchskräfte eine wichtige Rolle. Die Sparkasse Gladbeck stellt pro Jahr zwischen drei und fünf Azubis ein.
Claudia Röttlingsberger, Gesellschaft für Innenausbau mbH & Co. KG an der Hornstraße: „Bei uns im Schreiner-Handwerk ist derzeit über keine Arbeitszeitverkürzung nachzudenken. Die Wartezeiten der Kunden sind bereits jetzt schon sehr hoch.“ Eine offizielle Verkürzung der Arbeitszeit könne dazu führen, „dass die ,fehlenden fünf Stunden‘ als Überstunden angeordnet werden“. Dann hätte der Mitarbeiter zwar mehr Geld, aber der Effekt auf die „Work-Life-Balance“ wäre nicht gegeben.
„Außerdem sind die Preise für die Verbraucher in den vergangenen drei Jahren bereits so exorbitant gestiegen, dass eine weitere Kostenexplosion, und das wäre es, wenn wir von 40 Regelstunden (bei uns im Betrieb) auf 35 bei gleichem Lohn gehen würden, am Markt unseres Erachtens nicht durchsetzbar wäre“, stellt Claudia Röttlingsberger klar.
Zudem gebe es im Bereich des Neubaus Auftragseinbrüche und dadurch verschärfe sich die Lage auf der Anbieterseite bereits. „Die Kunden erwarten eher sinkende Preise.“
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Eine Leistung müsse erwirtschaftet werden, da die Wettbewerbsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit nicht aus den Augen verloren werden dürften, um auch in Zukunft einen sicheren Arbeitsplatz stellen zu können. „Wir müssen also versuchen, mit anderen Mitteln Anreize für die Mitarbeiter zu setzen“, so die Geschäftsfrau.
Röttlingsberger macht den Beschäftigten diverse Angebote
Das Unternehmen hat 19 Beschäftigte. Ihnen werden Anreize wie Jobrad und betriebliche Altersvorsorge angeboten. Claudia Röttlingsberger ergänzt: „Wir führen Gespräche über eine mögliche betriebliche Krankenzusatzversicherung.“
Wertschätzung kann unterschiedlich zum Ausdruck kommen
Mitbestimmung der Mitarbeiter bei Neuanschaffungen, Zuhören und Flexibilität bei besonderen familiären Situation nach persönlicher Absprache seien „eh selbstverständlich“. Auch diese persönliche Zuwendung kann Ausdruck von Wertschätzung sein.