Gladbeck. Die großen Gladbecker Unternehmen spüren die Krise bereits, die kleineren stellen sich zumindest auf eine „Delle“ ein. Diese Probleme sehen sie.

„Es geht noch keine Angst um, doch klar ist: Auch wenn die Delle noch nicht da ist, sie wird kommen, wie hart sie uns trifft, das wird sich zeigen.“ So beschreibt Claudia Röttlingsberger, Vorsitzende des Vereins zur Förderung der Gladbecker Wirtschaft (VGW), die Stimmung bei den Unternehmen in der Stadt. Im Verein haben sich mehr als 100 lokale Firmen zusammengetan – von den Niederlassungen der Weltkonzerne Rockwool und Ineos bis hin zum Ein-Mann-Betrieb.

Beim Redaktionsbesuch des Vorstands wird deutlich, dass sich insbesondere die Großen bereits Sorgen machen beziehungsweise Auswirkungen der Krise merken. Benie Marotz von Ineos Phenol lässt ausrichten, dass es in seiner Branche Rückgänge von 15 bis 20 Prozent gebe. Seine düstere Prognose: „Nicht bei Ineos Phenol aber generell in der chemischen Industrie sind Standortschließungen in Deutschland zu erwarten.“

Kritik: Politik in Berlin trägt zu großer Verunsicherung bei den Endverbrauchern bei

Frank Weier von Rockwool verweist auf die Probleme am Bau: „Der Wohnungsneubau ist quasi völlig eingebrochen und der Renovierungsmarkt zeigt sich eher schleppend.“ Die Politik mit den aktuellen Gesetzesentwicklungen trage zu einer großen Verunsicherung bei dem Endverbraucher bei und das Thema energieeffiziente Sanierung habe keine politische Bedeutung mehr, so seine Vorwürfe in Richtung Berlin.

Marcus Steiner (1. Stellvertreter), Ingo Abrahams (2. Stellvertreter) und Claudia Röttlingsberger (Vorsitzende) sowie Geschäftsführerin Elisabeth Kolberg (v.l) vertreten der Verein zur Förderung der Gladbecker Wirtschaft. Beim Besuch der Lokalredaktion geben sie einen Überblick über die wirtschaftliche Stimmung vor Ort.
Marcus Steiner (1. Stellvertreter), Ingo Abrahams (2. Stellvertreter) und Claudia Röttlingsberger (Vorsitzende) sowie Geschäftsführerin Elisabeth Kolberg (v.l) vertreten der Verein zur Förderung der Gladbecker Wirtschaft. Beim Besuch der Lokalredaktion geben sie einen Überblick über die wirtschaftliche Stimmung vor Ort. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

Bei den kleineren Unternehmen vor Ort seien diese Verwerfungen noch nicht angekommen, sagt Claudia Röttlingsberger, aber: „Die Chemie- und die Baubranche hatte in der Vergangenheit immer einen Frühwarncharakter.“ Unterstützung in dieser Auffassung erhält sie von ihren beiden Stellvertretern, Sparkassenvorstand Marcus Steiner und Ingo Abrahams, Vorstand der Volksbank Ruhr-Mitte. Zuletzt haben die Landesstatistiker neue Zahlen zu Insolvenzen vorgelegt. Demnach stieg die Zahl der Unternehmensinsolvenzen im Juni um fast 40 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat.

Gladbecker Banken sprechen von ersten „Liquiditätsengpässen“

Zahlen, die sich so in Gladbeck zum Glück nicht widerspiegelten, sagen die beiden Banker. Allerdings merke man bei den regionalen Firmenkunden doch erste Probleme. So hätten sich einige im Rating ihrer Kreditwürdigkeit verschlechtert, auch Liquiditätsengpässe haben die beiden regionalen Geldinstitute im Firmenkundenbereich bemerkt. Generell die Inflation aber auch die Rückzahlung von Coronahilfen stelle Unternehmen vor Probleme, so Steiner und Abrahams übereinstimmend.

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Was tun, damit es besser wird? Hier sehen die Verantwortlichen des VGW selbstverständlich zunächst die handelnden Personen in Berlin, Brüssel oder bei der Europäischen Zentralbank in der Pflicht. Dort müssten entsprechende Maßnahmen getroffen werden – etwa zur Eindämmung der Inflation oder der Energiepreise.

VGW wirbt für stärkere Berücksichtigung regionaler Firmen bei Ausschreibungen

Doch auch vor Ort könne man Maßnahmen treffen, glaubt Claudia Röttlingsberger. Sie hat dabei vor allem öffentliche Ausschreibungen im Blick. Hier könnte die Stadt ihrer Meinung nach den Faktor, ob es sich um ein regionales Unternehmen handele, stärker werten. Das werde durchaus schon mit bewertet, aus Sicht des VGW gibt es aber noch Luft nach oben.

Claudia Röttlingsberger sieht in der Beauftragung regionaler Unternehmen auch einen Vorteil für die öffentliche Hand. Sie habe Ansprechpartner vor Ort, die Anfahrtswege seien kurz, „und als lokales Unternehmen kann ich es mir auch nicht erlauben, auf einer Baustelle nicht zu erscheinen“. Damit spielt die Geschäftsführerin einer Schreinerei darauf an, dass es immer wieder auch vorkommt, das Unternehmen zu vereinbarten Zeiten einfach nicht erscheinen.

Von der Stadt Gladbeck fühlen sich die Unternehmen grundsätzlich wertgeschätzt

Grundsätzlich aber sehen sich Verein und Mitgliedsunternehmen von der Stadt wertgeschätzt. Man sei regelmäßig in Gesprächen, tausche sich aus und werden auch konkret zu bestimmten Themen gefragt – etwa nun bei der Neuaufstellung der Wirtschaftsförderung. Ein wichtiger Punkt vor Ort: Es mangelt Gladbeck an Gewerbeflächen. Da legt der VGW regelmäßig den Finger in die Wunde, wohlwissend, dass Gladbeck dicht besiedelt ist und es keine Reserven gibt. Nur gebe es eben immer wieder Anfragen von Firmen, die Flächen in Gladbeck suchen. Die kämen teils von außerhalb, teils sind sie vor Ort ansässig und wollen sich erweitern. Da bestehe dann die Gefahr, dass sie in der Region in andere Städte abwandern.

Daher stößt das Projekt 37 Grad Nordost beim VGW auf Zustimmung. Die Gladbecker Wirtschaft spricht sich öffentlich sowieso für den Bau der Autobahn aus. Zusätzlich sieht man nun die Chance, möglicherweise neue Flächen in der Stadt zu entwickeln – durch Tunneloberfläche und möglichen Abbau der Steinhalde. Das muss alles noch politisch entschieden werden und es brauche da auch Augenmaß, sagen die VGW-Verantwortlichen. Doch komme es so, wie es derzeit in der Diskussion ist, sollte dort auch dringend Platz für Unternehmen geschaffen werden.

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Bleibt die Frage, wer die Arbeit künftig machen soll. Die Suche nach Auszubildenden werde schwieriger. Ihr sei es gelungen, alle Plätze zu besetzen, sagt Claudia Röttlingsberger. Sie wisse aber von einem Tiefbauunternehmen, wo es nicht geklappt hat, obwohl man dort die Anforderungen deutlich gesenkt habe. Auch aus ihrer Erfahrung berichten Ingo Abrahams und Marcus Steiner von Veränderungen. Man müsse viel stärker um potenzielle Azubis werben, sei deshalb auf diversen Plattformen unterwegs. Tatsächlich betreibe auch sie den firmeneigenen Instagram-Kanal nicht in erster Line, um Kunden anzusprechen. Im Mittelpunkt stehe, sich möglichen Bewerben zu präsentieren, sagt Claudia Röttlingsberger.

Der Verein

Der Verein zur Förderung der Gladbecker Wirtschaft (VGW) vertritt inzwischen mehr als 100 Unternehmen. Die meisten haben ihren Sitz oder aber zumindest eine Niederlassung in Gladbeck, doch auch Firmen aus Bottrop oder Gelsenkirchen zählen zu den Mitgliedern. Mit Rookwool, Ineos Phenol oder Lenord und Bauer engagieren sich auch die großen Unternehmen im Verein.

Die Gründung des Vereins im Jahr 1992 geht auf den Aufbau des Innovationszentrums Wiesenbusch zurück, damals gab es den Wunsch, die Gladbecker Wirtschaft da mit ins Boot zu holen. Noch heute ist der VGW neben der Stadt Gesellschafter in Wiesenbusch.