Gladbeck. Corona hat gerade Fachkräfte in der Pflege stark gefordert. Wie sind die Dienste personell aufgestellt? Gladbecker ordnen die Lage kritisch ein.
Zu den Branchen, die durch die Corona-Krise besonders in den Fokus der Öffentlichkeit geraten sind, gehört die Pflege. Welche Spuren hat die Pandemie bis dato bei diesen Beschäftigten hinterlassen? Gehen die Fachkräfte mittlerweile auf dem Zahnfleisch wegen der starken Belastung oder hängen sie ihre Kittel an den Nagel und wechseln den Beruf? Ist die ohnehin knappe Personaldecke in den vergangenen zwei Jahren noch dünner geworden? Fachleute aus Gladbeck ordnen die aktuelle Situation ein.
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„Corona hat die Nerven in der Pflege bis zum Anreißen strapaziert“, meint Stefan Horn. Der Inhaber zweier Pflegedienste in Gladbeck denkt an die Zeit zurück, als die Pandemie ausbrach. „Vor zwei Jahren hatte noch keiner von diesem Virus gehört. Entsprechend groß waren die persönlichen Ängste“, erinnert sich der 61-Jährige. Und nicht nur das, andere Hindernisse behinderten den Berufsalltag – man denke nur an den Masken-Mangel und andere Material-Engpässe.
Multikulti ist der Gladbecker Pflege seit vielen Jahren eine Selbstverständlichkeit
Dies habe sich zwar geändert, aber Spuren hinterlasse die weltweite Gesundheitskrise dennoch. Horn erzählt beispielhaft: „Eine examinierte Kraft verlässt meinen Pflegedienst. Die verpflichtende Corona-Impfung war das i-Tüpfelchen.“ Die Kollegin werde wohl den Beruf wechseln.
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Stichwort Personal: Der Fachmann stellt fest, dass der Markt mit examinierten Kräften „leer gefegt“ sei. „Inserate bringen nichts.“ Doch Horn sagt auch: „Es bewerben sich immer Interessierte, darunter ganz viele türkischstämmige.“ Überhaupt sei das Pflegepersonal international. Stark vertreten beispielsweise: Der Ostblock. „Madagaskar, Kasachstan, Ukraine, Guinea“ – einerlei, wo die Wurzeln liegen, eines ist dem Arbeitgeber wichtig: „Die Menschen müssen halbwegs vernünftig Deutsch sprechen.“
Antonia Gemein, Sprecherin des Caritasverbands Gladbeck, registriert ebenfalls: „Multikulti gab’s bei uns immer schon, sowohl in der ambulanten Betreuung als auch in unseren zwei Einrichtungen. Beschäftigte haben einen Migrationshintergrund, sind aber oft in Deutschland geboren.“ Sie stimmt Horn zu: „Der Markt ist leer gefegt, als Arbeitgeber ist es schwierig, geeignete Kräfte zu finden.“
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Einbrüche wegen Corona habe die Caritas in Gladbeck jedoch nicht zu verschmerzen. Vorstand Rainer Knubben: „Bei uns sind alle Kräfte geimpft – bis auf eine Mitarbeiterin. Sie wollte sich nicht impfen lassen, hat sich angesteckt und gilt jetzt als genesen.“ Es hat laut Knubben auch niemand aus der Belegschaft das Handtuch geschmissen, weil der Job unerträglich stressig geworden sei. „Wir haben impfbedingt oder durch Corona keine Fachkräfte verloren“, sagt Antonia Gemein. Aber der Personalbestand sei auf Kante genäht. Daher arbeite der Caritasverband immer darauf hin, „dass die Azubis aus dem eigenen Haus ihre Ausbildung schaffen und eine Anschlussmöglichkeit bei uns haben“.
Knubben „zieht den Hut vor den jungen Menschen, die unter den herrschenden Bedingungen in der Pflege arbeiten wollen“: „Respekt!“ Der Caritasvorstand sagt: „Das Interesse an diesem Beruf ist nach wie vor groß. Bei den Azubis haben wir mehr Frauen als Männer, ganz viele kommen direkt nach der Schule zu uns. Doch wir haben altersmäßig eine gute Durchmischung.“
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Knubben: „Wir wollen auf ukrainische Flüchtlinge zugehen und sie bei uns hospitieren lassen. Wenn die Pflege das Richtige für sie ist – warum nicht? Das ist für beide Seiten eine Win-win-Situation.“
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„Keinerlei Personalprobleme“, so heißt es bei Pflegedienst-Anbieterin Hülya Haack-Yol. Wegen Corona habe ihr keine Fachkraft den Rücken gekehrt. Die Expertin erzählt: „Viele hatten wegen der Impfpflicht Bedenken, aber das war ganz klar eine Frage der Aufklärung. Wir haben selbst von vornherein ein Seminar durchgeführt, um zu erklären, dass eine Impfung zum eigenen Schutz und zum Schutz der Mitarbeiter da ist.“
Blick auf die Nachwuchskräfte
In seinen zwei Seniorenzentren und im Ambulanten Dienst beschäftigt der Caritasverband Gladbeck derzeit insgesamt 33 Auszubildende in den unterschiedlichen Lehrjahren. „Von unseren Fach- und Hilfskräften in der Pflege hat ein knappes Drittel einen Migrationshintergrund“, berichtet Sprecherin Antonia Gemein.
Im Johannes-van-Acken-Haus arbeiten zum Beispiel zwölf verschiedene Nationen als Team zusammen. Antonia Gemein: „Das freut uns, wir schätzen und fördern Vielfalt.“ Sowohl das Johannes-van-Acken-Haus in der Innenstadt als auch das St.-Alfrid-Haus im Stadtsüden werden als vollstationäre Einrichtungen betrieben.
Hülya Haack-Yol bildet derzeit 14 angehende Fachkräfte aus. Die 51-Jährige ist Chefin von gut 100 Beschäftigten: „Von den 14 Azubis sind neun Männer.“ Einer sei beispielsweise vom Bauwesen in die Pflege gewechselt.
Auch Stefan Horn setzt auf Kräfte-Nachwuchs aus dem eigenen Haus. Er sagt: „Ich bilde seit 15 Jahren aus.“ Aktuell habe er 14 Azubis. Sind sie erfolgreich, werden sie Pflegefachfrauen bzw. -männer – und vielleicht in das Horn-Team mit aktuell rund 50 Köpfen aufgenommen.
Auch das Team Haack-Yol ist ein Mix der Nationen: „Russisch, polnisch, italienisch, spanisch, griechisch, türkisch, libanesisch.“ Die Chefin erläutert: „Wer direkt von der Schule zu uns kommen will, muss zumindest ein halbes Jahr im Bundesfreiwilligendienst in der Altenpflege tätig gewesen sein.“ Haack-Yol will durch diese Voraussetzung verhindern, dass die ehemals Interessierten die Ausbildung hinwerfen, weil sie sich den Beruf anders ausgemalt haben.
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Dieses „Riesen-Problem“ kennt auch Stefan Horn: „Einige haben eine ganz andere Vorstellung, was Arbeit überhaupt bedeutet.“ Im Team des 61-Jährigen sind Schulabgänger ebenso vertreten wie Berufswechsler – von 17, 18 Jahren bis 50. „Ich bin da ganz offen, gerne stelle ich Frauen nach der Familienphase ein“, betont Horn. Müttern will auch Haack-Yol den Wiederberufseinstieg ermöglichen.
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Ihr, Horn und Knubben liegt eines am Herzen: Ihre Fachkräfte müssen sich im Beruf wohlfühlen, gerne zur Arbeit kommen. Stimmt das Klima im Job, spricht sich das herum – und weckt bestenfalls das Interesse anderer Berufstätiger. Das sei mindestens so wichtig wie ein verlässlicher Dienstplan, hat Antonia Gemein erfahren. Sie bringt’s auf den Punkt: „Vieles geschieht über Mund-Propaganda.“ Hat ein Arbeitgeber einen guten Ruf, spricht sich das herum.