Gladbeck. Im St.-Suitbert-Haus Gladbeck versuchen Frauen aus der Ukraine, sich Normalität aufzubauen. Dazu gehört für die Kriegsflüchtlinge auch: Arbeit.

Wie sie so da sitzen, kann man kaum fassen, was sie hinter sich (gelassen) haben. Diese Frauen aus der Ukraine strahlen so viel Energie, Zuversicht und Lebensmut aus. Vor dem Krieg in ihrer Heimat sind sie geflüchtet, das St.-Suitbert-Haus in Gladbeck bietet ihnen nun ein sicheres Dach über dem Kopf. Tatkräftig versuchen die Frauen, sich in der deutschen Fremde ein halbwegs normales Leben einzurichten. Dazu gehört für die Flüchtlinge auch eine berufliche Tätigkeit – gut ausgebildet sind sie.

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Da ist zum Beispiel Olga, die Übersetzerin aus Irpin. Die 37-Jährige, so erzählt sie auf Englisch, floh vor den Bombardements per Bus über Berlin nach Köln. Ihr Mann blieb in der Ukraine. „Then we were sent to Gladbeck“ – dann wurden sie nach Gladbeck geschickt.

Im St.-Suitbert-Haus Gladbeck teilen die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine Schicksal und Räume

Im St.-Suitbert-Haus traf Olga auf Valentina. Auch die 49-Jährige hat Kiew ebenfalls notgedrungen den Rücken gekehrt – per Zug ging die strapaziöse Odyssee nach Berlin-Tegel, von dort mit dem Flugzeug nach Weeze am Niederrhein, weiter ins Ruhrgebiet, in ein Bochumer Sammellager, bevor die ausgebildete Krankenschwester Gladbeck erreichte. Mutter und Schwester seien im Donbass, genauer gesagt in Luhansk, geblieben, das unter heftigem Beschuss steht.

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Rosa stammt ebenfalls aus der ukrainischen Hauptstadt. Mit dem Auto erreichten die 40-Jährige und ihre 16-jährige Tochter Larissa Lwiw, mit etwa 70 Kilometern liegt diese Stadt nahe der polnischen Grenze – und der Sicherheit. Aber das sollte nicht der Endpunkt ihrer Flucht sein, auch diese beiden Frauen gelangten über die Station Bochum nach Gladbeck.

Antonia Gemein, Pressesprecherin der Caritas in Gladbeck: „Diese Flüchtlinge haben gelebt wie wir.“
Antonia Gemein, Pressesprecherin der Caritas in Gladbeck: „Diese Flüchtlinge haben gelebt wie wir.“ © FUNKE Foto Services | Oliver Mengedoht

Knapp 20 Menschen teilen in dem Gebäude der Caritas nicht nur ein Schicksal, sondern auch Zimmer. Stockbetten, Schrank, ein paar Stühle, eben das Notwendigste haben sie im St.-Suitbert-Haus, eine Küche nutzen die Kriegsflüchtlinge gemeinsam. Während deren Heimat mancherorts dem Erdboden gleichgemacht wird, sind sie in Gladbeck „dankbar für die Hilfe, Unterstützung und Unterkunft“, wie Olga sichtlich bewegt sagt. Dabei hat das Leben hier nur wenig mit dem gewohnten, nunmehr verlorenen Alltag zu tun.

Die ukrainischen Flüchtlinge haben bis zum Kriegsausbruch in angesehenen Berufen gearbeitet

Antonia Gemein, Caritas-Sprecherin in Gladbeck, vergleicht: „Hier sind Menschen wie Du und ich, die bisher in gut ausgestatteten Wohnungen gelebt, in angesehenen Berufen gearbeitet haben, sie hatten ihre Familien und ihr Auskommen. Sie haben gelebt wie wir.“

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Das ist das neue Zuhause von Olga aus Irpin. Im St.-Suitbert-Haus der Caritas Gladbeck leben fast 20 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine.
Das ist das neue Zuhause von Olga aus Irpin. Im St.-Suitbert-Haus der Caritas Gladbeck leben fast 20 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine. © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

Bis der russische Angriff von jetzt auf gleich so gut wie jedes Fünkchen Normalität auslöschte. Svetlana aus dem westukrainischen Kamyanets-Podilskiy erzählt in englischer Sprache: „Der Kriegsbeginn war für alle erschreckend. Sofia sollte zum Kindergarten, aber sie ist nicht dorthin gegangen.“ Die Geschäftsfrau, der ein Café-Shop gehörte, fällte schnell eine Entscheidung: Sie ergriff mit ihrem fünfjährigen Töchterchen die Flucht. So froh Svetlana darüber ist, im St.-Suitbert-Haus Sicherheit gefunden zu haben, eines plagt sie: „Die Tage sind etwas langweilig. Wir warten auf Post, die Versicherungsnummer.“

Siham Kobrosli, die für die Caritas Gladbeck die ehrenamtliche Flüchtlingshilfe bei der Caritas betreut, weiß, dass die Bürokratie hierzulande viele Menschen aus der Ukraine belastet.
Siham Kobrosli, die für die Caritas Gladbeck die ehrenamtliche Flüchtlingshilfe bei der Caritas betreut, weiß, dass die Bürokratie hierzulande viele Menschen aus der Ukraine belastet. © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

Siham Kobrosli, in deren Händen die Koordination der ehrenamtlichen Flüchtlingshilfe beim Caritasverband Gladbeck liegt, erläutert: „Bis jetzt sind die Flüchtlinge aus der Ukraine beim Sozialamt gemeldet. Sie haben keinen Aufenthaltstitel, ihr Status ist in der Schwebe.“ Möglichst schnell Arbeit und eine Wohnung finden, rasch Deutsch lernen, das haben sich die Frauen im St.-Suitbert-Haus vorgenommen. Rosa erntet zustimmendes Gelächter für ihren Satz: „Ukrainerinnen arbeiten immer!“

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Svetlana will sich gerne etwas Neues aufbauen. Bis sie grünes Licht bekommt und sich einen Job suchen darf, bemüht sie sich, etwas Abwechslung ins Leben ihrer Tochter zu bringen – und wenn es ein paar Runden mit dem Fahrrad ums Gebäude sind. Olga versucht, sich vertraut zu machen mit ihrer neuen Heimat auf Zeit. Sie möchte so viel wie nur irgend möglich lernen, Erfahrungen sammeln. Schließlich „wissen wir nicht, was die Zukunft bringt“.

Paten gesucht

Die Wohnungssuche ist nicht das einzige Problem, mit dem die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine und unermüdliche Engagierte konfrontiert sind. „Wir brauchen dringend Unterstützung von Paten, die die ukrainischen Flüchtlinge im Alltag begleiten“, sagt Siham Kobrosli, Koordinatorin der ehrenamtlichen Flüchtlingshilfe beim Caritasverband Gladbeck.

Antonia Gemein, Sprecherin der Organisation, erklärt: „Es gibt zum Beispiel viele Termine beim Jobcenter, Sozialamt und anderen Behörden.“ Diese sollten die Flüchtlinge in Begleitung wahrnehmen. Ebenfalls akut gesucht: Übersetzer.

Wer helfen möchte, kann sich an Siham Kobrosli wenden unter 0157 76291861 oder .

Larissa, die Tochter von Rosa, hat ihren „Boyfriend“ in der Ukraine zurückgelassen, den sie sehr vermisst. Aber die beiden „stehen in Kontakt“, fügt die 16-Jährige hinzu. Sie wird demnächst das Berufskolleg in Gladbeck besuchen. Und später möchte Larissa Biotechnologie studieren.

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Rosas Ziel ist klar definiert: Sie zieht’s zurück in die Heimat – und zwar schnell. Da dürfte ihr Olgas Einschätzung aus dem Herzen sprechen: „Ich glaube und denke, dass die Ukraine den Krieg gewinnen wird. Wir werden kämpfen bis zum Ende, das ist unser Land. Ich werde nicht als Russin gehen.“

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