Gladbeck. Das Bündnis für Courage Gladbeck gedenkt am 27. Januar wieder der Befreiung des KZ Auschwitz. Im Mittelpunkt: die 118 Stolpersteine in der Stadt.

Dieses Datum ist ein Fix-Punkt im Kalender des Bündnisses für Courage Gladbeck: der 27. Januar. Es ist der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus’. Unter Corona-Vorzeichen sind Veranstaltungen mit großem Programm, Reden und vielerlei Aktionen passé. Doch Courage lässt den Gedenktag 2022 nicht unbeachtet verstreichen. Die Bündnis-Mitglieder haben sich auch für dieses Jahr Wege einfallen lassen, um die Erinnerung an ein schwarzes Kapitel deutscher Geschichte wach zu halten.

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Der Gedenktag steht in Zusammenhang mit der Befreiung des Konzentrationslager-Komplexes Auschwitz am 27. Januar 1945. Die Rote Armee rettete vor 77 Jahren die Menschen, die dort im letzten Jahr des Zweiten Weltkriegs noch überlebten. Der Name „Auschwitz“ steht heutzutage stellvertretend für die Gräuel des Holocausts.

Die Aufarbeitung Gladbecker Opfer-Biografien soll auch zur Warnung dienen

Hinter den Daten in Geschichtsbüchern stecken Schicksale. Auch in Gladbeck gab es Menschen, die verfolgt, in Vernichtungslager deportiert und ermordet wurden. Diese Opfer will das Bündnis für Courage nicht in der Vergessenheit versinken lassen. Die Aufarbeitung von Biografien soll der Gladbecker Bevölkerung nicht nur Historie vermitteln, sondern auch zur Warnung dienen. Dieses Aufrütteln möchten die Aktiven in der Gruppe möglichst früh ansetzen. Daher involvieren sie junge Menschen von Gladbecker Schulen.

Reile Hildebrandt-Junge-Wentrup, Mitglied des Bündnisses für Courage Gladbeck, freut sich, dass sich Jugendliche weiterführender Schulen gegen Antisemitismus engagieren.
Reile Hildebrandt-Junge-Wentrup, Mitglied des Bündnisses für Courage Gladbeck, freut sich, dass sich Jugendliche weiterführender Schulen gegen Antisemitismus engagieren. © FUNKE Foto Services | Lutz von Staegmann

Jugendliche begaben sich auf die Spuren Verfolgter und Ermordeter, beteiligten sich mit Beiträgen am Auschwitz-Gedenktag. Und so soll es diesmal erneut sein – wenn auch wegen der Corona-Lage in reduzierter Form. Reile Hildebrandt-Junge-Wentrup, Pfarrerin im Ruhestand und Courage-Mitglied, berichtet: „Wir haben uns entschieden, angesichts der unsicheren Pandemie-Situation den Schwerpunkt wieder auf die Stolpersteine zu legen.“

Diese quadratischen, handgefertigten Gedenktafeln werden in das Pflaster auf Gehwegen, meistens vor dem zuletzt freiwillig gewählten Wohnort, eingelassen und sollen an jene Menschen erinnern, die in der Zeit des Nationalsozialismus’ Opfer wurden. Namen, Geburts- und Todesdatum sowie schlagwortartig Leidensgeschichte sind eingemeißelt: „Das sind Menschen, die in dieser Stadt gelebt haben.“ Der Berliner Künstler Gunter Demnig ist der Vater des Projektes, das in Deutschland im Jahr 1992 seinen Anfang nahm. Inzwischen erinnern in fast 30 Ländern europaweit diese kleinen Messingtafeln an die Opfer – das größte dezentrale Mahnmal der Welt. Courage-Mitglied Reile Hildebrandt-Junge-Wentrup weiß: „Allein in Nordrhein-Westfalen wurden knapp 15.000 Exemplare verlegt.“ Darunter befinden sich 118 Plaketten an 33 Standorten im Gladbecker Asphalt – einige hat Demnig eigenhändig verlegt.

Eine Installation in den Gladbecker Rathaus-Arkaden erinnert an Euthanasie-Opfer während des Nationalsozialismus’.
Eine Installation in den Gladbecker Rathaus-Arkaden erinnert an Euthanasie-Opfer während des Nationalsozialismus’. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

„Sie sollen alle an dem Gedenktag gereinigt werden“, so der Beschluss des Bündnisses für Courage. Die stadtweite Aktion, die um 11 Uhr beginnt, steht unter dem Motto „Erinnern – Innehalten – Mahnen: Alleine – zu zweit und doch gemeinsam“. Zum Lappen greifen dann auch etwa 60 Jugendliche. Hildebrandt-Junge-Wentrup zählt auf: „Mit dabei sind das Heisenberg- und Riesener-Gymnasium sowie das Ratsgymnasium, die Anne-Frank-Realschule, die Waldorfschule und die Erich-Fried-Schule.“ Für zwei dieser Lehrstätten ist der Name fast schon Verpflichtung. Mit Anne Frank und Erich Fried ist namentlich ein Bezug zum Thema Antisemitismus geschaffen, wurden beide doch in jüdische Familien hineingeboren. Die Autorin des weltberühmten Tagebuchs starb im Konzentrationslager, der Vater des Lyrikers an den Folgen der Folter bei einem Verhör durch die Gestapo.

Bündnis für Courage

Das Bündnis für Courage wurde im Juli 2007 gegründet. Dies geschah keineswegs aus dem Nichts, sondern hatte einen konkreten Anlass. In Gladbeck kursierten Flugblätter mit rechtsextremen Inhalt, wurden Graffiti mit Nazi-Symbolen und -Parolen gesprüht.

Mitglieder von Parteien, Kirche, Gewerkschaften und Einzelpersonen, zum Beispiel Geschichtsinteressierte, kamen zusammen, um sich gegen diese Entwicklung zu engagierten. Das Thema „Rechtsextremismus“ steht weiter oben auf der Agenda des Bündnisses für Courage. Dabei handelt es sich nicht um einen Verein mit einem Vorstand. Vielmehr können sich alle Interessierte einbringen. Reile Hildebrandt-Junge-Wentrup: „Im Kern sind wir etwa ein Dutzend Aktive.“

„Aber auch Einzelpersonen wollen mitmachen“, kündigt die Mitinitiatorin an, beispielsweise Vertreter von Parteien. Mit zum Erinnerungsritual gehört es, weiße Rosen auf die Stolpersteine zu legen. Waren in den Vorjahren Nachkommen wie Chaja Kaufmann, die in den Niederlanden lebt, eingeladen, sind solche Besuche aus Pandemiegründen nicht realisierbar. Doch andere Beiträge bleiben möglich. Hildebrandt-Junge-Wentrup hat Nachforschungen zur Familie Perl und Margot Philipps, geb. Perl, unternommen, die in Riga und Litzmannstadt /Lodz ermordet wurden. An sie erinnern Stolpersteine vor der Horster Straße 3. Das Courage-Mitglied überlegt, einige Passagen am Gedenktag vorzutragen.

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Reile Hildebrandt-Junge-Wentrup: „Wir haben die Schulen gebeten, dreimal im Jahr – am 27. Januar, am 5. Mai – dem Gedenktag gegen Gewalt und Rassismus – und am 9. November, dem Schicksalstag der Deutschen, zu reinigen.“ Courage-Mitglied Peter Jarosch hatte bisher die Plaketten gepflegt, kann dies jedoch aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr leisten. Daher die Bitte des Bündnisses um Unterstützung: Wer in der Zeit zwischen den genannten Daten die Tafeln polieren möchte, kann sich unter 02043/22277 bei Reile Hildebrandt-Junge-Wentrup melden.

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