Gadi und Ania Nevo sind aus dem israelischen Haifa nach Gladbeck gereist. Hier wollen sie mehr über die Mutter Ruth Nevo erfahren, die als jüdisches Mädchen während der NS-Zeit aus ihrer Heimat flüchten musste. Gladbecker Recherchen können den Gästen wertvolle Informationen liefern.

Gadi Nevo wiegt sacht den Kopf: Nein, über ihre Vergangenheit habe seine Mutter nie gesprochen, sagt er. „Very rough years“ habe sie erlebt, darüber wollte sie nicht reden. Da musste der Sohn andere Quellen erschließen, um etwas über die Lebensgeschichte seiner Mutter Ruth zu erfahren. Die Jüdin lebte als Mädchen in Gladbeck und flüchtete vor den Nazis. Eine der Quellen, aus denen Gadi Nevo Auskünfte zur Biografie seine Mutter schöpft, liegt in Gladbeck, dem Ort ihrer Kindheit. Dorthin führte ihn und seine Frau Ania jetzt die Spurensuche.

„Warmherzige Frau“

Zu Menschen, die sich mit dem Schicksal von Ruth Nevo und anderen jüdischen Mitbürgern während der NS-Zeit beschäftigt haben. Wie Rainer Weichelt, Erster Beiordneter der Stadt und einstiger Leiter des Stadtarchivs. Oder Helmut Wolz, der früher das Bürgermeister-Büro leitete. Beide Herren haben Ruth Nevo persönlich kennen gelernt. „Ich habe sie als sehr kluge und warmherzige Frau empfunden“, sagt Weichelt.

Bei Beerentorte und Kaffee – Gadi Nevo: „I like german coffee“ – sitzen die Gäste aus Israel im Rathaus zusammen mit Gladbeckern, die versucht haben, ein dunkles Kapitel deutscher Geschichte lokal zu beleuchten. Für knapp zwei Tage ist das Ehepaar dafür in die frühere Heimat der Mutter gereist. „Did you find other families?“, will Ania Nevo wissen. Die Antwort: Ja, über jüdische Mitbürger während der Nazi-Zeit haben Gladbecker recherchiert und tun es immer noch.

Patenschaft für Stolpersteine

Darunter auch viele junge Leute, zum Beispiel Schüler von Dr. Carmen Giese, die am Heisenberg-Gymnasium Geschichte unterrichtet. Die Schule hat die Patenschaft über fünf Stolpersteine für die jüdische Familie Haber übernommen, in die am 22. März 1922 Nevos Mutter Ruth hineingeboren wurde. Und mehr noch: Gymnasiasten haben intensiv zur Geschichte jener Zeit recherchiert. Vor dem Gebäude Rentforter Straße 7 sind die Erinnerungssteine ins Pflaster eingelassen. Dort betrieb die Familie ein Möbelgeschäft, dorthin führt auch der Weg von Gadi und Ania Nevo.

Die Mutter, die auf ihrer Flucht eine Odyssee erlebte, bevor sie schließlich nach Israel kam, ist vor zwei Jahren gestorben. Gadi und Ania Nevo sagen: Für sie als Nachkommen sei es sehr wichtig, Informationen über Ruth zu bekommen. Über die Frau, die Tulpen liebte, aber nicht Deutschland – obwohl sie in vielerlei Hinsicht „typisch deutsch“ gewesen sei: im Verhalten, bei ihren Essgewohnheiten und in „ihrer Eleganz“. Die Nevos sind den Gladbeckern dankbar, die ihnen helfen, Wissenslücken in der Biografie der Mutter zu füllen: „Thats’ something special“.

Schicksale erforschen 

Die Stolperstein-Aktion stößt nicht immer auf Gegenliebe, sondern eckt auch an. Schließlich können Passanten auf die Erinnerungen im Pflaster treten, die Plaketten werden verschmutzt. Wie umstritten Stolpersteine bisweilen sind, erläuterte Bürgermeister Ulrich Roland den Gästen aus Haifa. Doch er hob auch hervor, dass das Engagement in Gladbeck über die Verlegung der Steine hinausgehe: „Die Philosophie ist, dass Jugendliche Schicksale erforschen.“ Deswegen seien junge Gladbecker „weitreichend“ über das Thema informiert.

Lehrerin Dr. Carmen Giese vom Heisenberg-Gymnasium und Pfarrerin Reile Hildebrandt-Junge-Wentrup haben die Erfahrung gemacht, dass die Schüler „insbesondere bei der Verlegung der Stolpersteine emotional sehr bewegt“ seien. Im Jahre 2010 wurden die Steine für die Familie Haber, der auch Ruth Nevo angehörte, verlegt.

Heisenberg-Schüler haben über ihre Recherche-Ergebnisse – Leben in Gladbeck, Flucht, Schicksal – einen Bericht verfasst, der dem Ehepaar aus Israel wertvolle Informationen über Ruth Nevo gibt. Ania Nevo bat eindringlich darum, mit der Verlegung der Stolpersteine fortzufahren: „Ich denke, das ist sehr wichtig.“ Berge diese Aktion doch die Chance, dass jemand einen dieser Steine beachte und nachfrage, was es damit auf sich habe. Und vielleicht folgt dann die Beschäftigung mit diesem Teil deutscher Geschichte.