Bochum. Schnell und zum Teil unbürokratisch ist die Flüchtlingshilfe in Bochum vor fünf Jahren angelaufen. Dabei sind auch einige Fehler passiert.

Kein anderes Thema hat in Bochum in der jüngeren Vergangenheit so polarisiert wie die Aufnahme und Betreuung von Flüchtlingen.

Großer Konsens in der Stadtgesellschaft herrschte zwar darüber, dass Bochum helfen will und muss; die vielen ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer sind dafür ein beredter Beweis. Aber über viele Details wie die Art und Lage von Unterkünften, die Sicherheit und Versorgung, die organisatorische Verantwortung für Flüchtlingseinrichtungen, die Vergabe von Leistungen und nicht zuletzt über die Kosten hat es zum Teil heftige Auseinandersetzungen geben.

Containeranlage sollte auf Friedhofsgelände stehen

Gerecht verteilt werden über das gesamte Stadtgebiet sollten die Containerdörfer und Leichtbauhallen. Doch gleich zu Beginn des Auswahlverfahrens potenzieller Standorte unterlief Verwaltung und Politik im Sommer 2015 ein grober Schnitzer, der Bochum unfreiwillig bundesweit in die Schlagzeilen brachte. Da sollte doch tatsächlich eine Wohncontaineranlage für bis zu 100 Menschen auf dem Gelände des städtischen Friedhofs in Weitmar gebaut werden. Am Ende kam es nicht dazu.

Dutzende von Standorten waren zwischenzeitlich im Gespräch, der Bedarf an Plätzen wuchs von Monat zu Monat. Anfang 2016 wurden zwölf neue Einrichtungen mit 2200 Plätzen bis Ende des Jahres angekündigt. Und nicht alle waren einverstanden mit den ausgesuchten Plätzen und angekündigten Größen der Einrichtungen. So gab es dazu am Rosenberg im Bochumer Nordosten bei einer Informationsveranstaltung eine kontroverse, bisweilen hitzige Debatte.

1000 Flüchtlinge in 21 Turnhallen untergebracht

In Windeseile wurden 2015 und 2016 neue Flüchtlingseinrichtungen geschaffen, so wie diese am Nordbad für 450 Menschen.
In Windeseile wurden 2015 und 2016 neue Flüchtlingseinrichtungen geschaffen, so wie diese am Nordbad für 450 Menschen. © FUNKE Foto Services | Dietmar Wäsche

Etwa 1000 Flüchtlinge waren damals noch in einer von insgesamt 21 städtischen Turnhallen untergebracht. Die Haltung der Verwaltung damals wie heute: Am besten seien Flüchtlinge auf Dauer in Wohnungen aufgehoben. Dort gebe es gute Voraussetzungen zur gewünschten Integration. Zu besseren Versorgung und Erstunterbringung müssten aber Sammelunterkünfte geschaffen werden. Aus Sicht von Sozialdezernentin Britta Anger war das der richtige Weg. Die größte Leistung Bochums in der Flüchtlingskrise ist aus ihrer Sicht, „dass niemand auf der Straße schlafen musste“.

Konflikte gab es dennoch. Frustrierte Flüchtlinge protestierten und gingen gar in den Hungerstreik, um auf ihre ungeklärte Lage aufmerksam zu machen und endlich die Notunterkünfte in den Turnhallen verlassen zu können. Und es rückten die Kosten in den Fokus. So zweifelte Christian Haardt, Fraktionsvorsitzender der CDU im Rat, die vom damaligen Kämmerer Manfred Busch allein für 2016 kalkulierten Kosten von 100 Millionen Euro für die Unterbringung von Flüchtlingen an.

Unterbringung in Wohnungen am günstigsten

Einer nicht-öffentlichen Verwaltungsmitteilung, die der WAZ vorliegt, ist zu entnehmen, dass die monatlichen Unterbringungskosten zwischen knapp 125 Euro (Übergangsheim) und 1050 Euro (Turnhalle) betrugen. „Am günstigsten ist die Unterbringung in Wohnungen“, ließ Sozialdezernentin Anger damals wissen. Denn: Dort fallen keine Kosten für Sicherheitsleistungen und Verpflegung an.

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Genau diese Themen rückten in dieser Zeit in den Mittelpunkt. Mitte 2016 häuften sich die Beschwerden von Mitarbeitern mehrerer Sicherheitsdienstfirmen, sie würden nur schleppend oder gar nicht mehr bezahlt und hätten im übrigen nicht einmal einen Arbeitsvertrag. Der Vorwurf an die Stadt, die allein in 2016 mit Security-Kosten in Höhe von 9,3 Millionen Euro rechnete: Sie kontrolliere nicht genügend, so die Gewerkschaft Verdi. Tatsächlich räumte die Sozialdezernentin damals ein: „Wir bedauern sehr, dass wir mit einem Sicherheitsunternehmen zusammenarbeiten, dass unsere Sicherheitsstandards nicht einhält.“ Als Fehler sollte sich erweisen, dass der Einsatz von Subunternehmen nicht vertraglich ausgeschlossen wurde.

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Von Kristina Gerstenmaier und Andreas Rorowski

Fehler bei Zusammenarbeit mit Security-Firma

Alfons Jost, damals Leiter des Rechnungsprüfungsamts, kritisierte im September 2016, der Austausch von Sozialverwaltung und der Stabsstelle für Flüchtlinge sei nicht ausreichend gewesen. Für die Fraktion der Linken verwies Horst Hohmeier auf weitere offene Fragen, so etwa: Wie konnte eine Ausschreibung, deren Höhe mit 190.000 Euro knapp unter der Grenze für eine europaweite Ausschreibung blieb, binnen weniger Monate zu Leistungen für 4,8 Millionen Euro wachsen? Am Ende räumte die Sozialdezernentin ein, die Verlängerung des Vertrags mit einer Kölner Sicherheitsfirma sei falsch gewesen.

Geflüchtete, hauptamtliche und ehrenamtliche Betreuer kamen Ende Februar noch einmal an der Girondelle 6 zusammen. Danach übernahm European Homecare dort die Flüchtlingsarbeit.
Geflüchtete, hauptamtliche und ehrenamtliche Betreuer kamen Ende Februar noch einmal an der Girondelle 6 zusammen. Danach übernahm European Homecare dort die Flüchtlingsarbeit. © FUNKE Foto Services | Bastian Haumann

Besser machen wollte es die Verwaltung dann bei der Betreuung von Flüchtlingen. Auch die freihändige Vergabe der Leitung von Unterkünften an diverse Wohlfahrtsorganisationen hatte den Rechnungsprüfungsausschuss auf den Plan gerufen. Ein Manko: „Es gab früher in der Verwaltung gar keine eigene Vergabestelle“, so Britta Anger. „Erst einmal alles rechtssicher aufzuschreiben, dafür hatten wir nicht die Mitarbeiter und auch nicht die Erfahrung.“

Aber auch die Vergabe birgt Tücken. So beklagten Caritas und Diakonie, evangelische Kirche und ehrenamtliche Helfer, dass 2020 erstmals ein privates Unternehmen mit der Betreuung von Flüchtlingen betraut wurde. Vom 1. März an ist die European Homecare GmbH aus Essen an der Girondelle 6 Anlaufstation für Geflüchtete. Das Argument der Kritiker: Integration sei vor allem Beziehungsarbeit. Und die werde durch den Betreiberwechsel nachhaltig gestört.

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Vergabe an Privatfirma in der Kritik

Grüne und Linken übten Schelte, die AG Wohlfahrtspflege regte an, weitere Ausschreibungskriterien einzuführen. Denn: „Soziale Dienstleistungen – der Dienst am Menschen in Finanzierung durch kommunale Mittel – sollte nur an gemeinnützige Träger vergeben werden. Eine Gewinnorientierung zu Lasten der betroffenen Mitarbeitenden widerspricht den Grundsätzen einer sozialen Stadt.“ Die Fakten indes sehen anders aus. „Wir hatten gar keine andere Wahl“, sagt die Sozialdezernentin. Netzwerkarbeit im Stadtteil könne kein Kriterium im Vergabeverfahren sein, „weil man dann einen Wettbewerbsvorteil von vornherein in die Ausschreibung schreiben würde,die sofort rechtlich angreifbar wäre“.

Ihre Bilanz nach fünf Jahren: „Ich würde nach wie vor sagen, dass die Mitarbeiter des Sozialamts Unglaubliches geleistet haben – ohne viel zu fragen und zunächst ohne viel Unterstützung aus anderen Ämtern.“ Der größte Fehler, „dass wir damals kein kommunales Krisenmanagement hatten“, sei mittlerweile korrigiert.

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