Bochum. Die Freien Wohlfahrtsverbände sollen künftig die Flüchtlingseinrichtungen betreuen. Stadtdirektor Michael Townsend spricht von Stimmungswandel.

Neu organisiert wird die Betreuung von Flüchtlingen. Alle großen Einrichtungen sollen in Zukunft im Auftrag der Stadt von freien Wohlfahrtsorganisationen wie Ifak, Caritas, Awo und anderen betrieben werden, die zum Teil jetzt schon damit beschäftigt sind. Stadt und Verbände führen dazu bereits Gespräche. Sollten die Kapazitäten der Verbände nicht ausreichen, könnten auch private Organisationen ins Spiel kommen.

Aufgaben verteilen

Es gehe dabei darum, so Sozialdezernentin Britta Anger, die Aufgaben auf mehrere Schultern zu verteilen. Die 20 hauptamtlichen Beschäftigten der Sozialverwaltung, die bislang mit der Flüchtlingsbetreuung beschäftigt sind, sollen künftig in den Bezirken als Bindeglied zwischen Stadt und Wohlfahrtsverbänden fungieren. Dabei gehe es unter anderem darum, darauf zu achten, dass die Standards der Betreuung eingehalten werden.

Nötig geworden ist die Umstrukturierung offenbar vor allem durch die enorme Belastung der hauptamtlichen Kräfte. In einer Mitteilung an den Rat heißt es dazu: „Die psychischen und physischen Belastungen der Mitarbeiter befinden sich seit Monaten auf sehr hohem Niveau. Der Krankenstand ist entsprechend.“ Die Kosten für die Betreuung werden sich nach Einschätzung von Anger durch die neue Struktur kaum verändern.

Steigender Druck

Neben den hauptamtlichen Kräften kümmern sich momentan etwa 1600 Bochumerinnen und Bochumer ehrenamtlich um Flüchtlinge. Derzeit bitten 5350 Frauen, Männer und Kinder um Aufnahme, jede Woche kommen 150 hinzu. Und das, so Stadtdirektor Michael Townsend, könnte die Stadt auf Dauer vor nicht lösbare Probleme stellen. „Bleiben die Zuweisungen so wie bis jetzt und bekommen wir in diesem Jahr 5000 bis 8000 zusätzliche Flüchtlinge, dann ist das nicht mehr zu stemmen. Der Druck im Kessel steigt an allen Stellen.“

Voraussichtlich nur noch eine Erstaufnahmestelle

In 261 Einrichtungen, angefangen von Wohnungen und Heimen über Container und Leichtbauanlagen bis hin zu Turnhallen, sind die Flüchtlinge in Bochum untergebracht.

Von den Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes in der Stadt wird wohl nur diejenige an der Unterstraße in Langendreer ihren Status behalten. Die beiden anderen, kleineren Einrichtungen an der Lewacker Straße und am Harpener Feld wird voraussichtlich die Stadt übernehmen und dort die ihr zugewiesenen Asylbewerber unterbringen.

Ebenso wie vor Wochen Kämmerer Dr. Manfred Busch (Grüne) gegenüber der WAZ geäußert hat, spricht Townsend im Zusammenhang mit den derzeit 1000 geduldeten Flüchtlingen von „einer aus finanzieller Sicht tickenden Zeitbombe“, da allein die Kommune für sie aufkommen müsse.

Aber selbst die seit Anfang 2016 geltende Unterstützung von Bund und Land in Höhe von 10.000 Euro pro Flüchtling reichten nicht aus, um die Kosten zu decken. Allein Unterbringung und Versorgung machten jährlich nach Einschätzung der Kommune pro Kopf 14.000 bis 18.000 Euro aus. „Und dabei ist die Integrationsleistung noch nicht eingeschlossen“, so Sozialdezernentin Anger.

Stimmung wird schwieriger 

Sozialdezernentin Britta Anger hält es zwar für möglich, dass Bochum 10.000 Flüchtlinge integrieren kann. Doch das müsse finanziert werden. Momentan, so Stadtdirektor Michael Townsend, droht die Stadt in den nächsten Jahren einen dreistelligen Millionenbetrag allein schultern zu müssen: „Wenn wir uns schon um die Aufnahme der Menschen kümmern, sie versorgen, sie integrieren und Diskussionen vor Ort führen, dann dürfen wir nicht auf den Kosten sitzen bleiben.“ Zumal trotz der nach wie vor großen Unterstützung in der Flüchtlingsarbeit die Stimmung schwieriger geworden sei. Townsend: „Es ist nicht mehr politisch unkorrekt, Dinge zu sagen, die noch vor Wochen so nicht gesagt worden wären.“

Bürgermeister stellen Modelle vor

Auch das dürfte heute im Ruhrcongress ein Thema sein. Dort kommen 200 Vertreter aus der ganzen Republik zur Fachkonferenz „Integration von Flüchtlingen - Herausforderungen und Perspektiven in den Städten“ zusammen. Vorgestellt werden unterschiedliche Konzepte aus den Städten und mögliche Handlungsoptionen. Auch Bochumer Modelle werden präsentiert. So spricht Martina Fischer, Geschäftsführerin des Jobcenter Bochum, über das Arbeitsmarkt- und Integrationsprogramm ihres Hauses. Heinrich Donner und Marc Gräf, die Bürgermeister aus den Bezirken Nord und Südwest, berichten über die Koordination von ehrenamtlichem Engagement in ihren Stadtteilen.

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Die Verwaltung ist derweil weiter auf der Suche nach neuen Unterbringungsmöglichkeiten. „2200 weitere Plätze bis zum Sommer sind bereits konkret geplant“, so Sozialdezernentin Anger. Sie ist ganz besonders froh darüber, dass in dem nun angemieteten ehemaligen Akafö-Studentenwohnheim an der Girondelle 6 in Wiemelhausen ausschließlich 180 Frauen und Kinder untergebracht werden können.

Suche nach Wohnraum geht weiter

Aber es wird noch mehr Platz benötigt. Und mittlerweile, so der Stadtdirektor, wird nicht mehr nach Einheiten für bis zu 80, sondern für bis zu 800 Bewohner gesucht. Nur so sei die Betreuung noch möglich, da der Zustrom von zunächst 20 Flüchtlingen pro Woche Anfang 2015 über 50 (Mitte 2015) auf nunmehr 150 Menschen, die momentan Woche für Woche neu in die Stadt kommen, gestiegen sei. Bei der Suche nach Wohnungen plant die Stadt eine gemeinsame Plattform mit dem zum Teil städtischen Wohnungsunternehmen VBW. Anbieter können auch im Internet Objekte vorstellen (wohnungen-fuer-fluechtlinge@bochum.de).

Angelaufen ist die Ausstattung sämtlicher Flüchtlinge mit einer Gesundheitskarte. Bis Ende Februar sollen alle damit ausgestattet sein.