Bochum. Nicht-öffentliche Vorlage offenbart: Kosten für Caterer und für Sicherheitsdienste in Bochum sind immens. Für 2016 sind 100 Millionen Euro kalkuliert.
Nach intensiven Debatten über die Standorte von Flüchtlingsunterkünften rücken nun die Kosten in den Blickpunkt. So zweifelt Christian Haardt, Fraktionsvorsitzender der CDU im Rat, die von Kämmerer Manfred Busch (Grüne) für 2016 kalkulierten Kosten von 100 Millionen Euro für die Unterbringung von Flüchtlingen in Bochum an.
CDU meldet Zweifel an
Bei derzeit knapp 5000 Flüchtlingen in städtischen Einrichtungen würde das einen Betrag von 20 000 Euro pro Flüchtling und Jahr bedeuten – ein beim Vergleich „in der kommunalen Familie“ außergewöhnlich hoher Betrag, so Ratsherr Christian Haardt. Üblich sei ein Wert bis zu 15 000 Euro. „Aus unserer Sicht ist es daher notwendig, genau auf die Details zu gucken und sich ernsthaft die Frage zu stellen, ob irgendetwas in Bochum nicht vernünftig aufgestellt ist“, betont Haardt.
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Die Erklärung zu dessen Anmerkung im Haupt- und Finanzausschuss folgte prompt: Die 100 Millionen Euro seien Kosten für die Unterbringung von 7500 Flüchtlingen, mit denen noch Anfang 2016 zu rechnen war und für die Unterkünfte bereit gestellt werden. Pro Kopf würde dies zu Kosten von 13 333 Euro pro Jahr und Flüchtling führen und damit im üblichen Rahmen liegen. „Wir liegen im Durchschnitt und haben keine Sonderstellung“, so Kämmerer Busch.
Das gilt zumindest für die Kalkulation. Durchschnittlich 14 500 Euro setzt Bochum pro Jahr und Flüchtling an. Der größte Kostenfaktor ist die Unterkunft, wobei es erhebliche Differenzen gibt. Einer nicht-öffentlichen Verwaltungsmitteilung, die der WAZ vorliegt, ist zu entnehmen, dass die Unterbringungskosten zwischen knapp 125 Euro im Monat (Übergangsheim) und 1050 Euro (Turnhalle) liegen.
Am günstigsten sind Wohnungen
„Am günstigsten ist die Unterbringung in Wohnungen“, sagt Sozialdezernentin Britta Anger (Grüne). Denn: Dort fallen keine Kosten für Sicherheitsleistungen und Verpflegung an. Und die sind beträchtlich, wie die Verwaltungsmitteilung belegt. 380 000 Euro für Sicherheitsdienste fielen allein im Januar für alle als Notunterkünfte hergerichteten Turnhallen an. Die Verpflegung schlug mit knapp 769 000 Euro für 1300 Leute zu Buche. Auch deshalb ist die Stadt bestrebt, so viele Flüchtlinge wie möglich dort unterzubringen, wo sie selbst für ihre Verpflegung sorgen können. 1800 Personen leben bereits in Wohnungen und liegen damit deutlich unter dem kalkulierten Durchschnitt für die Unterbringung. Und da auch von den Anfang 2016 kalkulierten 7500 Flüchtlingen 2500 noch gar nicht da sind, fallen etliche Kosten gar nicht an. Daher sagt auch die Sozialdezernentin: „Auf gar keinen Fall werden wir die 100 Millionen Euro erreichen.“
Weitere Unterkünfte in der Hinterhand
Das Dilemma aus dem Herbst, als plötzlich jede Woche 150 Flüchtlinge nach Bochum kamen und am Ende mehr als 1300 Menschen in notdürftig umgerüsteten Turnhallen lebten, soll sich nicht wiederholen. Deshalb werden bis Ende 2016 die Kapazitäten auf 6000 Plätze in Wohnungen, mobilen Wohnanlagen und Leichtbauhallen erhöht und dafür die besonders teuren Unterbringungen in Turnhallen, Hotels oder Ferienwohnungen beendet.
Notunterkünfte mit 450 Plätzen
Einige andere, bereits beschlossene Unterkünfte wie etwa an der Lewacker Straße werden planerisch vorbereitet, aber noch nicht errichtet. Das schaffe die Möglichkeit, so Sozialdezernentin Britta Anger (Grüne), nicht zu hohe Überkapazitäten aufzubauen, sollten auf absehbare Zeit keine weiteren oder weniger Flüchtlinge kommen als Anfang 2016 kalkuliert, aber immer noch schnell genug auf neuerliche Zuweisungen reagieren zu können. Als Notunterkünfte sollen weiterhin die Turnhalle Querenburger Straße, die als mögliche Registrierungsstelle vorgesehene Ausstellungshalle am Harpener Feld und die Lewacker Schule mit einer Gesamtkapazität von etwa 450 Plätzen dienen.
Wie problematisch es ist, unvorbereitet Entscheidungen treffen zu müssen, zeigen offenbar die Leichtbauhallen. Bei ihnen habe sich gezeigt, dass sie weniger komfortabel seien als zunächst angenommen, so Anger. Es gebe zwar abgetrennte Bereiche, die Geräuschkulisse sei aber dennoch groß. Gleichwohl sind die Kosten pro Person und Monat ohne Verpflegung mit 1019 Euro vergleichsweise hoch, mit dem Catering liegen sie sogar bei 1238 Euro. Aber Anfang 2016 habe es keine andere Alternative gegeben, für die Anschaffung von mobilen Wohnanlagen etwa habe es Wartezeiten von mindestens einem halben Jahr gegeben. „Wenn wir mehr Zeit und Auswahl gehabt hätten, wäre die Entscheidung anders ausgefallen. Das war der Not geschuldet“, sagt die Sozialdezernentin.
Etwa 1200 Plätze in Leichtbauhallen gibt es an der Alten Wittener Straße, der Kollegstraße und „Auf dem Esch“. Etwa 1500 Plätze in Containern, den mobilen Wohnanlagen, soll es bis Ende des Jahres geben. Die Kosten dort für einen Platz liegen mit 713 Euro deutlich unter denen in den Leichtbauhallen.
Bochum will Zusammenarbeit mit Wohnungsgesellschaften intensivieren
Weiter intensivieren will die Stadt die Zusammenarbeit mit Wohnungsgesellschaften, um individuellen und auch günstigeren Wohnraum für Flüchtlinge zu schaffen. Bis Ende 2015 hatten VBW und Vonovia insgesamt 128 Wohnungen für Flüchtlinge zur Verfügung gestellt, in denen 515 Personen untergebracht waren. Weitere Gesellschaften wie Vivawest und BWAG, so heißt es im Jahresbericht der Zentralen Dienste, hätten ebenfalls Interesse an einer Kooperation mit der Stadt signalisiert.
Allerdings können die Kosten für Wohnungen stark variieren. In Anfang des Jahres von der Stadt angemieteten Objekten im Marienstift und am Harpener Hellweg liegen die Unterkunftskosten pro Person zwischen 232,27 und 308,22 Euro.
Kosten verursachen aber nicht nur Unterkunft, Sicherheit und Verpflegung. Auch die Aufgaben der Sozialen Dienste, deren Personal aufgestockt wurde, kommen noch hinzu. Und spätestens im nächsten Jahr wird ein weiteres Thema die Debatte um Kosten anheizen: die Integrationsleistungen.
Hilfe von Bund und Land reicht nicht - Ein Kommentar von Andreas Rorowski
Abgerechnet wird am Schluss. Ob es 100 Millionen Euro sein werden, so wie der Kämmerer momentan veranschlagt, die Bochum in diesem Jahr für die Unterbringung von Flüchtlingen aufbringen muss, oder ob es „nur“ 90 oder 85 Millionen sein werden, lässt sich erst in einigen Monaten sagen. In jedem Fall wird ein Großteil an der Stadt selbst hängen bleiben, Bund und Land erstatten Stand jetzt nur 42 Millionen Euro. Verständlich, dass Verwaltung und Politik mehr Hilfe aus Berlin und Düsseldorf fordern.
Dabei kann Bochum noch von Glück sagen, dass es wegen der am Gersteinring geplanten Landeseinrichtung LEA 1000 Plätze angerechnet bekommt. Die Rechnung sähe sonst noch ganz anders aus.
Und angesichts der immensen Summen, um die es geht, bekommt die ehrenamtliche Arbeit hunderter Helfer ein noch größeres Gewicht. Müssten ihre Leistungen auch noch in Euro und Cent beglichen werden, wäre die finanzielle Belastung schwerlich zu schultern. Ganz zu schweigen davon, dass es kaum noch Personal gibt, das diese Aufgaben erledigen könnte