Essen. Kinder und Jugendliche leiden noch immer an den Folgen von Homeschooling & Co. Die Corona-Folgen sind auch ein Problem für NRW-Schulen.

Am 16. März 2020 änderte sich das Leben vieler Kinder und Jugendlichen in Nordrhein-Westfalen schlagartig. Zwei Wochen nachdem der erste Corona-Fall im Ruhrgebiet gemeldet wurde, wurden alle weiterführenden Schulen, Grundschulen und Kitas geschlossen. Homeschooling statt Präsenzunterricht, TikTok statt Partys, einsam im Kinderzimmer statt zusammen auf dem Spielplatz: All das wurde mit dem Ausbruch der Pandemie vor fünf Jahren Realität – und beeinflusst die Kinder und Jugendlichen noch heute.

Wie hat die Pandemie Kinder und Jugendliche geprägt?

„Niemand hatte mehr Einbußen als die junge Generation“, sagt Hanna Küsters. Sie leitet das Jugendpsychologische Institut in Essen. Zwei Altersgruppen hatten es laut Expertin besonders schwer. Zum einen die damals Jugendlichen, die gezwungenermaßen zuhause blieben und sich nicht von ihren Eltern abgrenzen und neue Erfahrungen sammeln konnten. „Vieles, was zur Pubertät dazugehört, konnten sie nicht erleben. Diese Prozesse, die zum Erwachsenwerden und der Persönlichkeitsentwicklung dazu gehören, lassen sich kaum aufholen“, so die Psychologin.

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Zum anderen sind noch heute die jüngeren Kinder besonders betroffen, die wegen der vielen Schließungen kaum Erfahrungen in der Kita sammeln konnten und jetzt in der Schule vor Herausforderungen stehen. Denn sie hatten oft nur wenig Kontakt zu Gleichaltrigen und damit zum Beispiel selten die Gelegenheit zu lernen, wie es ist, sich in einer Gruppe zurechtzufinden.

Welche Folgen hat das bis heute?

Etliche. Die Copsy-Studie (Corona und Psyche) der Uni Hamburg hat gezeigt, dass die Schulschließungen zu einer deutlichen Verschlechterung der psychischen Gesundheit von Jugendlichen geführt haben. Eine Untersuchung des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) belegt, dass sich durch Corona mentale Gesundheit, körperliche Aktivität und das allgemeine Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen verschlechtert haben. Gleichzeitig habe sich die Wartezeit auf einen Platz in der Psychotherapie verdoppelt.

„Wir haben auch jetzt noch deutlich mehr Anfragen als vor der Pandemie“, bestätigt Marion Kolb. Sie leitet die Tagesklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Gelsenkirchen. Dort werden Betroffene ab fünf Jahren behandelt, oft mit Angststörungen oder Depressionen. „Wir haben seit der Pandemie mehr Kinder und Jugendliche, die wir mit akuter Symptomatik in die Akutpsychiatrie verlegen müssen, weil sie zum Beispiel suizidgefährdet sind.“

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Eine weitere große Herausforderung sei, dass viele Kinder und Jugendliche unter Schulangst leiden. „Wir haben fast doppelt so viele Fälle von Schulvermeidern. Viele Betroffene kommen erst jetzt zu uns“, erzählt Kolb. Ein typisches Beispiel: Ein eher schüchterner und introvertierter Junge zog sich durchs Homeschooling immer weiter zurück, hatte kaum noch persönlichen Kontakt zu Freunden. Als der Unterricht wieder vor Ort stattfinden konnte, hatte er Angst, sich zu beteiligen und mit seinen Mitschülern zu sprechen. Er ging immer unregelmäßiger zur Schule, bis er sie irgendwann vollständig mied.

„Um den Patientinnen und Patienten die Angst zu nehmen und sie langsam wieder an den Schulalltag zu gewöhnen“, sagt Kolb, „gibt es hier an der Klinik eine eigene Schule und eine therapeutisch begleitete Rückführung. Aber es ist ein langer Prozess.“

Fachärztin Marion Kolb.

„Wir haben auch jetzt noch deutlich mehr Anfragen als vor der Pandemie.“

Marion Kolb

Wie gehen die Schulen damit um?

Dass sich die Pandemie-Folgen noch heute deutlich auf den Schulalltag auswirken, berichten mehrere Lehrerinnen und Lehrer dieser Redaktion. In der Grundschule fehlt es den Kindern, die nicht regelmäßig in die Kita konnten, an Basis-Kompetenzen. Sie können einen Stift nicht richtig halten, nicht mit der Schere umgehen.

Vor allem aber haben sie Schwierigkeiten, sich von ihren Eltern zu lösen und sich in einer neuen Gruppe zurechtzufinden. „Man könnte jetzt sagen, dass sich die Kinder generell in ihrer Entwicklung verändert haben“, sagt eine Grundschulleiterin. „Das stimmt sicherlich auch. Aber wir sehen, dass die Folgejahrgänge ganz anders miteinander agieren können. Da merkt man im Vergleich die Folgen der Pandemie noch sehr deutlich.“

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Lehrkräfte an weiterführenden Schulen erzählen, dass es öfter zu Konflikten kommt, sich die Schüler schlechter konzentrieren können und inhaltlich viel Stoff nachholen müssen. Dabei, sagt ein Gymnasiallehrer, werden allerdings erhebliche Unterschiede deutlich: „Die Schere zwischen denen, die gut mitgekommen sind und denen, die abgehängt worden, ist groß.“ Und das hing vor allem davon ab, wie gut sich die Eltern während der Pandemie um ihren Nachwuchs kümmern konnten. Um den Schülerinnen und Schülern jetzt gerecht zu werden, fordern Lehrkräfte vor allem kleinere Klassen und mehr Unterstützung durch Schulpsychologen.

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