Essen. Petra Ottersbach startete vor 41 Jahren in ihren Beruf – und blieb ihm treu. Und wenn sie heute 20 wäre: Sie würde wieder Pflegerin werden.

„40 Jahre“, fragt der Fotograf erstaunt, „so lange schon arbeiten Sie in der Pflege?“ „41“ präzisiert Petra Ottersbach, während sie im Dienstzimmer die Tropfen „stellt“. „Da haben Sie sich die Rente verdient“, findet der Fotograf. „Ne, ne“, meldet sich da eine junge Kollegin aus dem Hintergrund: „Die Petra, die geben wir noch nicht ab!“

Sie wird ja gebraucht, diese Petra Ottersbach, die sich noch Krankenschwester nennt. Weil ihr Beruf so hieß, als sie ihn 1983 erlernte. Sie wird gebraucht – weil es immer mehr Alte, zu Pflegende gibt, weil zu wenige Junge sich für den Beruf interessieren und weil zu viele, die damit angefangen haben, wieder aussteigen.

Stewardess oder Polizistin?

Der Vater Bergmann, die Mutter Hausfrau - als junges Mädchen, erzählt Petra Ottersbach, habe sie Stewardess werden wollen, später Polizistin. Doch dafür war sie nach dem Fachabi noch ein Jahr zu jung, also entschied sie sich für eine Pflege-Ausbildung, „bei der Knappschaft“ in ihrer Heimatstadt Essen. „Ich wollte was mit Menschen machen“, erinnert sie sich. Krankenpflege war „was mit Menschen“.

Petra Ottenbach
Petra Ottersbach bei der Visite mit Dr. Timo Westermann in den Kliniken Essen-Mitte. Den Weihnachtsschmuck für Flur und Krankenzimmertüren hat übrigens sie gebastelt – vor 20 Jahren. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Nach dem Examen 1986 landete sie auf einer 40-Betten-Station in der Gynäkologie des Knappschaftskrankenhauses in Steele – und blieb. Im Grunde: blieb sie in all den Jahren sogar demselben Arbeitgeber treu, denn 1995 übernahmen die Evangelischen Kliniken Essen-Mitte, in deren Huyssensstift Ottersbach heute arbeitet, das Krankenhaus in Steele. Und tatsächlich blieb sie auch der Gynäkologie verbunden – wenn man von gut drei Jahren „Fremdgehens“ in anderen Fachbereichen absieht. Warum sie blieb? „Ach“, sagt Petra Ottersbach, „damals sagte man, wer die ersten drei Jahre nach dem Examen dabei bleibt, der bleibt dabei.“ So besonders, findet sie, sei das nicht.

„Dass sie mich alles machen ließen, das hat mich bestärkt“

Tatsächlich denkt Umfragen zufolge jede dritte Pflegekraft heute daran, das Handtuch zu werfen. Einer der am häufigsten genannten Gründe: die Arbeitszeiten. Um 4.15 Uhr aufstehen zur Frühschicht, Nächte, Wochenenden, Ostern, Weihnachten und Silvester in der Klinik verbringen? „Andere müssen zu diesen Zeiten auch ran“, sagt Petra Ottersbach. „Ich mag mit Patienten arbeiten, ich mag mit meinen Kollegen arbeiten – und für das ganze nicht so schöne Drumherum, da können ja beide nichts.“

Sie sagt, es hätte sie, das stille Mädchen, wohl gleich zu Beginn gepackt, als man sie „alles machen ließ“: „subkutan und intramuskulär spritzen (unter die Haut und in den Muskel), Verbände wechseln, alles.“ Und wenn sie davon erzählt, strahlt sie noch immer. Dass man ihr diese Verantwortung zutraute, „das hat mich sehr bestärkt“, erzählt die heute 63-Jährige. Dass andere, weniger spannende Aufgaben wie „Essen reichen oder Thrönchen geben“ ebenfalls zum Pflegealltag dazugehörten, „das wusste ich ja vorher“. Und ein ehrlich gemeintes Lob, ein Dankeschön, nachdem man das eingenässte Bett und den Patienten sauber gemacht habe, das freue sie noch immer, „deshalb mache ich diesen Job“.

„Work-Life-Balance ist doch nicht alles“

Freundschaften zu pflegen als Pflegekraft, räumt Petra Ottersbach, ja, das sei „ein Problem“. Geheiratet habe sie nie. „Aber ich hab‘ mir da nie Gedanken drum gemacht, war eben so.“ Sich „in das ganze Digitale hinein zu fuchsen“, auch das sei ihr nicht leicht gefallen. Am schwersten aber war wohl: das Leid der Krebspatientinnen, mit denen sie es ja überwiegend zu tun hatte, nicht zu nah an sich heranzulassen. „Es bleibt immer etwas hängen.“

Petra Ottenbach is gelernte  Krankenschwester und arbeitet als Gesundheits- und Krankenpflegerin am Evang. Huyssens-Stiftung Essen-Huttrop, am Montag, 16.12.2024. FÜHLEN: Petra Ottenbach ist seit 40 Jahren Krankenschwester. Noch immer gern. Warum? Viele andere steigen früh aus. Foto: Olaf Fuhrmann / FUNKE Foto Services

„Wenn das Team stimmt, übersteht man alles.“

Petra Ottersbach
Pflegekraft

Sie versteht dennoch nicht, dass so viele wieder aussteigen „aus diesem wunderbaren Beruf“. Pflege sei doch eine wichtige Arbeit, „deshalb darf man als Krankenschwester nicht gleich aufgeben, wenn es mal schwierig wird.“ Ihr hätte das Elternhaus mitgegeben, dass man nicht gleich weglaufe, wenn ein Problem auftauche. Manche junge Kollegin müsste das erst lernen. Und es sei so viel zu lernen, wenn man neu sei, vielleicht auch mal ein Fachbuch nach Feierabend zu lesen. „Work-Life-Balance ist doch nicht alles“, sagt Ottersbach. „Aber man muss natürlich mit dem Herzen dabei sein. In die Pflege zu gehen, nur weil die Eltern das wollen – das funktioniert nicht.“

„Heute werden die Betten gar nicht kalt“

Hat sich ihr Beruf, seit sie ihn ergriff, stark verändert? „Ach ja“, stöhnt Ottersbach, „all die Bürokratie, die es heute zu erledigen gilt. Was nicht dokumentiert wird, ist ja faktisch nicht gemacht worden....“ . „Und früher“, ergänzt sie, „da haben wir im Spätdienst auch mal 40 Betten zu dritt gehabt. Aber dann hatten wir danach wieder eine ruhigere Schicht. Heute ist das extremer, heute werden die Betten gar nicht mehr kalt.“

Auch die Patienten, findet sie, „sind anspruchsvoller als damals, als sie noch im Vier-Bett-Zimmer ohne Toilette lagen“. Und heute? „Da beschweren sie sich darüber, dass es an einem Abend mal keinen rohen Schinken gibt.“ Sie verstehe das, sagt die Pflegerin, „diese Menschen sind ja krank. Aber geht denen zu Hause nie etwas aus?“

Petra Ottersbach findet sich im Übrigen durchaus angemessen bezahlt. „Mehr geht immer, sicher“, sagt sie, „würde ich auch nicht ablehnen. Aber mehr Gehalt bedeutet weniger Personal, das muss man wissen. Und keiner geht in diesen Beruf des Geldes wegen.“

Nun ist es nicht mehr lang bis zur Rente

Es gab nur einen Moment in all den Jahren, da war auch die Essenerin nahe dran, „die Brocken zu schmeißen“. Warum, mag sie nicht erzählen, „ich tat es ja dann doch nicht.“ Und nun ist es nicht mehr lang für sie bis zur Rente, und auch das sei gut so, erzählt die Krankenschwester. „Pflege ist ein körperlich anstrengender Beruf“, erklärt sie, „und mein Garten braucht mich!“ Aber, wenn sie heute 20 wäre, sagt Petra Ottersbach: „Dann würde ich wieder Krankenschwester werden wollen.“

Und deshalb wird sie auch an diesem Silvestermorgen wieder um 4.15 Uhr aufstehen, um pünktlich zur Schicht in der Klinik zu erscheinen.

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